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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Straße zu erbauen, obschon diese sich drei Viertelstunden von der Festung entfernt
und außerhalb des Bereichs ihrer unterirdischen Anstalten befindet.

Die Russen scheinen überhaupt das Unterirdische sehr zu lieben. Die Bauern
wohnen meist unterirdisch. Die unglaublichen Geschichten der alten Romane von
der unterirdischen Wirthschaft der Königs- und Nänberschlösser könnten für eine
treue Schilderung des modernen Rußland gelten. Die Citadelle ist wirklich un¬
terwühlt wie ein Ameisennest; ebenso die übrigen Festungen. Als den Russen
183 l Motum übergeben wurde, befand sich in demselben nichts Unterirdisches
weiter als elf Kasematten und die nöchigen Keller; jetzt kann mau unter der
Festung Motum spazieren gehen, und besonders zum User des Bug hinab ii la,
Maulwurf, Fuchs oder Ratte einen ganz hübschen Weg zurücklegen. Zamosc
war, nach der Angabe seines Gründers, eines Fürsten Zamoiski, ursprünglich
schon mit vielen unterirdischen Räumen, besonders sehr vielen tiefen und geräu¬
migen Kasematten versehen; jetzt aber, seit die Russen darin wirtschaften, hat
sich unter dem überirdischen Zamosc ein völliges unterirdisches Zamosc gebildet.
Dabei siud nun aber schnurriger Weise die russischen Wühlfcstuugsbaumeister selbst
auf den Fall bedacht gewesen, daß den Polen einmal der Einfall kommen
könnte, von anßen unter die Festungen zu wühlen, und sie haben es deshalb für
nöthig erachtet, die unterirdischen Räume nicht blos zu wölben, sondern sogar den
Fußboden mit Mauern zu versehen. In der Festung Jwauyrod hat man den
Fußboden eines Ganges sogar durch eichene gespitzte Blöcke undurchbrechlich ge¬
macht und an zwei Stellen eisenbeschlagenc Thüren angebrachte

Angesichts so vieler Beweise, daß die Citadelle fast einzig und allein um der
Zügelung der revolutionären Stadt Warschau erbaut worden, sällt einem befrem¬
dend die sehr schlechte Lage derselben, welche nicht einmal die Anlage von guten
Außeuwerkeu gestattete, auf. Man könnte sagen, sie wird von der Stadt be¬
herrscht, nicht: sie beherrscht die Stadt, denn sie liegt nicht über, sondern unter
dieser. Nicht nur, daß mau die Bomben nicht anders als blindlings in die Stadt
werfen kann, da man von der Citadelle ans keinen Blick über dieselbe hat, son¬
dern man wird auch nicht im Stande sein, mit den Geschossen der südlichen
Hälfte der Stadt, welche ohne Frage viel wichtiger als jene ist, das Mindeste
anzuthun. Zweifelsohne würde sie ungleich größere Macht erhalten haben, hätte
mau ihr den Platz vor dem Wolaer Thore eingeräumt,' von dem aus sie die Stadt
nach alle" Seiten hätte überreichen können. Freilich 4pare? dadurch ihre Ver¬
bindung mit der Festung Motum durch die Weichsel verloren gegangen. Anfäng¬
lich hatte man um dieser Mängel, willen die Absicht, an dem Erdente von War¬
schau unfern dem kaiserlichen Lustschloß Belvedere ein starkes Fort zu erbauen;
doch ist in der Folge diese Absicht nicht ausgeführt und nur dadurch das Fort
einiger Maßen ersetzt worden, daß man die Casernen, welche längst vor der Re¬
volution bei den Lustschlössern Belvedere und Lazienki standen, durch ungeheure


Straße zu erbauen, obschon diese sich drei Viertelstunden von der Festung entfernt
und außerhalb des Bereichs ihrer unterirdischen Anstalten befindet.

Die Russen scheinen überhaupt das Unterirdische sehr zu lieben. Die Bauern
wohnen meist unterirdisch. Die unglaublichen Geschichten der alten Romane von
der unterirdischen Wirthschaft der Königs- und Nänberschlösser könnten für eine
treue Schilderung des modernen Rußland gelten. Die Citadelle ist wirklich un¬
terwühlt wie ein Ameisennest; ebenso die übrigen Festungen. Als den Russen
183 l Motum übergeben wurde, befand sich in demselben nichts Unterirdisches
weiter als elf Kasematten und die nöchigen Keller; jetzt kann mau unter der
Festung Motum spazieren gehen, und besonders zum User des Bug hinab ii la,
Maulwurf, Fuchs oder Ratte einen ganz hübschen Weg zurücklegen. Zamosc
war, nach der Angabe seines Gründers, eines Fürsten Zamoiski, ursprünglich
schon mit vielen unterirdischen Räumen, besonders sehr vielen tiefen und geräu¬
migen Kasematten versehen; jetzt aber, seit die Russen darin wirtschaften, hat
sich unter dem überirdischen Zamosc ein völliges unterirdisches Zamosc gebildet.
Dabei siud nun aber schnurriger Weise die russischen Wühlfcstuugsbaumeister selbst
auf den Fall bedacht gewesen, daß den Polen einmal der Einfall kommen
könnte, von anßen unter die Festungen zu wühlen, und sie haben es deshalb für
nöthig erachtet, die unterirdischen Räume nicht blos zu wölben, sondern sogar den
Fußboden mit Mauern zu versehen. In der Festung Jwauyrod hat man den
Fußboden eines Ganges sogar durch eichene gespitzte Blöcke undurchbrechlich ge¬
macht und an zwei Stellen eisenbeschlagenc Thüren angebrachte

Angesichts so vieler Beweise, daß die Citadelle fast einzig und allein um der
Zügelung der revolutionären Stadt Warschau erbaut worden, sällt einem befrem¬
dend die sehr schlechte Lage derselben, welche nicht einmal die Anlage von guten
Außeuwerkeu gestattete, auf. Man könnte sagen, sie wird von der Stadt be¬
herrscht, nicht: sie beherrscht die Stadt, denn sie liegt nicht über, sondern unter
dieser. Nicht nur, daß mau die Bomben nicht anders als blindlings in die Stadt
werfen kann, da man von der Citadelle ans keinen Blick über dieselbe hat, son¬
dern man wird auch nicht im Stande sein, mit den Geschossen der südlichen
Hälfte der Stadt, welche ohne Frage viel wichtiger als jene ist, das Mindeste
anzuthun. Zweifelsohne würde sie ungleich größere Macht erhalten haben, hätte
mau ihr den Platz vor dem Wolaer Thore eingeräumt,' von dem aus sie die Stadt
nach alle» Seiten hätte überreichen können. Freilich 4pare? dadurch ihre Ver¬
bindung mit der Festung Motum durch die Weichsel verloren gegangen. Anfäng¬
lich hatte man um dieser Mängel, willen die Absicht, an dem Erdente von War¬
schau unfern dem kaiserlichen Lustschloß Belvedere ein starkes Fort zu erbauen;
doch ist in der Folge diese Absicht nicht ausgeführt und nur dadurch das Fort
einiger Maßen ersetzt worden, daß man die Casernen, welche längst vor der Re¬
volution bei den Lustschlössern Belvedere und Lazienki standen, durch ungeheure


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[0454] Straße zu erbauen, obschon diese sich drei Viertelstunden von der Festung entfernt und außerhalb des Bereichs ihrer unterirdischen Anstalten befindet. Die Russen scheinen überhaupt das Unterirdische sehr zu lieben. Die Bauern wohnen meist unterirdisch. Die unglaublichen Geschichten der alten Romane von der unterirdischen Wirthschaft der Königs- und Nänberschlösser könnten für eine treue Schilderung des modernen Rußland gelten. Die Citadelle ist wirklich un¬ terwühlt wie ein Ameisennest; ebenso die übrigen Festungen. Als den Russen 183 l Motum übergeben wurde, befand sich in demselben nichts Unterirdisches weiter als elf Kasematten und die nöchigen Keller; jetzt kann mau unter der Festung Motum spazieren gehen, und besonders zum User des Bug hinab ii la, Maulwurf, Fuchs oder Ratte einen ganz hübschen Weg zurücklegen. Zamosc war, nach der Angabe seines Gründers, eines Fürsten Zamoiski, ursprünglich schon mit vielen unterirdischen Räumen, besonders sehr vielen tiefen und geräu¬ migen Kasematten versehen; jetzt aber, seit die Russen darin wirtschaften, hat sich unter dem überirdischen Zamosc ein völliges unterirdisches Zamosc gebildet. Dabei siud nun aber schnurriger Weise die russischen Wühlfcstuugsbaumeister selbst auf den Fall bedacht gewesen, daß den Polen einmal der Einfall kommen könnte, von anßen unter die Festungen zu wühlen, und sie haben es deshalb für nöthig erachtet, die unterirdischen Räume nicht blos zu wölben, sondern sogar den Fußboden mit Mauern zu versehen. In der Festung Jwauyrod hat man den Fußboden eines Ganges sogar durch eichene gespitzte Blöcke undurchbrechlich ge¬ macht und an zwei Stellen eisenbeschlagenc Thüren angebrachte Angesichts so vieler Beweise, daß die Citadelle fast einzig und allein um der Zügelung der revolutionären Stadt Warschau erbaut worden, sällt einem befrem¬ dend die sehr schlechte Lage derselben, welche nicht einmal die Anlage von guten Außeuwerkeu gestattete, auf. Man könnte sagen, sie wird von der Stadt be¬ herrscht, nicht: sie beherrscht die Stadt, denn sie liegt nicht über, sondern unter dieser. Nicht nur, daß mau die Bomben nicht anders als blindlings in die Stadt werfen kann, da man von der Citadelle ans keinen Blick über dieselbe hat, son¬ dern man wird auch nicht im Stande sein, mit den Geschossen der südlichen Hälfte der Stadt, welche ohne Frage viel wichtiger als jene ist, das Mindeste anzuthun. Zweifelsohne würde sie ungleich größere Macht erhalten haben, hätte mau ihr den Platz vor dem Wolaer Thore eingeräumt,' von dem aus sie die Stadt nach alle» Seiten hätte überreichen können. Freilich 4pare? dadurch ihre Ver¬ bindung mit der Festung Motum durch die Weichsel verloren gegangen. Anfäng¬ lich hatte man um dieser Mängel, willen die Absicht, an dem Erdente von War¬ schau unfern dem kaiserlichen Lustschloß Belvedere ein starkes Fort zu erbauen; doch ist in der Folge diese Absicht nicht ausgeführt und nur dadurch das Fort einiger Maßen ersetzt worden, daß man die Casernen, welche längst vor der Re¬ volution bei den Lustschlössern Belvedere und Lazienki standen, durch ungeheure

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/454>, abgerufen am 01.09.2024.