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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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fahrung hielt ihn von allem Conspiriren zurück. Darin muß die Geschichte ihm
Gerechtigkeit widerfahren lassen: er hat den Sturz der Bourbons durch eigene
Thätigkeit nicht beschleunigt -- so wenig als Heinrich Bolingbroke vor seiner Ver¬
bannung den Sturz des König Richard. Auf eine Revolution zu speculiren, von
der man nicht voraussehen konnte, ob sie mit dem Thron nicht mich alles Eigen¬
thum verschlingen würde, wäre auch in der That eine sehr schlechte Rechnung ge¬
wesen. Andererseits wird man auch uicht leugnen wollen, das; der Herzog durch
seine isolirte Haltung, durch seine Entfremdung vom Hof, dnrch seine enge Ver¬
bindung mit den Führern der Opposition der letztern einen Mittelpunkt und der
öffentlichen Meinung eine Gelegenheit gab, seine Bürgcrfreuudlichkeit mit der
mönchischen Aristokratie, die den-Staat beherrschte, in beständigen Vergleich zu
ziehen. Zu klug, sich uach irgend einer Seite hin etwas zu vergeben, war er
doch zu wenig edeldenleud, um mit offener Energie, dnrch Einfluß auf deu Hof
oder durch eine Leitung der liberalen Partei nach einer conservativen Richtung
hin, das drohende Verhängnis; abzuwenden, das er kommen sah. Er wußte sich
-- und das ist jene kleinlich bürgerliche Art -- nicht bloß den Anstrich eines
freisinnigen, patriotischen Mannes, sondern anch den Anschein eines Mannes zu
geben, der seine eigenen Ansichten der herrschenden Stimmung unterordnet, und der
daher vorzüglich geeignet ist, die Rolle eines constitutionellen Königs zu spielen.

Wenn wir seiue Thätigkeit während der Julirevolution im Einzelnen zer¬
gliedern, so wird sich kein Act nachweisen lassen, gegen deu ein directer Vorwurf
zu erheben wäre; ein Act, von dem man sagen könnte, das Heil Frankreichs hätte
den entgegengesetzten verlangt. Die Gründe, welche er damals in den Briefen
an die verschiedenen Monarchen, namentlich an den Kaiser von Rußland, sür
seine Schritte zu finden wußte -- daß er für die Erhaltung des monarchischen
Princips, sür den Frieden Europa's n. tgi. arbeite -- waren nie ohne Gewicht.
Aber welcher Partei man auch angehören mag, mau wird sich, wenn man unbe¬
fangen diese Documente vor Augen nimmt, eines unbehaglichen Gefühls uicht er¬
wehren können. So drückt sich uicht ein Mann aus, der für eine große Ueber-
zeugung eintritt; nicht ein Mann von mächtigem Willen. Die bloße Klugheit
hat aber nur eine Rechtfertigung -- deu Erfolg. Der Erfolg hat gegen Louis
Philipp gesprochen und ihn damit verurtheilt.

Die allgemeine Regel ist wohl, daß man sich nie von den heiligen Satzungen
des Rechts entfernt. Durch die Annahme der Krone aus deu Händen des Volks
gegen den Einspruch seiner in ihrem Recht gekränkten Verwandten hat es Ludwig
Philipp gethan. Die Ausnahme kann nur durch eine Begeisterung von positivem
Inhalt, oder durch einen, ans das Gefühl der eignen Kraft gegründeten Ehrgeiz
entschuldigt werden. Von beiden war hier nicht die Rede. Louis Philipp glaubte
nicht an die Souveränetät des Volks, der er huldigte, er schwärmte uicht für die
Sache der Demokratie, die er durchzuführen berufen war. Er wurde aber auch


fahrung hielt ihn von allem Conspiriren zurück. Darin muß die Geschichte ihm
Gerechtigkeit widerfahren lassen: er hat den Sturz der Bourbons durch eigene
Thätigkeit nicht beschleunigt — so wenig als Heinrich Bolingbroke vor seiner Ver¬
bannung den Sturz des König Richard. Auf eine Revolution zu speculiren, von
der man nicht voraussehen konnte, ob sie mit dem Thron nicht mich alles Eigen¬
thum verschlingen würde, wäre auch in der That eine sehr schlechte Rechnung ge¬
wesen. Andererseits wird man auch uicht leugnen wollen, das; der Herzog durch
seine isolirte Haltung, durch seine Entfremdung vom Hof, dnrch seine enge Ver¬
bindung mit den Führern der Opposition der letztern einen Mittelpunkt und der
öffentlichen Meinung eine Gelegenheit gab, seine Bürgcrfreuudlichkeit mit der
mönchischen Aristokratie, die den-Staat beherrschte, in beständigen Vergleich zu
ziehen. Zu klug, sich uach irgend einer Seite hin etwas zu vergeben, war er
doch zu wenig edeldenleud, um mit offener Energie, dnrch Einfluß auf deu Hof
oder durch eine Leitung der liberalen Partei nach einer conservativen Richtung
hin, das drohende Verhängnis; abzuwenden, das er kommen sah. Er wußte sich
— und das ist jene kleinlich bürgerliche Art — nicht bloß den Anstrich eines
freisinnigen, patriotischen Mannes, sondern anch den Anschein eines Mannes zu
geben, der seine eigenen Ansichten der herrschenden Stimmung unterordnet, und der
daher vorzüglich geeignet ist, die Rolle eines constitutionellen Königs zu spielen.

Wenn wir seiue Thätigkeit während der Julirevolution im Einzelnen zer¬
gliedern, so wird sich kein Act nachweisen lassen, gegen deu ein directer Vorwurf
zu erheben wäre; ein Act, von dem man sagen könnte, das Heil Frankreichs hätte
den entgegengesetzten verlangt. Die Gründe, welche er damals in den Briefen
an die verschiedenen Monarchen, namentlich an den Kaiser von Rußland, sür
seine Schritte zu finden wußte — daß er für die Erhaltung des monarchischen
Princips, sür den Frieden Europa's n. tgi. arbeite — waren nie ohne Gewicht.
Aber welcher Partei man auch angehören mag, mau wird sich, wenn man unbe¬
fangen diese Documente vor Augen nimmt, eines unbehaglichen Gefühls uicht er¬
wehren können. So drückt sich uicht ein Mann aus, der für eine große Ueber-
zeugung eintritt; nicht ein Mann von mächtigem Willen. Die bloße Klugheit
hat aber nur eine Rechtfertigung — deu Erfolg. Der Erfolg hat gegen Louis
Philipp gesprochen und ihn damit verurtheilt.

Die allgemeine Regel ist wohl, daß man sich nie von den heiligen Satzungen
des Rechts entfernt. Durch die Annahme der Krone aus deu Händen des Volks
gegen den Einspruch seiner in ihrem Recht gekränkten Verwandten hat es Ludwig
Philipp gethan. Die Ausnahme kann nur durch eine Begeisterung von positivem
Inhalt, oder durch einen, ans das Gefühl der eignen Kraft gegründeten Ehrgeiz
entschuldigt werden. Von beiden war hier nicht die Rede. Louis Philipp glaubte
nicht an die Souveränetät des Volks, der er huldigte, er schwärmte uicht für die
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[0412] fahrung hielt ihn von allem Conspiriren zurück. Darin muß die Geschichte ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen: er hat den Sturz der Bourbons durch eigene Thätigkeit nicht beschleunigt — so wenig als Heinrich Bolingbroke vor seiner Ver¬ bannung den Sturz des König Richard. Auf eine Revolution zu speculiren, von der man nicht voraussehen konnte, ob sie mit dem Thron nicht mich alles Eigen¬ thum verschlingen würde, wäre auch in der That eine sehr schlechte Rechnung ge¬ wesen. Andererseits wird man auch uicht leugnen wollen, das; der Herzog durch seine isolirte Haltung, durch seine Entfremdung vom Hof, dnrch seine enge Ver¬ bindung mit den Führern der Opposition der letztern einen Mittelpunkt und der öffentlichen Meinung eine Gelegenheit gab, seine Bürgcrfreuudlichkeit mit der mönchischen Aristokratie, die den-Staat beherrschte, in beständigen Vergleich zu ziehen. Zu klug, sich uach irgend einer Seite hin etwas zu vergeben, war er doch zu wenig edeldenleud, um mit offener Energie, dnrch Einfluß auf deu Hof oder durch eine Leitung der liberalen Partei nach einer conservativen Richtung hin, das drohende Verhängnis; abzuwenden, das er kommen sah. Er wußte sich — und das ist jene kleinlich bürgerliche Art — nicht bloß den Anstrich eines freisinnigen, patriotischen Mannes, sondern anch den Anschein eines Mannes zu geben, der seine eigenen Ansichten der herrschenden Stimmung unterordnet, und der daher vorzüglich geeignet ist, die Rolle eines constitutionellen Königs zu spielen. Wenn wir seiue Thätigkeit während der Julirevolution im Einzelnen zer¬ gliedern, so wird sich kein Act nachweisen lassen, gegen deu ein directer Vorwurf zu erheben wäre; ein Act, von dem man sagen könnte, das Heil Frankreichs hätte den entgegengesetzten verlangt. Die Gründe, welche er damals in den Briefen an die verschiedenen Monarchen, namentlich an den Kaiser von Rußland, sür seine Schritte zu finden wußte — daß er für die Erhaltung des monarchischen Princips, sür den Frieden Europa's n. tgi. arbeite — waren nie ohne Gewicht. Aber welcher Partei man auch angehören mag, mau wird sich, wenn man unbe¬ fangen diese Documente vor Augen nimmt, eines unbehaglichen Gefühls uicht er¬ wehren können. So drückt sich uicht ein Mann aus, der für eine große Ueber- zeugung eintritt; nicht ein Mann von mächtigem Willen. Die bloße Klugheit hat aber nur eine Rechtfertigung — deu Erfolg. Der Erfolg hat gegen Louis Philipp gesprochen und ihn damit verurtheilt. Die allgemeine Regel ist wohl, daß man sich nie von den heiligen Satzungen des Rechts entfernt. Durch die Annahme der Krone aus deu Händen des Volks gegen den Einspruch seiner in ihrem Recht gekränkten Verwandten hat es Ludwig Philipp gethan. Die Ausnahme kann nur durch eine Begeisterung von positivem Inhalt, oder durch einen, ans das Gefühl der eignen Kraft gegründeten Ehrgeiz entschuldigt werden. Von beiden war hier nicht die Rede. Louis Philipp glaubte nicht an die Souveränetät des Volks, der er huldigte, er schwärmte uicht für die Sache der Demokratie, die er durchzuführen berufen war. Er wurde aber auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/412>, abgerufen am 06.10.2024.