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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Abgesehen davon, daß anch diese beiden die Konsequenz ihres Princips
nicht zu wahren vermochten, daß die anglicanische Kirche es war, die für den
endlichen Sturz der Stuarts den Ausschlag gab, daß die lutherischen Pastoren
ihrer Obrigkeit zuletzt doch die Einwilligung zur Empörung gegen das heilige
römische Reich nicht versagen konnten -- so ist die zweite Frage die: war jener
Zustand der principiellen Unterthanenschast, wie er von Luther bis auf Friedrich
den Großen in Deutschland der herrschende war, in sittlicher oder in sonst irgend
einer geistigen Beziehung geeignet, unserer Phantasie als Ideal einer haltbaren
Weltordnung vorgestellt zu werden? War die Zeit der öffentlichen Kirchenbußen, die
Zeit, wo jeder Pastor deu Laien öffentlich abkanzelte, wenn er Kleider trug, die
über seinen Staub hinausgingen; wo jeder Fürst in Finanz - und militärischen
Sachen seinen Hofprediger zu Rathe zog, so lange bis ein zweiter Gottcsgelehrter
durch allerlei Intriguen die Obrigkeit zu der Einsicht brachte, das Glaubenssystem
seines Vorgängers schmecke nach Schwenkfeldianiömus, oder nach Calvinismus, oder
nach Socinianismus, und dann der mächtige Mann in'S Gefäugniß zu den Natten
gesteckt wurde, um für seine irrigen Meinungen über das Himmelreich Buße zu
thun:--war jene Zeit es wirklich Werth, daß wir nach ihr znrücktrachten,
selbst um den Greueln der frechen und unehrerbietigem Revolution zu entgehen?

Unsere Historiker haben mit dieser Zeit der Hexenprocesse, der Alchhmie, der
Astrologie, der unendlichen theologischen Folianten, der in allen Hofen und Städten
herrschenden Krähwinkelei zu schon gethan, als daß es nicht einmal der Mühe
verlohnte, die Kehrseite deö Heiligenbildes zu betrachten. Ans diesem Grund
machen wir auf ein vormärzliches Buch aufmerksam, das trotz seiner Frivolität,
seiner Paradoxenjägerei, seiner studentischen Renommage in mancher Beziehung die
Anschauungsweise des Publicums zu ergänzen geeignet sein möchte.

Martin von Geismar ist nämlich Edgar Bauer, der Bruder Bruno's, des
souveränen Berliner Kritikers. Ans welchem Grund er die Maske eines Edel¬
mannes vorgesteckt hat, darüber wird das folgende Fragment Auskunft geben, das
ich hier anführe, um von dem Ton des Ganzen einen Begriff zu geben.

"Während das Papstthum in Rom die Peterskirche baute, sich in Bewunderung
und Nachahmung der classischen Poesie ergötzte, und sich höchstens dnrch einen
schön gemalten Kreuzestod Christi an das Dogma von der menschlichen Verwerf¬
lichkeit erinnern ließ, vermochte es für das deutsche Volk keinen bessern Repräsen¬
tanten zu finden, als den Ablaßkrämer Johannes Tetzel. Die barocken Gascon-
naden dieses Hanswurstes, die komischen, übertriebenen, übermüthigen Lügen dieser
Carricatur eiues Apostels, das war allein die Art, wie der heilige Repräsentant
des Herrn sich noch dem christlichen Pöbel verständlich machen konnte.

"Wenn sie fleißig bezahlten, sagte Tetzel zu den Annabergern, so würden alle
Berge dortherum zu gediegenem Silber werden. Er strengte sein Genie zu
Erfindung von Sünden an, für die, anch erst künftig begangen, man jetzt schon


Abgesehen davon, daß anch diese beiden die Konsequenz ihres Princips
nicht zu wahren vermochten, daß die anglicanische Kirche es war, die für den
endlichen Sturz der Stuarts den Ausschlag gab, daß die lutherischen Pastoren
ihrer Obrigkeit zuletzt doch die Einwilligung zur Empörung gegen das heilige
römische Reich nicht versagen konnten — so ist die zweite Frage die: war jener
Zustand der principiellen Unterthanenschast, wie er von Luther bis auf Friedrich
den Großen in Deutschland der herrschende war, in sittlicher oder in sonst irgend
einer geistigen Beziehung geeignet, unserer Phantasie als Ideal einer haltbaren
Weltordnung vorgestellt zu werden? War die Zeit der öffentlichen Kirchenbußen, die
Zeit, wo jeder Pastor deu Laien öffentlich abkanzelte, wenn er Kleider trug, die
über seinen Staub hinausgingen; wo jeder Fürst in Finanz - und militärischen
Sachen seinen Hofprediger zu Rathe zog, so lange bis ein zweiter Gottcsgelehrter
durch allerlei Intriguen die Obrigkeit zu der Einsicht brachte, das Glaubenssystem
seines Vorgängers schmecke nach Schwenkfeldianiömus, oder nach Calvinismus, oder
nach Socinianismus, und dann der mächtige Mann in'S Gefäugniß zu den Natten
gesteckt wurde, um für seine irrigen Meinungen über das Himmelreich Buße zu
thun:--war jene Zeit es wirklich Werth, daß wir nach ihr znrücktrachten,
selbst um den Greueln der frechen und unehrerbietigem Revolution zu entgehen?

Unsere Historiker haben mit dieser Zeit der Hexenprocesse, der Alchhmie, der
Astrologie, der unendlichen theologischen Folianten, der in allen Hofen und Städten
herrschenden Krähwinkelei zu schon gethan, als daß es nicht einmal der Mühe
verlohnte, die Kehrseite deö Heiligenbildes zu betrachten. Ans diesem Grund
machen wir auf ein vormärzliches Buch aufmerksam, das trotz seiner Frivolität,
seiner Paradoxenjägerei, seiner studentischen Renommage in mancher Beziehung die
Anschauungsweise des Publicums zu ergänzen geeignet sein möchte.

Martin von Geismar ist nämlich Edgar Bauer, der Bruder Bruno's, des
souveränen Berliner Kritikers. Ans welchem Grund er die Maske eines Edel¬
mannes vorgesteckt hat, darüber wird das folgende Fragment Auskunft geben, das
ich hier anführe, um von dem Ton des Ganzen einen Begriff zu geben.

„Während das Papstthum in Rom die Peterskirche baute, sich in Bewunderung
und Nachahmung der classischen Poesie ergötzte, und sich höchstens dnrch einen
schön gemalten Kreuzestod Christi an das Dogma von der menschlichen Verwerf¬
lichkeit erinnern ließ, vermochte es für das deutsche Volk keinen bessern Repräsen¬
tanten zu finden, als den Ablaßkrämer Johannes Tetzel. Die barocken Gascon-
naden dieses Hanswurstes, die komischen, übertriebenen, übermüthigen Lügen dieser
Carricatur eiues Apostels, das war allein die Art, wie der heilige Repräsentant
des Herrn sich noch dem christlichen Pöbel verständlich machen konnte.

„Wenn sie fleißig bezahlten, sagte Tetzel zu den Annabergern, so würden alle
Berge dortherum zu gediegenem Silber werden. Er strengte sein Genie zu
Erfindung von Sünden an, für die, anch erst künftig begangen, man jetzt schon


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[0317] Abgesehen davon, daß anch diese beiden die Konsequenz ihres Princips nicht zu wahren vermochten, daß die anglicanische Kirche es war, die für den endlichen Sturz der Stuarts den Ausschlag gab, daß die lutherischen Pastoren ihrer Obrigkeit zuletzt doch die Einwilligung zur Empörung gegen das heilige römische Reich nicht versagen konnten — so ist die zweite Frage die: war jener Zustand der principiellen Unterthanenschast, wie er von Luther bis auf Friedrich den Großen in Deutschland der herrschende war, in sittlicher oder in sonst irgend einer geistigen Beziehung geeignet, unserer Phantasie als Ideal einer haltbaren Weltordnung vorgestellt zu werden? War die Zeit der öffentlichen Kirchenbußen, die Zeit, wo jeder Pastor deu Laien öffentlich abkanzelte, wenn er Kleider trug, die über seinen Staub hinausgingen; wo jeder Fürst in Finanz - und militärischen Sachen seinen Hofprediger zu Rathe zog, so lange bis ein zweiter Gottcsgelehrter durch allerlei Intriguen die Obrigkeit zu der Einsicht brachte, das Glaubenssystem seines Vorgängers schmecke nach Schwenkfeldianiömus, oder nach Calvinismus, oder nach Socinianismus, und dann der mächtige Mann in'S Gefäugniß zu den Natten gesteckt wurde, um für seine irrigen Meinungen über das Himmelreich Buße zu thun:--war jene Zeit es wirklich Werth, daß wir nach ihr znrücktrachten, selbst um den Greueln der frechen und unehrerbietigem Revolution zu entgehen? Unsere Historiker haben mit dieser Zeit der Hexenprocesse, der Alchhmie, der Astrologie, der unendlichen theologischen Folianten, der in allen Hofen und Städten herrschenden Krähwinkelei zu schon gethan, als daß es nicht einmal der Mühe verlohnte, die Kehrseite deö Heiligenbildes zu betrachten. Ans diesem Grund machen wir auf ein vormärzliches Buch aufmerksam, das trotz seiner Frivolität, seiner Paradoxenjägerei, seiner studentischen Renommage in mancher Beziehung die Anschauungsweise des Publicums zu ergänzen geeignet sein möchte. Martin von Geismar ist nämlich Edgar Bauer, der Bruder Bruno's, des souveränen Berliner Kritikers. Ans welchem Grund er die Maske eines Edel¬ mannes vorgesteckt hat, darüber wird das folgende Fragment Auskunft geben, das ich hier anführe, um von dem Ton des Ganzen einen Begriff zu geben. „Während das Papstthum in Rom die Peterskirche baute, sich in Bewunderung und Nachahmung der classischen Poesie ergötzte, und sich höchstens dnrch einen schön gemalten Kreuzestod Christi an das Dogma von der menschlichen Verwerf¬ lichkeit erinnern ließ, vermochte es für das deutsche Volk keinen bessern Repräsen¬ tanten zu finden, als den Ablaßkrämer Johannes Tetzel. Die barocken Gascon- naden dieses Hanswurstes, die komischen, übertriebenen, übermüthigen Lügen dieser Carricatur eiues Apostels, das war allein die Art, wie der heilige Repräsentant des Herrn sich noch dem christlichen Pöbel verständlich machen konnte. „Wenn sie fleißig bezahlten, sagte Tetzel zu den Annabergern, so würden alle Berge dortherum zu gediegenem Silber werden. Er strengte sein Genie zu Erfindung von Sünden an, für die, anch erst künftig begangen, man jetzt schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/317>, abgerufen am 01.09.2024.