Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einzugehen. Preußen ist am wenigsten geeignet, das Princip der Legitimität in
sich durchzuführen, weil es seiner ganzen Lage nach ein erobernder Staat ist;
schon seine Existenz war eigentlich ein Unrecht gegen das gesetz¬
lich Bestehende. Ans der doppelten Vasallenschast, dem römischen Reich und
der polnischen Krone gegenüber, haben die Hohenzollern durch das Schwert sich
die Souveränetät erobert. Die Theilung Polens wie die Schilderhcbnng gegen
den Kaiser waren dem Staate schon in seiner Wiege vorgezeichnet. Es hat die
Bande des Reichs gesprengt, und eben darum hatte es den Beruf, sie in seiner
Hand wieder zu vereinigen. Diesen Punkt darf man nicht ans den Augen
lassen, wenn man die preußische Verfassung nicht einseitig beurtheilen will, denn
es handelte sich in ihr ebensowohl um eine friedliche Eroberung Deutschlands als
um eine Reform des innern Staatslebens.

Wir verlangten die Verfassung, um ans Preußen eine Nation zu macheu.
Die übrigen Motive, so schwer sie an sich sind, fallen neben diesem wenig in's
Gewicht. Der Gedanke, diese Nation bis zu ihren natürlichen Grenzen auszu¬
dehnen, war unzertrennlich damit verbunden.

Freilich soll die Verfassung auch eine Garantie geben gegen die Fehler und
Willkürlichkeiten der Verwaltung, sie soll dem Staatsleben Kräfte zuführen, die
ihm sonst fremd geblieben wären. Die Hauptsache ist aber der moralische Ein¬
druck, den sie auf das Volk macht. Die materiellen Interessen können anch im
aufgeklärten Despotismus gefördert werdeu, und wenn er verständig ist, so wird
er durch eine Repräsentation der Interessen (Handelskammer n. s. w.) seine eigene
Einsicht ergänzen, und die Freiheit der Association (Eisenbahnen u. s. w.) seinem
eigenen Vortheil zu Liebe erweitern. Wenigstens wird sich schwer erweisen lassen,
daß die gemischte Vertretung, nach welchem Wahlgesetz auch immer, unbedingte
Bürgschaft für die zweckmäßigste Verwendung der materiellen Mittel böte.

Aber der Mensch hat höhere Güter, als das materielle Wohlsein. Das
höchste ist das Gefühl, freies Glied eines mächtigen Gemeinwesens zu sein. Eine
Grundlage für dieses Gefühl war bei uns die militärische Ehre, der Stolz aus
den preußischen Kriegsruhm. Aber ans die Dauer kann ein Volk vo.n der Er¬
innerung an eine große Zeit nicht leben. Um dauerndes Interesse am Staate zu
nehmen, muß man wissen, was darin vorgeht, muß man eine, wenn auch noch
so beschränkte Strlle haben, für die Realisirung des eigenen Willens darin zu
arbeiten.

Wenn die Krone diese nothwendige Ergänzung des Staats in der Wieder¬
belebung der alten, durch die Monarchie gebrochenen Stände suchte, so war die-,
ser Gedanke an sich nicht verwerflich, wenn sie nur uicht deu doppelten Fehler
begangen hatte, einmal die Standschaft an so künstliche Bedingungen zu knüpfen,
daß nur ein äußerst geringer Theil der Befähigten dazu berufen war, und dann
den Wirkungskreis derselben so einzuengen, daß die Stände vor dem Volk fort-


einzugehen. Preußen ist am wenigsten geeignet, das Princip der Legitimität in
sich durchzuführen, weil es seiner ganzen Lage nach ein erobernder Staat ist;
schon seine Existenz war eigentlich ein Unrecht gegen das gesetz¬
lich Bestehende. Ans der doppelten Vasallenschast, dem römischen Reich und
der polnischen Krone gegenüber, haben die Hohenzollern durch das Schwert sich
die Souveränetät erobert. Die Theilung Polens wie die Schilderhcbnng gegen
den Kaiser waren dem Staate schon in seiner Wiege vorgezeichnet. Es hat die
Bande des Reichs gesprengt, und eben darum hatte es den Beruf, sie in seiner
Hand wieder zu vereinigen. Diesen Punkt darf man nicht ans den Augen
lassen, wenn man die preußische Verfassung nicht einseitig beurtheilen will, denn
es handelte sich in ihr ebensowohl um eine friedliche Eroberung Deutschlands als
um eine Reform des innern Staatslebens.

Wir verlangten die Verfassung, um ans Preußen eine Nation zu macheu.
Die übrigen Motive, so schwer sie an sich sind, fallen neben diesem wenig in's
Gewicht. Der Gedanke, diese Nation bis zu ihren natürlichen Grenzen auszu¬
dehnen, war unzertrennlich damit verbunden.

Freilich soll die Verfassung auch eine Garantie geben gegen die Fehler und
Willkürlichkeiten der Verwaltung, sie soll dem Staatsleben Kräfte zuführen, die
ihm sonst fremd geblieben wären. Die Hauptsache ist aber der moralische Ein¬
druck, den sie auf das Volk macht. Die materiellen Interessen können anch im
aufgeklärten Despotismus gefördert werdeu, und wenn er verständig ist, so wird
er durch eine Repräsentation der Interessen (Handelskammer n. s. w.) seine eigene
Einsicht ergänzen, und die Freiheit der Association (Eisenbahnen u. s. w.) seinem
eigenen Vortheil zu Liebe erweitern. Wenigstens wird sich schwer erweisen lassen,
daß die gemischte Vertretung, nach welchem Wahlgesetz auch immer, unbedingte
Bürgschaft für die zweckmäßigste Verwendung der materiellen Mittel böte.

Aber der Mensch hat höhere Güter, als das materielle Wohlsein. Das
höchste ist das Gefühl, freies Glied eines mächtigen Gemeinwesens zu sein. Eine
Grundlage für dieses Gefühl war bei uns die militärische Ehre, der Stolz aus
den preußischen Kriegsruhm. Aber ans die Dauer kann ein Volk vo.n der Er¬
innerung an eine große Zeit nicht leben. Um dauerndes Interesse am Staate zu
nehmen, muß man wissen, was darin vorgeht, muß man eine, wenn auch noch
so beschränkte Strlle haben, für die Realisirung des eigenen Willens darin zu
arbeiten.

Wenn die Krone diese nothwendige Ergänzung des Staats in der Wieder¬
belebung der alten, durch die Monarchie gebrochenen Stände suchte, so war die-,
ser Gedanke an sich nicht verwerflich, wenn sie nur uicht deu doppelten Fehler
begangen hatte, einmal die Standschaft an so künstliche Bedingungen zu knüpfen,
daß nur ein äußerst geringer Theil der Befähigten dazu berufen war, und dann
den Wirkungskreis derselben so einzuengen, daß die Stände vor dem Volk fort-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0340" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85923"/>
          <p xml:id="ID_1164" prev="#ID_1163"> einzugehen. Preußen ist am wenigsten geeignet, das Princip der Legitimität in<lb/>
sich durchzuführen, weil es seiner ganzen Lage nach ein erobernder Staat ist;<lb/>
schon seine Existenz war eigentlich ein Unrecht gegen das gesetz¬<lb/>
lich Bestehende. Ans der doppelten Vasallenschast, dem römischen Reich und<lb/>
der polnischen Krone gegenüber, haben die Hohenzollern durch das Schwert sich<lb/>
die Souveränetät erobert. Die Theilung Polens wie die Schilderhcbnng gegen<lb/>
den Kaiser waren dem Staate schon in seiner Wiege vorgezeichnet. Es hat die<lb/>
Bande des Reichs gesprengt, und eben darum hatte es den Beruf, sie in seiner<lb/>
Hand wieder zu vereinigen. Diesen Punkt darf man nicht ans den Augen<lb/>
lassen, wenn man die preußische Verfassung nicht einseitig beurtheilen will, denn<lb/>
es handelte sich in ihr ebensowohl um eine friedliche Eroberung Deutschlands als<lb/>
um eine Reform des innern Staatslebens.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1165"> Wir verlangten die Verfassung, um ans Preußen eine Nation zu macheu.<lb/>
Die übrigen Motive, so schwer sie an sich sind, fallen neben diesem wenig in's<lb/>
Gewicht. Der Gedanke, diese Nation bis zu ihren natürlichen Grenzen auszu¬<lb/>
dehnen, war unzertrennlich damit verbunden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1166"> Freilich soll die Verfassung auch eine Garantie geben gegen die Fehler und<lb/>
Willkürlichkeiten der Verwaltung, sie soll dem Staatsleben Kräfte zuführen, die<lb/>
ihm sonst fremd geblieben wären. Die Hauptsache ist aber der moralische Ein¬<lb/>
druck, den sie auf das Volk macht. Die materiellen Interessen können anch im<lb/>
aufgeklärten Despotismus gefördert werdeu, und wenn er verständig ist, so wird<lb/>
er durch eine Repräsentation der Interessen (Handelskammer n. s. w.) seine eigene<lb/>
Einsicht ergänzen, und die Freiheit der Association (Eisenbahnen u. s. w.) seinem<lb/>
eigenen Vortheil zu Liebe erweitern. Wenigstens wird sich schwer erweisen lassen,<lb/>
daß die gemischte Vertretung, nach welchem Wahlgesetz auch immer, unbedingte<lb/>
Bürgschaft für die zweckmäßigste Verwendung der materiellen Mittel böte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1167"> Aber der Mensch hat höhere Güter, als das materielle Wohlsein. Das<lb/>
höchste ist das Gefühl, freies Glied eines mächtigen Gemeinwesens zu sein. Eine<lb/>
Grundlage für dieses Gefühl war bei uns die militärische Ehre, der Stolz aus<lb/>
den preußischen Kriegsruhm. Aber ans die Dauer kann ein Volk vo.n der Er¬<lb/>
innerung an eine große Zeit nicht leben. Um dauerndes Interesse am Staate zu<lb/>
nehmen, muß man wissen, was darin vorgeht, muß man eine, wenn auch noch<lb/>
so beschränkte Strlle haben, für die Realisirung des eigenen Willens darin zu<lb/>
arbeiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1168" next="#ID_1169"> Wenn die Krone diese nothwendige Ergänzung des Staats in der Wieder¬<lb/>
belebung der alten, durch die Monarchie gebrochenen Stände suchte, so war die-,<lb/>
ser Gedanke an sich nicht verwerflich, wenn sie nur uicht deu doppelten Fehler<lb/>
begangen hatte, einmal die Standschaft an so künstliche Bedingungen zu knüpfen,<lb/>
daß nur ein äußerst geringer Theil der Befähigten dazu berufen war, und dann<lb/>
den Wirkungskreis derselben so einzuengen, daß die Stände vor dem Volk fort-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0340] einzugehen. Preußen ist am wenigsten geeignet, das Princip der Legitimität in sich durchzuführen, weil es seiner ganzen Lage nach ein erobernder Staat ist; schon seine Existenz war eigentlich ein Unrecht gegen das gesetz¬ lich Bestehende. Ans der doppelten Vasallenschast, dem römischen Reich und der polnischen Krone gegenüber, haben die Hohenzollern durch das Schwert sich die Souveränetät erobert. Die Theilung Polens wie die Schilderhcbnng gegen den Kaiser waren dem Staate schon in seiner Wiege vorgezeichnet. Es hat die Bande des Reichs gesprengt, und eben darum hatte es den Beruf, sie in seiner Hand wieder zu vereinigen. Diesen Punkt darf man nicht ans den Augen lassen, wenn man die preußische Verfassung nicht einseitig beurtheilen will, denn es handelte sich in ihr ebensowohl um eine friedliche Eroberung Deutschlands als um eine Reform des innern Staatslebens. Wir verlangten die Verfassung, um ans Preußen eine Nation zu macheu. Die übrigen Motive, so schwer sie an sich sind, fallen neben diesem wenig in's Gewicht. Der Gedanke, diese Nation bis zu ihren natürlichen Grenzen auszu¬ dehnen, war unzertrennlich damit verbunden. Freilich soll die Verfassung auch eine Garantie geben gegen die Fehler und Willkürlichkeiten der Verwaltung, sie soll dem Staatsleben Kräfte zuführen, die ihm sonst fremd geblieben wären. Die Hauptsache ist aber der moralische Ein¬ druck, den sie auf das Volk macht. Die materiellen Interessen können anch im aufgeklärten Despotismus gefördert werdeu, und wenn er verständig ist, so wird er durch eine Repräsentation der Interessen (Handelskammer n. s. w.) seine eigene Einsicht ergänzen, und die Freiheit der Association (Eisenbahnen u. s. w.) seinem eigenen Vortheil zu Liebe erweitern. Wenigstens wird sich schwer erweisen lassen, daß die gemischte Vertretung, nach welchem Wahlgesetz auch immer, unbedingte Bürgschaft für die zweckmäßigste Verwendung der materiellen Mittel böte. Aber der Mensch hat höhere Güter, als das materielle Wohlsein. Das höchste ist das Gefühl, freies Glied eines mächtigen Gemeinwesens zu sein. Eine Grundlage für dieses Gefühl war bei uns die militärische Ehre, der Stolz aus den preußischen Kriegsruhm. Aber ans die Dauer kann ein Volk vo.n der Er¬ innerung an eine große Zeit nicht leben. Um dauerndes Interesse am Staate zu nehmen, muß man wissen, was darin vorgeht, muß man eine, wenn auch noch so beschränkte Strlle haben, für die Realisirung des eigenen Willens darin zu arbeiten. Wenn die Krone diese nothwendige Ergänzung des Staats in der Wieder¬ belebung der alten, durch die Monarchie gebrochenen Stände suchte, so war die-, ser Gedanke an sich nicht verwerflich, wenn sie nur uicht deu doppelten Fehler begangen hatte, einmal die Standschaft an so künstliche Bedingungen zu knüpfen, daß nur ein äußerst geringer Theil der Befähigten dazu berufen war, und dann den Wirkungskreis derselben so einzuengen, daß die Stände vor dem Volk fort-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/340
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/340>, abgerufen am 27.07.2024.