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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Die unten angezeigten amerikanischen Novellen, die in der Ullriche unserer
Politik nicht so viel Beachtung gefunden haben, wie ihnen sonst unter allen Um¬
ständen zu Theil geworden mare, und wie sie es auch verdienen, werden jetzt
von Neuem hervorgesucht werden. Der Verfasser gehört zu jenen eigenthümlichen
Naturen, die eine beständige Unruhe nach allen Weltgegenden treibt. Seit vielen
Jahren hat er in den verschiedenartigsten Situationen sein Gelüst nach der Fremde
befriedigt; er hat mit den Squatters in Arkansas gejagt, als Schiffskoch ist er
auf dem Mississippi gefahren, und wenn er einmal ausruhte, so war es uur, um
die Abentheuer und Anschauungen seines vielfach bewegten Lebens dem Kreise
seiner Freunde mitzutheilen, dessen Größe dem Neichthum seiner Anschauungen
und der Tüchtigkeit seines Gemüths entsprach.

Die Leihbibliotheken, so wie sämmtliche Journale, die sich mit dergleichen
Dingen beschäftigen, enthalten die Acten seiner wunderlichen Irrfahrten. Natürlich
anch eine Menge Jagdgeschichten. Fast überall hat er seine Mittheilungen in
ein romantisches Gewand gekleidet, was fut deu gewissenhaften Leser, der überall
gern wissen möchte, wie weit die Phantasie geht, und wie weit die reale An¬
schauung, etwas Unbequemes hat; dagegen den Vortheil gewährt, zu einem lebens¬
vollen Bilde zu ergänzen, was sonst nnr fragmentarische Bemerkung geblieben wäre.

Man fühlt bei allen Erzählungen die Unmittelbarkeit der Anschauung und
der Theilnahme heraus. Trotz der schon erwähnten Jagdgeschichten ist überall,
wenn man nur auf die Totalität des Bildes ausgeht, das Gepräge der Wahrheit.
Es weht aus ihnen ein Hauch von den Düften des Urwalds, es spricht sich überall
ein tüchtiger, gesunder Sinn und eine warme Liebe zu den Menschen aus.
Deu blendenden Glanz der Sealsfield'schen Schilderungen würden wir vergebens
darin suchen, dafür hat der Verfasser es auch vermieden, in unruhiger Combination
seltsamer Farbenverhältnisse barock und unverständlich zu werden.

Von diesem allgemeinen Lobe nehmen wir nnr den einen Roman aus, der,
wie es scheint, das größte Publicum und die weiteste Verbreitung gefunden hat:
die Quäkerstadt und ihre Geheimnisse. Es ist das ein ganz schlechtes Buch, eine
Nachbildung der Mysterien von Engen Sue, und unter der ganzen Classe
schwarzer Schilderungen, die damals aus den Zuchthäusern, Bordellen und Kloaken
der Hauptstädte das Publicum überschmemmten, eine der ungeheuerlichsten. Die
vier Bände umfassen uur drei Tage und drei Nächte, aber innerhalb dieser kurzen
Zeit wird z. B. der eine Liebhaber dreimal durch eine Fallthür in einen un¬
ermeßlichen Abgrund gestürzt, zweimal vergiftet, einmal lebendig begraben, dazu
durch Prügel, Messerstiche und Pistolen beschädigt, und steht doch immer gesund
wieder auf. Nothzucht, Giftmord, Völlerei u. tgi. gehört zu den gewöhnlichsten
Dingen. Diese Literatur aus Schmutz und Blut, die keineswegs aus den
philanthropisch-socialistischen Motiven, mit denen man sie gewöhnlich beschönigt,
zu erklären ist, sondern ans dem krankhaften Gelüst überreizter Nerven, sich an


Die unten angezeigten amerikanischen Novellen, die in der Ullriche unserer
Politik nicht so viel Beachtung gefunden haben, wie ihnen sonst unter allen Um¬
ständen zu Theil geworden mare, und wie sie es auch verdienen, werden jetzt
von Neuem hervorgesucht werden. Der Verfasser gehört zu jenen eigenthümlichen
Naturen, die eine beständige Unruhe nach allen Weltgegenden treibt. Seit vielen
Jahren hat er in den verschiedenartigsten Situationen sein Gelüst nach der Fremde
befriedigt; er hat mit den Squatters in Arkansas gejagt, als Schiffskoch ist er
auf dem Mississippi gefahren, und wenn er einmal ausruhte, so war es uur, um
die Abentheuer und Anschauungen seines vielfach bewegten Lebens dem Kreise
seiner Freunde mitzutheilen, dessen Größe dem Neichthum seiner Anschauungen
und der Tüchtigkeit seines Gemüths entsprach.

Die Leihbibliotheken, so wie sämmtliche Journale, die sich mit dergleichen
Dingen beschäftigen, enthalten die Acten seiner wunderlichen Irrfahrten. Natürlich
anch eine Menge Jagdgeschichten. Fast überall hat er seine Mittheilungen in
ein romantisches Gewand gekleidet, was fut deu gewissenhaften Leser, der überall
gern wissen möchte, wie weit die Phantasie geht, und wie weit die reale An¬
schauung, etwas Unbequemes hat; dagegen den Vortheil gewährt, zu einem lebens¬
vollen Bilde zu ergänzen, was sonst nnr fragmentarische Bemerkung geblieben wäre.

Man fühlt bei allen Erzählungen die Unmittelbarkeit der Anschauung und
der Theilnahme heraus. Trotz der schon erwähnten Jagdgeschichten ist überall,
wenn man nur auf die Totalität des Bildes ausgeht, das Gepräge der Wahrheit.
Es weht aus ihnen ein Hauch von den Düften des Urwalds, es spricht sich überall
ein tüchtiger, gesunder Sinn und eine warme Liebe zu den Menschen aus.
Deu blendenden Glanz der Sealsfield'schen Schilderungen würden wir vergebens
darin suchen, dafür hat der Verfasser es auch vermieden, in unruhiger Combination
seltsamer Farbenverhältnisse barock und unverständlich zu werden.

Von diesem allgemeinen Lobe nehmen wir nnr den einen Roman aus, der,
wie es scheint, das größte Publicum und die weiteste Verbreitung gefunden hat:
die Quäkerstadt und ihre Geheimnisse. Es ist das ein ganz schlechtes Buch, eine
Nachbildung der Mysterien von Engen Sue, und unter der ganzen Classe
schwarzer Schilderungen, die damals aus den Zuchthäusern, Bordellen und Kloaken
der Hauptstädte das Publicum überschmemmten, eine der ungeheuerlichsten. Die
vier Bände umfassen uur drei Tage und drei Nächte, aber innerhalb dieser kurzen
Zeit wird z. B. der eine Liebhaber dreimal durch eine Fallthür in einen un¬
ermeßlichen Abgrund gestürzt, zweimal vergiftet, einmal lebendig begraben, dazu
durch Prügel, Messerstiche und Pistolen beschädigt, und steht doch immer gesund
wieder auf. Nothzucht, Giftmord, Völlerei u. tgi. gehört zu den gewöhnlichsten
Dingen. Diese Literatur aus Schmutz und Blut, die keineswegs aus den
philanthropisch-socialistischen Motiven, mit denen man sie gewöhnlich beschönigt,
zu erklären ist, sondern ans dem krankhaften Gelüst überreizter Nerven, sich an


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[0314] Die unten angezeigten amerikanischen Novellen, die in der Ullriche unserer Politik nicht so viel Beachtung gefunden haben, wie ihnen sonst unter allen Um¬ ständen zu Theil geworden mare, und wie sie es auch verdienen, werden jetzt von Neuem hervorgesucht werden. Der Verfasser gehört zu jenen eigenthümlichen Naturen, die eine beständige Unruhe nach allen Weltgegenden treibt. Seit vielen Jahren hat er in den verschiedenartigsten Situationen sein Gelüst nach der Fremde befriedigt; er hat mit den Squatters in Arkansas gejagt, als Schiffskoch ist er auf dem Mississippi gefahren, und wenn er einmal ausruhte, so war es uur, um die Abentheuer und Anschauungen seines vielfach bewegten Lebens dem Kreise seiner Freunde mitzutheilen, dessen Größe dem Neichthum seiner Anschauungen und der Tüchtigkeit seines Gemüths entsprach. Die Leihbibliotheken, so wie sämmtliche Journale, die sich mit dergleichen Dingen beschäftigen, enthalten die Acten seiner wunderlichen Irrfahrten. Natürlich anch eine Menge Jagdgeschichten. Fast überall hat er seine Mittheilungen in ein romantisches Gewand gekleidet, was fut deu gewissenhaften Leser, der überall gern wissen möchte, wie weit die Phantasie geht, und wie weit die reale An¬ schauung, etwas Unbequemes hat; dagegen den Vortheil gewährt, zu einem lebens¬ vollen Bilde zu ergänzen, was sonst nnr fragmentarische Bemerkung geblieben wäre. Man fühlt bei allen Erzählungen die Unmittelbarkeit der Anschauung und der Theilnahme heraus. Trotz der schon erwähnten Jagdgeschichten ist überall, wenn man nur auf die Totalität des Bildes ausgeht, das Gepräge der Wahrheit. Es weht aus ihnen ein Hauch von den Düften des Urwalds, es spricht sich überall ein tüchtiger, gesunder Sinn und eine warme Liebe zu den Menschen aus. Deu blendenden Glanz der Sealsfield'schen Schilderungen würden wir vergebens darin suchen, dafür hat der Verfasser es auch vermieden, in unruhiger Combination seltsamer Farbenverhältnisse barock und unverständlich zu werden. Von diesem allgemeinen Lobe nehmen wir nnr den einen Roman aus, der, wie es scheint, das größte Publicum und die weiteste Verbreitung gefunden hat: die Quäkerstadt und ihre Geheimnisse. Es ist das ein ganz schlechtes Buch, eine Nachbildung der Mysterien von Engen Sue, und unter der ganzen Classe schwarzer Schilderungen, die damals aus den Zuchthäusern, Bordellen und Kloaken der Hauptstädte das Publicum überschmemmten, eine der ungeheuerlichsten. Die vier Bände umfassen uur drei Tage und drei Nächte, aber innerhalb dieser kurzen Zeit wird z. B. der eine Liebhaber dreimal durch eine Fallthür in einen un¬ ermeßlichen Abgrund gestürzt, zweimal vergiftet, einmal lebendig begraben, dazu durch Prügel, Messerstiche und Pistolen beschädigt, und steht doch immer gesund wieder auf. Nothzucht, Giftmord, Völlerei u. tgi. gehört zu den gewöhnlichsten Dingen. Diese Literatur aus Schmutz und Blut, die keineswegs aus den philanthropisch-socialistischen Motiven, mit denen man sie gewöhnlich beschönigt, zu erklären ist, sondern ans dem krankhaften Gelüst überreizter Nerven, sich an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/314>, abgerufen am 01.09.2024.