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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Zweck, sondern an eine sittliche Gemeinschaft gebunden, die aufzugeben nur einem
liederlichen Genie wie Lord Brougham nachgesehen wird. Um eine Partei zu
beherrschen, muß mau ihr vorher dienen. Peel, als einer der Talentvollsten, trat
im Parlament als Vorkämpfer der Tones ans, und das Publicum gewohnte sich
daran, ihm die Grundsätze zu imputiren, welche die vornehmsten Führer derselben
befolgten, aber mit Unrecht, denn schon damals strebte er uach Mäßigung und
nach concreter Einsicht in die wirklichen Verhältnisse.

Von da an wiederholt sich in seinem politischen Leben das, eigenthümliche
Verhältnis;: er bekämpft an der Spitze seiner Partei die Reformen, mit welchen
die Whigs coquettiren, um ihre Popularität zu erhalten, stürzt sie dann, und
führt trotz des Sträubens seiner eigenen Partei jene Reformen in großartigsten
Stil selber dnrch. So die Emancipation der Katholiken, die wenigstens verhält¬
nismäßige Versorgung der irischen Kirche durch den Staat lKaMnolK-MII),. die
Einkommensteuer, endlich die Aufhebung der Getreidezölle.

Er hat sich darin als Staatsmann gezeigt, daß er jedesmal deu Zeitpunkt
zu treffen wußte, wo die öffentliche Meinung so weit herausgebildet war, daß
eine durch das allgemeine Vorurtheil bekämpfte Veränderung in deu Maximen
der Verwaltung durchgeführt werdeu konnte, und daß er daun mit einer Energie
und Arbeitskraft die Sache in die Hände nahm, daß der praktische Sinn der
Engländer, wenn er sich dem Princip nicht fügen wollte, durch die Ausführung
hingerissen wurde. Um das zu können, mußte er sich die Partei auf eine Weise
unterworfen haben, wie es sonst bei den englischen Staatsmännern unerhört war.
Aber die Partei war überzeugt, daß er der Tüchligste sei, die Staatsgeschäfte auf
eine großartige Weise zu führen, und so ließ sie sich, wenn auch mit Zähneknirschen, von
ihm leiten, bis endlich sein letzter Schritt über die Grenzen hinausging, die man
einem Chef der Partei erlaubt. Als aber der Stamm der Tories als oounli^-par^
(Partei der Grundbesitzer) sich von ihrem bisherigen Führer lossagte, hatte er
uicht blos einen bedeutenden Theil derselben im Unterhause in seinen Dienst ge¬
zwungen, sondern er hatte auch, was zur gesetzlichen Durchführung seiner Prin-
cipien das Wesentlichste war, die Majorität des Oberhauses von der Notwendig¬
keit seiner Maßregeln überzeugt. Mit diesem letzten Schritt war uicht um die
Herrschaft der alten Fractionen, sondern anch ihr Bestand aufgehoben. Die
Parteien, die gegenwärtig mit einander ringen, binden sich nicht mehr an historische
Reminiscenzen, sondern an positive Interessen.

Es ist nicht zu leugnen, daß Peel's Tod dieser Umformung vielen Abbruch
thun wird. Die Whigs, denen man aus Haß gegen den großen Apostaten das
Ruder übergeben hatte, sind noch immer eine politische, nicht bürgerliche Partei;
ihr eigentlicher Chef ist nicht Rüssel, sondern Palmerston. Es hätte nicht fehlen
können, daß man in kurzer Zeit dem Staatsmann, der in dem allgemeinen Cre¬
dit stand, daß, was er vorschlug, nothwendig, und was er durchführen wollte,


Zweck, sondern an eine sittliche Gemeinschaft gebunden, die aufzugeben nur einem
liederlichen Genie wie Lord Brougham nachgesehen wird. Um eine Partei zu
beherrschen, muß mau ihr vorher dienen. Peel, als einer der Talentvollsten, trat
im Parlament als Vorkämpfer der Tones ans, und das Publicum gewohnte sich
daran, ihm die Grundsätze zu imputiren, welche die vornehmsten Führer derselben
befolgten, aber mit Unrecht, denn schon damals strebte er uach Mäßigung und
nach concreter Einsicht in die wirklichen Verhältnisse.

Von da an wiederholt sich in seinem politischen Leben das, eigenthümliche
Verhältnis;: er bekämpft an der Spitze seiner Partei die Reformen, mit welchen
die Whigs coquettiren, um ihre Popularität zu erhalten, stürzt sie dann, und
führt trotz des Sträubens seiner eigenen Partei jene Reformen in großartigsten
Stil selber dnrch. So die Emancipation der Katholiken, die wenigstens verhält¬
nismäßige Versorgung der irischen Kirche durch den Staat lKaMnolK-MII),. die
Einkommensteuer, endlich die Aufhebung der Getreidezölle.

Er hat sich darin als Staatsmann gezeigt, daß er jedesmal deu Zeitpunkt
zu treffen wußte, wo die öffentliche Meinung so weit herausgebildet war, daß
eine durch das allgemeine Vorurtheil bekämpfte Veränderung in deu Maximen
der Verwaltung durchgeführt werdeu konnte, und daß er daun mit einer Energie
und Arbeitskraft die Sache in die Hände nahm, daß der praktische Sinn der
Engländer, wenn er sich dem Princip nicht fügen wollte, durch die Ausführung
hingerissen wurde. Um das zu können, mußte er sich die Partei auf eine Weise
unterworfen haben, wie es sonst bei den englischen Staatsmännern unerhört war.
Aber die Partei war überzeugt, daß er der Tüchligste sei, die Staatsgeschäfte auf
eine großartige Weise zu führen, und so ließ sie sich, wenn auch mit Zähneknirschen, von
ihm leiten, bis endlich sein letzter Schritt über die Grenzen hinausging, die man
einem Chef der Partei erlaubt. Als aber der Stamm der Tories als oounli^-par^
(Partei der Grundbesitzer) sich von ihrem bisherigen Führer lossagte, hatte er
uicht blos einen bedeutenden Theil derselben im Unterhause in seinen Dienst ge¬
zwungen, sondern er hatte auch, was zur gesetzlichen Durchführung seiner Prin-
cipien das Wesentlichste war, die Majorität des Oberhauses von der Notwendig¬
keit seiner Maßregeln überzeugt. Mit diesem letzten Schritt war uicht um die
Herrschaft der alten Fractionen, sondern anch ihr Bestand aufgehoben. Die
Parteien, die gegenwärtig mit einander ringen, binden sich nicht mehr an historische
Reminiscenzen, sondern an positive Interessen.

Es ist nicht zu leugnen, daß Peel's Tod dieser Umformung vielen Abbruch
thun wird. Die Whigs, denen man aus Haß gegen den großen Apostaten das
Ruder übergeben hatte, sind noch immer eine politische, nicht bürgerliche Partei;
ihr eigentlicher Chef ist nicht Rüssel, sondern Palmerston. Es hätte nicht fehlen
können, daß man in kurzer Zeit dem Staatsmann, der in dem allgemeinen Cre¬
dit stand, daß, was er vorschlug, nothwendig, und was er durchführen wollte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/415>, abgerufen am 27.07.2024.