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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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mokraten, die selbst jenen berüchtigten Erlaß Bayrhoffcr's, Metternich's und
Norge'S vergessen zu haben schienen, besann sich spater daraus, als jene in Ver¬
sammlungen schwören ließen, mit Gut und Blut für die Reichsverfassung und das
souveräne Parlament einstehen zu wollen. Aber sie hatten selbst das Holz zu naß
gemacht, sie konnten kein Feuer mehr anblasen. Was sich als Folgen dieser letz¬
ten Volksreden und Volksversammlungen im alten Stil zeigte, war blamirender
Art. Ebenso das Verhalten der Demokratie gegenüber dem letzten badischen Auf¬
stand: sie zeigte, daß ihr zwar das Pathos der Rede bei garantirter Preßfreiheit
und freisinnigen Geschwornen, nicht aber das Pathos der That gegen preußische
Spitzkugcln iuuewohne. Gegen das Märzmiiiisterinm Eberhard machte sie eine
anfangs sachte, dann immer derber auftretende Polemik, obwohl im übrigen Deutsch¬
land immer entschiedener die Reaction gegen die Märzministerien ausgetreten war.
Die kurhessische Demokratie hatte sich für den Pessimismus entschieden, nahm theil-
nahmlos den Sturz Eberhard'S hin, ja begrüßte zum Theil das Ministerium
Hasseupslug als ein freudiges Ereigniß, da jetzt ein wirklicher großer Gegner und
ein offen gegnerisches Princip zu bekämpfen und zu besiegen sei. Sie hat da¬
durch selbst das Aufkommen und die Fortexistenz Hassenpflng's erleichtert, den --
jetzt die demokratische Majorität im Landtage beseitigen will, damit statt seiner ein
volkstümliches Ministerium auftrete -- und ein solches war unleugbar das Mi¬
nisterium Eberhard, das immer eine starke Majorität im Landtage besaß bis zur
letzten Stunde seiner Existenz.

Diese Mittheilungen über die seitherige Entwickelung der kurhessischcn Demo¬
kratie, die wir in spätem Ausführungen über den Personalbestand des jetzt ver¬
sammelten Landtages und in einer Umschau über die kurhessische Presse vervoll¬
ständigen werden, dürften allerdings die Befürchtungen Vieler über die Haltung
des jetzigen'Landtages einer Regierung gegenüber, welcher ^verfassungsmäßige
Maßnahmen abseitens der Landesvertreter kaum anders als erwünscht sein können,
bestätigen. Und doch werden die thatsächlichen Erscheinungen ganz anders sich
herausstellen. So lauge eine Partei in der Minorität ist, hat sie ein leichtes
Spiel; sie kann herrliche Reden über Schlagwörter des Tages halten, kann ohne
Gefahr die eigenthümliche Zugabe der modernen Revolution, den Idealismus, auch
in der ausschweifendsten und unsinnigsten Gestalt von der Straße in den Sprech¬
saal verpflanzen; sie hat immer die Unzufriedenen jeder Art als ein Hilfscorps
für ihre Partei hinter sich u. f. w.; sobald sie in der Majorität ist, wirkt das
wo KtwcluL, die sg,Ita gar sehr auf das Fortbestehen der naiv hingenommenen
Autorität und das Bewußtsein dieses Umstandes zügelnd aus die Mittel und In¬
tentionen der Partei. Außerdem wird es sich jetzt aufs Neue bewähren, daß eine
Partei, so lange sie im Angriffskriege ist, Alle zusammenhält, die nur irgendwie
sich im Allgemeinen zu ihr halten. Sobald sie gesiegt hat (und in der einem
Siege analogen Position befinden sich gegenwärtig die kurhessischen Demokraten


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mokraten, die selbst jenen berüchtigten Erlaß Bayrhoffcr's, Metternich's und
Norge'S vergessen zu haben schienen, besann sich spater daraus, als jene in Ver¬
sammlungen schwören ließen, mit Gut und Blut für die Reichsverfassung und das
souveräne Parlament einstehen zu wollen. Aber sie hatten selbst das Holz zu naß
gemacht, sie konnten kein Feuer mehr anblasen. Was sich als Folgen dieser letz¬
ten Volksreden und Volksversammlungen im alten Stil zeigte, war blamirender
Art. Ebenso das Verhalten der Demokratie gegenüber dem letzten badischen Auf¬
stand: sie zeigte, daß ihr zwar das Pathos der Rede bei garantirter Preßfreiheit
und freisinnigen Geschwornen, nicht aber das Pathos der That gegen preußische
Spitzkugcln iuuewohne. Gegen das Märzmiiiisterinm Eberhard machte sie eine
anfangs sachte, dann immer derber auftretende Polemik, obwohl im übrigen Deutsch¬
land immer entschiedener die Reaction gegen die Märzministerien ausgetreten war.
Die kurhessische Demokratie hatte sich für den Pessimismus entschieden, nahm theil-
nahmlos den Sturz Eberhard'S hin, ja begrüßte zum Theil das Ministerium
Hasseupslug als ein freudiges Ereigniß, da jetzt ein wirklicher großer Gegner und
ein offen gegnerisches Princip zu bekämpfen und zu besiegen sei. Sie hat da¬
durch selbst das Aufkommen und die Fortexistenz Hassenpflng's erleichtert, den —
jetzt die demokratische Majorität im Landtage beseitigen will, damit statt seiner ein
volkstümliches Ministerium auftrete — und ein solches war unleugbar das Mi¬
nisterium Eberhard, das immer eine starke Majorität im Landtage besaß bis zur
letzten Stunde seiner Existenz.

Diese Mittheilungen über die seitherige Entwickelung der kurhessischcn Demo¬
kratie, die wir in spätem Ausführungen über den Personalbestand des jetzt ver¬
sammelten Landtages und in einer Umschau über die kurhessische Presse vervoll¬
ständigen werden, dürften allerdings die Befürchtungen Vieler über die Haltung
des jetzigen'Landtages einer Regierung gegenüber, welcher ^verfassungsmäßige
Maßnahmen abseitens der Landesvertreter kaum anders als erwünscht sein können,
bestätigen. Und doch werden die thatsächlichen Erscheinungen ganz anders sich
herausstellen. So lauge eine Partei in der Minorität ist, hat sie ein leichtes
Spiel; sie kann herrliche Reden über Schlagwörter des Tages halten, kann ohne
Gefahr die eigenthümliche Zugabe der modernen Revolution, den Idealismus, auch
in der ausschweifendsten und unsinnigsten Gestalt von der Straße in den Sprech¬
saal verpflanzen; sie hat immer die Unzufriedenen jeder Art als ein Hilfscorps
für ihre Partei hinter sich u. f. w.; sobald sie in der Majorität ist, wirkt das
wo KtwcluL, die sg,Ita gar sehr auf das Fortbestehen der naiv hingenommenen
Autorität und das Bewußtsein dieses Umstandes zügelnd aus die Mittel und In¬
tentionen der Partei. Außerdem wird es sich jetzt aufs Neue bewähren, daß eine
Partei, so lange sie im Angriffskriege ist, Alle zusammenhält, die nur irgendwie
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Siege analogen Position befinden sich gegenwärtig die kurhessischen Demokraten


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[0424] . mokraten, die selbst jenen berüchtigten Erlaß Bayrhoffcr's, Metternich's und Norge'S vergessen zu haben schienen, besann sich spater daraus, als jene in Ver¬ sammlungen schwören ließen, mit Gut und Blut für die Reichsverfassung und das souveräne Parlament einstehen zu wollen. Aber sie hatten selbst das Holz zu naß gemacht, sie konnten kein Feuer mehr anblasen. Was sich als Folgen dieser letz¬ ten Volksreden und Volksversammlungen im alten Stil zeigte, war blamirender Art. Ebenso das Verhalten der Demokratie gegenüber dem letzten badischen Auf¬ stand: sie zeigte, daß ihr zwar das Pathos der Rede bei garantirter Preßfreiheit und freisinnigen Geschwornen, nicht aber das Pathos der That gegen preußische Spitzkugcln iuuewohne. Gegen das Märzmiiiisterinm Eberhard machte sie eine anfangs sachte, dann immer derber auftretende Polemik, obwohl im übrigen Deutsch¬ land immer entschiedener die Reaction gegen die Märzministerien ausgetreten war. Die kurhessische Demokratie hatte sich für den Pessimismus entschieden, nahm theil- nahmlos den Sturz Eberhard'S hin, ja begrüßte zum Theil das Ministerium Hasseupslug als ein freudiges Ereigniß, da jetzt ein wirklicher großer Gegner und ein offen gegnerisches Princip zu bekämpfen und zu besiegen sei. Sie hat da¬ durch selbst das Aufkommen und die Fortexistenz Hassenpflng's erleichtert, den — jetzt die demokratische Majorität im Landtage beseitigen will, damit statt seiner ein volkstümliches Ministerium auftrete — und ein solches war unleugbar das Mi¬ nisterium Eberhard, das immer eine starke Majorität im Landtage besaß bis zur letzten Stunde seiner Existenz. Diese Mittheilungen über die seitherige Entwickelung der kurhessischcn Demo¬ kratie, die wir in spätem Ausführungen über den Personalbestand des jetzt ver¬ sammelten Landtages und in einer Umschau über die kurhessische Presse vervoll¬ ständigen werden, dürften allerdings die Befürchtungen Vieler über die Haltung des jetzigen'Landtages einer Regierung gegenüber, welcher ^verfassungsmäßige Maßnahmen abseitens der Landesvertreter kaum anders als erwünscht sein können, bestätigen. Und doch werden die thatsächlichen Erscheinungen ganz anders sich herausstellen. So lauge eine Partei in der Minorität ist, hat sie ein leichtes Spiel; sie kann herrliche Reden über Schlagwörter des Tages halten, kann ohne Gefahr die eigenthümliche Zugabe der modernen Revolution, den Idealismus, auch in der ausschweifendsten und unsinnigsten Gestalt von der Straße in den Sprech¬ saal verpflanzen; sie hat immer die Unzufriedenen jeder Art als ein Hilfscorps für ihre Partei hinter sich u. f. w.; sobald sie in der Majorität ist, wirkt das wo KtwcluL, die sg,Ita gar sehr auf das Fortbestehen der naiv hingenommenen Autorität und das Bewußtsein dieses Umstandes zügelnd aus die Mittel und In¬ tentionen der Partei. Außerdem wird es sich jetzt aufs Neue bewähren, daß eine Partei, so lange sie im Angriffskriege ist, Alle zusammenhält, die nur irgendwie sich im Allgemeinen zu ihr halten. Sobald sie gesiegt hat (und in der einem Siege analogen Position befinden sich gegenwärtig die kurhessischen Demokraten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/424>, abgerufen am 09.11.2024.