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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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auf dem Landtag), erfolgt die Dismembration der Partei nach ihren verschiedenen
Nuancen und Divergenzen, die sich dann oft zu den entschiedensten Gegensätzen
ausbilden. Die kurhessische Demokratie ist bis zur Stunde, mit Ausnahme mir
ganz weniger Männer, zu denen allerdings die Führer der extremsten Richtung
gehören, in einer naiven Selbsttäuschung über die großen Gegensätze, die sie zur
Stunde in sich vereint. Die Partcischeidung der politischen Republikaner von den
Socialdemokraten ist noch nicht zum bewußten Gegensatz geworden; fast Jeder
rechnet sich zu den Letzten, weil man auch dieses Stichwort im Munde führt,
aber den Kern seiner Bedeutung nicht kennt. Die Erstem siud bis jetzt, wo sie
sich zu sondern begonnen haben, eine ganz unorganische Partei im zweifachen Sinne
des Wortes, sie sind fast gar nicht organistrt und haben kein Organ in der Presse;
ohne letzteres aber kann sich eine politische Partei weder fest bilde", uoch für die
Dauer zusammenhalte". Die "Hornisse", das Blatt der Socialdemokraten, ver¬
tritt die kurhessische Demokratie überhaupt, so daß hier ein Demokrat und ein
Anhänger der "Hornisse" identisch ist.

Wenn man deshalb auch bis jetzt weiß, daß die Demokratie in diesem Landtage
ans die Majorität der Stimmen rechnen kann, so weiß man damit kaum mehr,
als daß die letztere als Demokraten bezeichnete Männer zur Präsidentschaft und
in der Mehrheit in die Ausschüsse gewählt hat. Das Parteiprogramm sür die
Wahl hieß: vom Bode" der Volksso uveränetät aus das Ministerium
Hasseupflug zu stürzen. Es braucht wohl keinem verständigen Manne gesagt zu
werde", daß in dieser Phrase gar nichts Faßbares ist. Aber die Wähler, welche
auf el" couragirtereö Mittel hofften und das Ministerium um jeden Preis besei¬
tigt wissen wollten, wählten die Demokraten in die Kammer, die ihrerseits die
Verfassung, welche kein Wort vom Boden der Volkssouveränetät und andern
Mitteln redet, als wie sie die vorige Ständeversammlung angewendet hat, auf¬
recht zu erhalten beschworen und sich bis jetzt ganz verfassungsmäßig geriren. I"
der letzten Zeit hat es sich in Kurhessen handgreiflich gezeigt, wie sich die Ex¬
treme der politischen Parteien gegenseitig gute Dienste leisten. Die demokratische
Partei ermöglichte dnrch ihre Stellung gegen das frühere Ministerium das Auf¬
kommen Hassenpflng'ö, Und dieser bringt durch seine Existenz eine Majorität von
Demokraten in die Ständeversammlung; es wäre bei der Fortdauer des frühem
Ministeriums kein Gedanke an eine solche gewesen. Aber gerade dieser Landtag
wird ganz gewiß nicht nur das Bewußtsein von einer sehr bedeutenden Differenz
zwischen den eigentlichen Vertretern der Hornisse und ihren Absichten und Den-
jenigen, welchen dieser Radicalismus unverdaulich ist, hervorrufen, solidem es
wird auch der erklärte Bruch in die Oeffentlichkeit treten. Bei der Nothwendig-
keit, irgendwie eine organisirende Thätigkeit zu entwickeln, wird der dermalige
Bestand der Partei desvrgauistrt werden. Und geschähe es auch jetzt nicht, es
würde in der nächsten Zeit geschehen, anch wenn die gemäßigten Demokraten sich


Grenzboten. III. I8S0. 53

auf dem Landtag), erfolgt die Dismembration der Partei nach ihren verschiedenen
Nuancen und Divergenzen, die sich dann oft zu den entschiedensten Gegensätzen
ausbilden. Die kurhessische Demokratie ist bis zur Stunde, mit Ausnahme mir
ganz weniger Männer, zu denen allerdings die Führer der extremsten Richtung
gehören, in einer naiven Selbsttäuschung über die großen Gegensätze, die sie zur
Stunde in sich vereint. Die Partcischeidung der politischen Republikaner von den
Socialdemokraten ist noch nicht zum bewußten Gegensatz geworden; fast Jeder
rechnet sich zu den Letzten, weil man auch dieses Stichwort im Munde führt,
aber den Kern seiner Bedeutung nicht kennt. Die Erstem siud bis jetzt, wo sie
sich zu sondern begonnen haben, eine ganz unorganische Partei im zweifachen Sinne
des Wortes, sie sind fast gar nicht organistrt und haben kein Organ in der Presse;
ohne letzteres aber kann sich eine politische Partei weder fest bilde», uoch für die
Dauer zusammenhalte». Die „Hornisse", das Blatt der Socialdemokraten, ver¬
tritt die kurhessische Demokratie überhaupt, so daß hier ein Demokrat und ein
Anhänger der „Hornisse" identisch ist.

Wenn man deshalb auch bis jetzt weiß, daß die Demokratie in diesem Landtage
ans die Majorität der Stimmen rechnen kann, so weiß man damit kaum mehr,
als daß die letztere als Demokraten bezeichnete Männer zur Präsidentschaft und
in der Mehrheit in die Ausschüsse gewählt hat. Das Parteiprogramm sür die
Wahl hieß: vom Bode» der Volksso uveränetät aus das Ministerium
Hasseupflug zu stürzen. Es braucht wohl keinem verständigen Manne gesagt zu
werde», daß in dieser Phrase gar nichts Faßbares ist. Aber die Wähler, welche
auf el» couragirtereö Mittel hofften und das Ministerium um jeden Preis besei¬
tigt wissen wollten, wählten die Demokraten in die Kammer, die ihrerseits die
Verfassung, welche kein Wort vom Boden der Volkssouveränetät und andern
Mitteln redet, als wie sie die vorige Ständeversammlung angewendet hat, auf¬
recht zu erhalten beschworen und sich bis jetzt ganz verfassungsmäßig geriren. I»
der letzten Zeit hat es sich in Kurhessen handgreiflich gezeigt, wie sich die Ex¬
treme der politischen Parteien gegenseitig gute Dienste leisten. Die demokratische
Partei ermöglichte dnrch ihre Stellung gegen das frühere Ministerium das Auf¬
kommen Hassenpflng'ö, Und dieser bringt durch seine Existenz eine Majorität von
Demokraten in die Ständeversammlung; es wäre bei der Fortdauer des frühem
Ministeriums kein Gedanke an eine solche gewesen. Aber gerade dieser Landtag
wird ganz gewiß nicht nur das Bewußtsein von einer sehr bedeutenden Differenz
zwischen den eigentlichen Vertretern der Hornisse und ihren Absichten und Den-
jenigen, welchen dieser Radicalismus unverdaulich ist, hervorrufen, solidem es
wird auch der erklärte Bruch in die Oeffentlichkeit treten. Bei der Nothwendig-
keit, irgendwie eine organisirende Thätigkeit zu entwickeln, wird der dermalige
Bestand der Partei desvrgauistrt werden. Und geschähe es auch jetzt nicht, es
würde in der nächsten Zeit geschehen, anch wenn die gemäßigten Demokraten sich


Grenzboten. III. I8S0. 53
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[0425] auf dem Landtag), erfolgt die Dismembration der Partei nach ihren verschiedenen Nuancen und Divergenzen, die sich dann oft zu den entschiedensten Gegensätzen ausbilden. Die kurhessische Demokratie ist bis zur Stunde, mit Ausnahme mir ganz weniger Männer, zu denen allerdings die Führer der extremsten Richtung gehören, in einer naiven Selbsttäuschung über die großen Gegensätze, die sie zur Stunde in sich vereint. Die Partcischeidung der politischen Republikaner von den Socialdemokraten ist noch nicht zum bewußten Gegensatz geworden; fast Jeder rechnet sich zu den Letzten, weil man auch dieses Stichwort im Munde führt, aber den Kern seiner Bedeutung nicht kennt. Die Erstem siud bis jetzt, wo sie sich zu sondern begonnen haben, eine ganz unorganische Partei im zweifachen Sinne des Wortes, sie sind fast gar nicht organistrt und haben kein Organ in der Presse; ohne letzteres aber kann sich eine politische Partei weder fest bilde», uoch für die Dauer zusammenhalte». Die „Hornisse", das Blatt der Socialdemokraten, ver¬ tritt die kurhessische Demokratie überhaupt, so daß hier ein Demokrat und ein Anhänger der „Hornisse" identisch ist. Wenn man deshalb auch bis jetzt weiß, daß die Demokratie in diesem Landtage ans die Majorität der Stimmen rechnen kann, so weiß man damit kaum mehr, als daß die letztere als Demokraten bezeichnete Männer zur Präsidentschaft und in der Mehrheit in die Ausschüsse gewählt hat. Das Parteiprogramm sür die Wahl hieß: vom Bode» der Volksso uveränetät aus das Ministerium Hasseupflug zu stürzen. Es braucht wohl keinem verständigen Manne gesagt zu werde», daß in dieser Phrase gar nichts Faßbares ist. Aber die Wähler, welche auf el» couragirtereö Mittel hofften und das Ministerium um jeden Preis besei¬ tigt wissen wollten, wählten die Demokraten in die Kammer, die ihrerseits die Verfassung, welche kein Wort vom Boden der Volkssouveränetät und andern Mitteln redet, als wie sie die vorige Ständeversammlung angewendet hat, auf¬ recht zu erhalten beschworen und sich bis jetzt ganz verfassungsmäßig geriren. I» der letzten Zeit hat es sich in Kurhessen handgreiflich gezeigt, wie sich die Ex¬ treme der politischen Parteien gegenseitig gute Dienste leisten. Die demokratische Partei ermöglichte dnrch ihre Stellung gegen das frühere Ministerium das Auf¬ kommen Hassenpflng'ö, Und dieser bringt durch seine Existenz eine Majorität von Demokraten in die Ständeversammlung; es wäre bei der Fortdauer des frühem Ministeriums kein Gedanke an eine solche gewesen. Aber gerade dieser Landtag wird ganz gewiß nicht nur das Bewußtsein von einer sehr bedeutenden Differenz zwischen den eigentlichen Vertretern der Hornisse und ihren Absichten und Den- jenigen, welchen dieser Radicalismus unverdaulich ist, hervorrufen, solidem es wird auch der erklärte Bruch in die Oeffentlichkeit treten. Bei der Nothwendig- keit, irgendwie eine organisirende Thätigkeit zu entwickeln, wird der dermalige Bestand der Partei desvrgauistrt werden. Und geschähe es auch jetzt nicht, es würde in der nächsten Zeit geschehen, anch wenn die gemäßigten Demokraten sich Grenzboten. III. I8S0. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/425>, abgerufen am 01.09.2024.