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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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durch und durch verständiges Leben -- aber eine mit Geist und Studium ge¬
schriebene Biographie von ihm würde das lehrreichste Handbuch für den modernen
Staatsmann sein.

Wir wollen uns zunächst an den König halten. Welch romantisches Gemälde,
wenn wir deu Lauf der Ereignisse überfliegen, in denen er eine Rolle spielte!
Aber wie gran werden die Farben, wenn wir ihn als deu eigentlichen Helden
betrachten!

Die französische Revolution ist nicht von dem Bürgerthum ausgegangen, wie
man es, irregeführt durch den spätem Lauf der Begebenheiten, behauptet hat,
souderu vom Adel. Die skeptische Philosophie Voltaire'ö mit ihrem leichten,
chevaleresken Auflug von Idealismus beschränkte sieh wesentlich ans die Kreise der
vornehmen Welt. Als das Königthum durch seinen Turgot, Necker n. s. w. die
prosaischen, bürgerlichen Reformen durchführen wollte, ohne welche der Staat zu
Grunde gehen mußte, widersetzte sich aus der einen Seite der Uebermuth des
Hofes, der Parlamente, der Noblesse de Robe -- der d'ESpremenil u. s. w. --
aus der andern drängte der Idealismus des in Voltaire's Schule aufgewachsenen
liberalen Adels -- der Lafayette, Lally Tolendal, Larochcsancould u. s. w. nach
einer andern Richtung hin. Freilich wußte schon in der constituirenden Versamm¬
lung das mächtig aufstrebende Bürgerthum das Steuerruder der Bewegung den
ungeschickten Händen zu entwinden; die Führer des liberalen Adels wanderten
aus, oder büßten ihren Ehrgeiz auf dem Schaffot. Nur in der Armee fand der
Adel seine Stellung, obgleich sie ihm auch hier sehr bald von den bürgerlichen
Emporkömmlingen streitig gemacht wurde.

Der junge Sohn deö Herzogs von Orleans, des Chefs der adeligen Oppo¬
sition, der Zögling der Fran von Genlis, war durch seine Geburt an die Partei
gewiesen. Seine Jugend und das Glück erhielten ihn fleckenlos in dieser sittlichen
Verwirrung, von der ein großer Theil der Schuld aus das Haupt seines Vaters
fällt. Er diente ehrenvoll gegen die Feinde Frankreichs und emigrirte mit
Dumouriez, einem politischen Abenteurer ohne Gesinnung und ohne Glanben,
der in ihm bereits den Gründer einer neuen Dynastie sah, als das Haupt des
Königs bereits gefallen war. Nicht das Schicksal der Dynastie, sondern die Ge¬
fahr der Besitzenden überhaupt und besonders deö Adels, hat ihn ans Frankreich
getrieben. Er schloß sich auch außerhalb Frankreichs nicht der eigentlichen, höfischen
Emigration an, er lebte als Privatmann in edler, bürgerlicher Unabhängigkeit.

Die Restauration gab ihm seine reichen Güter wieder, ohne ihm die Popularität
zu nehmen, die sich an seinen Namen und an seine schuldlose Vergangenheit knüpfte.
Von da an beginnen die Handlungen, für die man ihn eigentlich erst zurechnungs¬
fähig machen kann.

Seine Stellung zum Hof hatte viel Aehnlichkeit mit der seines Vaters. Nur
hatte er mehr Grund, sich von der herrschenden Partei zu trennen, und die Er-


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durch und durch verständiges Leben — aber eine mit Geist und Studium ge¬
schriebene Biographie von ihm würde das lehrreichste Handbuch für den modernen
Staatsmann sein.

Wir wollen uns zunächst an den König halten. Welch romantisches Gemälde,
wenn wir deu Lauf der Ereignisse überfliegen, in denen er eine Rolle spielte!
Aber wie gran werden die Farben, wenn wir ihn als deu eigentlichen Helden
betrachten!

Die französische Revolution ist nicht von dem Bürgerthum ausgegangen, wie
man es, irregeführt durch den spätem Lauf der Begebenheiten, behauptet hat,
souderu vom Adel. Die skeptische Philosophie Voltaire'ö mit ihrem leichten,
chevaleresken Auflug von Idealismus beschränkte sieh wesentlich ans die Kreise der
vornehmen Welt. Als das Königthum durch seinen Turgot, Necker n. s. w. die
prosaischen, bürgerlichen Reformen durchführen wollte, ohne welche der Staat zu
Grunde gehen mußte, widersetzte sich aus der einen Seite der Uebermuth des
Hofes, der Parlamente, der Noblesse de Robe — der d'ESpremenil u. s. w. —
aus der andern drängte der Idealismus des in Voltaire's Schule aufgewachsenen
liberalen Adels — der Lafayette, Lally Tolendal, Larochcsancould u. s. w. nach
einer andern Richtung hin. Freilich wußte schon in der constituirenden Versamm¬
lung das mächtig aufstrebende Bürgerthum das Steuerruder der Bewegung den
ungeschickten Händen zu entwinden; die Führer des liberalen Adels wanderten
aus, oder büßten ihren Ehrgeiz auf dem Schaffot. Nur in der Armee fand der
Adel seine Stellung, obgleich sie ihm auch hier sehr bald von den bürgerlichen
Emporkömmlingen streitig gemacht wurde.

Der junge Sohn deö Herzogs von Orleans, des Chefs der adeligen Oppo¬
sition, der Zögling der Fran von Genlis, war durch seine Geburt an die Partei
gewiesen. Seine Jugend und das Glück erhielten ihn fleckenlos in dieser sittlichen
Verwirrung, von der ein großer Theil der Schuld aus das Haupt seines Vaters
fällt. Er diente ehrenvoll gegen die Feinde Frankreichs und emigrirte mit
Dumouriez, einem politischen Abenteurer ohne Gesinnung und ohne Glanben,
der in ihm bereits den Gründer einer neuen Dynastie sah, als das Haupt des
Königs bereits gefallen war. Nicht das Schicksal der Dynastie, sondern die Ge¬
fahr der Besitzenden überhaupt und besonders deö Adels, hat ihn ans Frankreich
getrieben. Er schloß sich auch außerhalb Frankreichs nicht der eigentlichen, höfischen
Emigration an, er lebte als Privatmann in edler, bürgerlicher Unabhängigkeit.

Die Restauration gab ihm seine reichen Güter wieder, ohne ihm die Popularität
zu nehmen, die sich an seinen Namen und an seine schuldlose Vergangenheit knüpfte.
Von da an beginnen die Handlungen, für die man ihn eigentlich erst zurechnungs¬
fähig machen kann.

Seine Stellung zum Hof hatte viel Aehnlichkeit mit der seines Vaters. Nur
hatte er mehr Grund, sich von der herrschenden Partei zu trennen, und die Er-


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[0411] durch und durch verständiges Leben — aber eine mit Geist und Studium ge¬ schriebene Biographie von ihm würde das lehrreichste Handbuch für den modernen Staatsmann sein. Wir wollen uns zunächst an den König halten. Welch romantisches Gemälde, wenn wir deu Lauf der Ereignisse überfliegen, in denen er eine Rolle spielte! Aber wie gran werden die Farben, wenn wir ihn als deu eigentlichen Helden betrachten! Die französische Revolution ist nicht von dem Bürgerthum ausgegangen, wie man es, irregeführt durch den spätem Lauf der Begebenheiten, behauptet hat, souderu vom Adel. Die skeptische Philosophie Voltaire'ö mit ihrem leichten, chevaleresken Auflug von Idealismus beschränkte sieh wesentlich ans die Kreise der vornehmen Welt. Als das Königthum durch seinen Turgot, Necker n. s. w. die prosaischen, bürgerlichen Reformen durchführen wollte, ohne welche der Staat zu Grunde gehen mußte, widersetzte sich aus der einen Seite der Uebermuth des Hofes, der Parlamente, der Noblesse de Robe — der d'ESpremenil u. s. w. — aus der andern drängte der Idealismus des in Voltaire's Schule aufgewachsenen liberalen Adels — der Lafayette, Lally Tolendal, Larochcsancould u. s. w. nach einer andern Richtung hin. Freilich wußte schon in der constituirenden Versamm¬ lung das mächtig aufstrebende Bürgerthum das Steuerruder der Bewegung den ungeschickten Händen zu entwinden; die Führer des liberalen Adels wanderten aus, oder büßten ihren Ehrgeiz auf dem Schaffot. Nur in der Armee fand der Adel seine Stellung, obgleich sie ihm auch hier sehr bald von den bürgerlichen Emporkömmlingen streitig gemacht wurde. Der junge Sohn deö Herzogs von Orleans, des Chefs der adeligen Oppo¬ sition, der Zögling der Fran von Genlis, war durch seine Geburt an die Partei gewiesen. Seine Jugend und das Glück erhielten ihn fleckenlos in dieser sittlichen Verwirrung, von der ein großer Theil der Schuld aus das Haupt seines Vaters fällt. Er diente ehrenvoll gegen die Feinde Frankreichs und emigrirte mit Dumouriez, einem politischen Abenteurer ohne Gesinnung und ohne Glanben, der in ihm bereits den Gründer einer neuen Dynastie sah, als das Haupt des Königs bereits gefallen war. Nicht das Schicksal der Dynastie, sondern die Ge¬ fahr der Besitzenden überhaupt und besonders deö Adels, hat ihn ans Frankreich getrieben. Er schloß sich auch außerhalb Frankreichs nicht der eigentlichen, höfischen Emigration an, er lebte als Privatmann in edler, bürgerlicher Unabhängigkeit. Die Restauration gab ihm seine reichen Güter wieder, ohne ihm die Popularität zu nehmen, die sich an seinen Namen und an seine schuldlose Vergangenheit knüpfte. Von da an beginnen die Handlungen, für die man ihn eigentlich erst zurechnungs¬ fähig machen kann. Seine Stellung zum Hof hatte viel Aehnlichkeit mit der seines Vaters. Nur hatte er mehr Grund, sich von der herrschenden Partei zu trennen, und die Er- 51*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/411>, abgerufen am 01.09.2024.