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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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meine Hand gewesen wäre u. s. w." Nun geht es nämlich an die weiteren
Körpertheile. Früher hatte man genug an dem sinnlichen Eindruck, den ein schönes
Weib im Allgemeinen auf einen jungen Mann machte; jetzt muß man es im De¬
tail verfolgen. Und nicht blos was den Sinn des Gesichts betrifft. "Der Hauch
ihrer Seele athmete in den Falten der Sylben, wie der Ton sich in den Schlüs¬
seln einer Flöte theilt; er erstarb wogend im Ohre, von wo ans er das Blut in
schlenuigercr Wallung vor sich hertrieix Ihre Art, die Endungen in 1 auszu¬
sprechen, erinnerte an den Vogelgesang; sie flüsterte das wie eine Liebkosung,
und ihr t zeugte von einem Despotismus des Herzens" (la inmuerv alone oll;
atUrcMlit los t aeoasait le "lospotismö co coeur), -- Auch das Portrait erfordert
ein medicinisches Studium; die Farben und Formen müssen motivirt werden.
"Ihr Gesicht ist eines von jenen, die zu treffen den unsindbaren Künstler ver¬
langt, dessen Hand den Widerschein der innern Gluth zu malen, und jenen leuch¬
tenden Duft wiederzugeben weiß, den die Wissenschaft leugnet, den das Wort nicht
ersetzt, den aber ein Liebender sieht. Ihre feinen, aschblonden Haare machten sie
häusig leiden, wahrscheinlich wegen der plötzlichen Reaction deö Blutes uach dem
Kopf. Ihre runde Stirne, hervorragend wie die Jucuudeu's, schien voll vou
uuauögedrückteu Ideen, zurückgehaltenen Empfindungen, Blütheu, die in bittern
Wassern ertränkt waren. Ihre dunkelgrünen Augen, mit braunen Pünktchen besäet,
waren beständig matt (? Mos); aber wenn es sich um ihre Kinder handelte, so
entquollen ihnen jene lebendigen Ausströmungen der Freude und des Schmerzes,
die im Leben resignirter Frauen so selten sind, ihr Ange schoß ein feines Licht,
das sich an den Quellen des Lebens zu entzünden und sie aufzuzehren schien; ein
Blitz, der mir Thränen entlockte, als er mich mit einer furchtbaren Verachtung
überdeckte. Eine griechische Nase, wie vou Phidias gemeißelt, und durch
einen doppelten Bogen mit den elegant gekrümmten Lippen verbunden, ver¬
geistigte (sMtualiLmt) ihr ovales Gesicht, dessen Teint, .wie das Gewebe
weißer Kamelien, an den Wangen mit leichten Nvsatöueu sich färbte . . .
Der Untertheil ihres Kopfes bot keine jener Höhlungen, durch die der Nacken
mancher Frauen einem Baumstamm ähnlich sieht, ihre Muskeln zeichneten keine
Sehnen darauf, und überall ruudeteu sich die Linien in Windungen, die den Blick
wie deu Pinsel in Verzweiflung setzten. Ein leichter Flaum erstarb in der Länge
ihrer Wangen bis am Halse und strahlte das Licht nach Art der Seide wieder.
Ihre kleinen, wohlgebaute" Ohren ütmont clos oreillvs et'eselavv se ac more."
-- Dann folgt eine allgemeine Bemerkung: "Die runde Taille ist ein Zeichen
der Kraft; aber die so gebauten Weiber siud gebieterisch, willkürlich, mehr wol¬
lüstig als zärtlich. Im Gegentheil sind die Frauen mit enger Taille aufopfernd,
sein, zur Melancholie geneigt; sie sind weiblicher als die andern. --" Es geht
noch weiter mit den Einzelheiten; dann folgt der Geist. "Ihre Haltung drückte
Einfachheit aus, verbunden mit einer gewissen Scheu und träumerischem Wesen


meine Hand gewesen wäre u. s. w." Nun geht es nämlich an die weiteren
Körpertheile. Früher hatte man genug an dem sinnlichen Eindruck, den ein schönes
Weib im Allgemeinen auf einen jungen Mann machte; jetzt muß man es im De¬
tail verfolgen. Und nicht blos was den Sinn des Gesichts betrifft. „Der Hauch
ihrer Seele athmete in den Falten der Sylben, wie der Ton sich in den Schlüs¬
seln einer Flöte theilt; er erstarb wogend im Ohre, von wo ans er das Blut in
schlenuigercr Wallung vor sich hertrieix Ihre Art, die Endungen in 1 auszu¬
sprechen, erinnerte an den Vogelgesang; sie flüsterte das wie eine Liebkosung,
und ihr t zeugte von einem Despotismus des Herzens" (la inmuerv alone oll;
atUrcMlit los t aeoasait le «lospotismö co coeur), — Auch das Portrait erfordert
ein medicinisches Studium; die Farben und Formen müssen motivirt werden.
„Ihr Gesicht ist eines von jenen, die zu treffen den unsindbaren Künstler ver¬
langt, dessen Hand den Widerschein der innern Gluth zu malen, und jenen leuch¬
tenden Duft wiederzugeben weiß, den die Wissenschaft leugnet, den das Wort nicht
ersetzt, den aber ein Liebender sieht. Ihre feinen, aschblonden Haare machten sie
häusig leiden, wahrscheinlich wegen der plötzlichen Reaction deö Blutes uach dem
Kopf. Ihre runde Stirne, hervorragend wie die Jucuudeu's, schien voll vou
uuauögedrückteu Ideen, zurückgehaltenen Empfindungen, Blütheu, die in bittern
Wassern ertränkt waren. Ihre dunkelgrünen Augen, mit braunen Pünktchen besäet,
waren beständig matt (? Mos); aber wenn es sich um ihre Kinder handelte, so
entquollen ihnen jene lebendigen Ausströmungen der Freude und des Schmerzes,
die im Leben resignirter Frauen so selten sind, ihr Ange schoß ein feines Licht,
das sich an den Quellen des Lebens zu entzünden und sie aufzuzehren schien; ein
Blitz, der mir Thränen entlockte, als er mich mit einer furchtbaren Verachtung
überdeckte. Eine griechische Nase, wie vou Phidias gemeißelt, und durch
einen doppelten Bogen mit den elegant gekrümmten Lippen verbunden, ver¬
geistigte (sMtualiLmt) ihr ovales Gesicht, dessen Teint, .wie das Gewebe
weißer Kamelien, an den Wangen mit leichten Nvsatöueu sich färbte . . .
Der Untertheil ihres Kopfes bot keine jener Höhlungen, durch die der Nacken
mancher Frauen einem Baumstamm ähnlich sieht, ihre Muskeln zeichneten keine
Sehnen darauf, und überall ruudeteu sich die Linien in Windungen, die den Blick
wie deu Pinsel in Verzweiflung setzten. Ein leichter Flaum erstarb in der Länge
ihrer Wangen bis am Halse und strahlte das Licht nach Art der Seide wieder.
Ihre kleinen, wohlgebaute» Ohren ütmont clos oreillvs et'eselavv se ac more."
— Dann folgt eine allgemeine Bemerkung: „Die runde Taille ist ein Zeichen
der Kraft; aber die so gebauten Weiber siud gebieterisch, willkürlich, mehr wol¬
lüstig als zärtlich. Im Gegentheil sind die Frauen mit enger Taille aufopfernd,
sein, zur Melancholie geneigt; sie sind weiblicher als die andern. —" Es geht
noch weiter mit den Einzelheiten; dann folgt der Geist. „Ihre Haltung drückte
Einfachheit aus, verbunden mit einer gewissen Scheu und träumerischem Wesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/431>, abgerufen am 01.09.2024.