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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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des unrechtmäßigen Besitzes ein sich trugen und die Eifersucht der andern Natio¬
nalitäten erregen mußten.

In der Nationalitätsfrage gingen die beiden Parteien in Ungarn Hand in
Hand, und das war der Köder, in welchem sie von Metternich gefangen wurden.
Metternich begünstigte die Naiionalitätssuprematie der Magyaren, oder ließ sich
diese vielmehr abringen, entzog aber den Magyaren die Mittel, den übrigen Stäm¬
men etwas bieten zu können, was ihnen die magyarische Nationalität empfehlen
mußte, indem er allen Reformbestrebungen der Liberalen schroff entgegentrat. Die
Liberalen fühlten sehr wohl diesen Uebelstand, und sie ermahnten oft die Gegen¬
partei, daß sie dem Geist der Zeit Rechnung tragen und den Völkern Ungarns
die Fackel der Aufklärung vortragen mögen, wenn sie nicht einst von ihnen ver¬
schlungen werden wollen, aber sie predigten tauben Ohren, und bei ihnen selbst
drängte auch der Patriotismus den Liberalismus in den Hintergrund, und sie hatten
nicht Kraft genug, die von der conservativen Partei angeregten und von Metter¬
nich gegebenen Concessionen für ihre Sprache zurückzuweisen, obwohl sie einsehen
mußten, daß die Fortschritte auf dem Felde der Nationalität bei dem fast gänz¬
lichen Stillstand des Volksgeistes endlich zum Verderben sichren müssen.

Uebrigens zählten die Liberalen ans ihre Kraft und auf die wirklich mächtigen
Stützen, welche sie im Volke hatten; und da sie die Zeit einer revolutionären po¬
litischen Umwälzung fern dachten, so glaubten sie doch endlich dem Metternich'schen
System so viel abzuringen, um einer etwaigen Revolution mit einem in seinen
Hauptgruudzügen geregelten Staats - und Volksleben entgegentreten zu können.
Daß die Liberalen ihre Kräfte nicht überschätzte", davon zeugen ihre Siege von
1825 bis zum März 5848. Das liberale Princip hatte in dieser Zeit so tiefe
Wurzeln geschlagen, daß sich die conservative Partei und die Negierung genöthigt
sahen, den Stabilismus aufzugeben; ja um den Liberalen nicht das Feld räumen
zu müssen, traten sie selbst auf den Weg der Reform, und so entstanden: das
Wechselgcsetz, die Regelung der Urbarialverhältnisse, die Zulassung der Nicht-
adeligen zu Eomitatsämteru und die Vorarbeiten zur Anfertigung eines Crimi-
nalcodex, zur Regelung der Städte, Ablösbarkeit der Nobotleistnngen n. s. w.;
und hätte das Jahr 1848 Ungarn nicht in dieser friedlichen Entwickelung überrascht,
so hätte sich das Laud in einem Decennium so cvnsvlidirt, daß es der Erschüt¬
terung einer Revolution ohne alle Gefahr begegnen konnte. Indessen fiel ein
Schuß vor dem Hause eiues französische" Ministers, und dieser erschütterte
' Europa bis an die Ufer des schwarzen Meeres und verhallte erst nach 18 Mo¬
naten uuter den Mauern Tcmesvar's und auf der Ebene von Vilagos. Nicht
nur Oestreich, sonder" auch Ungarn wurde von der Revolution überfallen, und
i" prophetischem Geiste sagte der große Süchvnvi im letzten Reichstag von Preß-
burg: "Meine Herren! ich weiß nicht, ob ich mich unserer neuen Errungen-
schaften freuen soll, denn mir ahnet großes Unglück für das Vaterland." D''e


des unrechtmäßigen Besitzes ein sich trugen und die Eifersucht der andern Natio¬
nalitäten erregen mußten.

In der Nationalitätsfrage gingen die beiden Parteien in Ungarn Hand in
Hand, und das war der Köder, in welchem sie von Metternich gefangen wurden.
Metternich begünstigte die Naiionalitätssuprematie der Magyaren, oder ließ sich
diese vielmehr abringen, entzog aber den Magyaren die Mittel, den übrigen Stäm¬
men etwas bieten zu können, was ihnen die magyarische Nationalität empfehlen
mußte, indem er allen Reformbestrebungen der Liberalen schroff entgegentrat. Die
Liberalen fühlten sehr wohl diesen Uebelstand, und sie ermahnten oft die Gegen¬
partei, daß sie dem Geist der Zeit Rechnung tragen und den Völkern Ungarns
die Fackel der Aufklärung vortragen mögen, wenn sie nicht einst von ihnen ver¬
schlungen werden wollen, aber sie predigten tauben Ohren, und bei ihnen selbst
drängte auch der Patriotismus den Liberalismus in den Hintergrund, und sie hatten
nicht Kraft genug, die von der conservativen Partei angeregten und von Metter¬
nich gegebenen Concessionen für ihre Sprache zurückzuweisen, obwohl sie einsehen
mußten, daß die Fortschritte auf dem Felde der Nationalität bei dem fast gänz¬
lichen Stillstand des Volksgeistes endlich zum Verderben sichren müssen.

Uebrigens zählten die Liberalen ans ihre Kraft und auf die wirklich mächtigen
Stützen, welche sie im Volke hatten; und da sie die Zeit einer revolutionären po¬
litischen Umwälzung fern dachten, so glaubten sie doch endlich dem Metternich'schen
System so viel abzuringen, um einer etwaigen Revolution mit einem in seinen
Hauptgruudzügen geregelten Staats - und Volksleben entgegentreten zu können.
Daß die Liberalen ihre Kräfte nicht überschätzte», davon zeugen ihre Siege von
1825 bis zum März 5848. Das liberale Princip hatte in dieser Zeit so tiefe
Wurzeln geschlagen, daß sich die conservative Partei und die Negierung genöthigt
sahen, den Stabilismus aufzugeben; ja um den Liberalen nicht das Feld räumen
zu müssen, traten sie selbst auf den Weg der Reform, und so entstanden: das
Wechselgcsetz, die Regelung der Urbarialverhältnisse, die Zulassung der Nicht-
adeligen zu Eomitatsämteru und die Vorarbeiten zur Anfertigung eines Crimi-
nalcodex, zur Regelung der Städte, Ablösbarkeit der Nobotleistnngen n. s. w.;
und hätte das Jahr 1848 Ungarn nicht in dieser friedlichen Entwickelung überrascht,
so hätte sich das Laud in einem Decennium so cvnsvlidirt, daß es der Erschüt¬
terung einer Revolution ohne alle Gefahr begegnen konnte. Indessen fiel ein
Schuß vor dem Hause eiues französische» Ministers, und dieser erschütterte
' Europa bis an die Ufer des schwarzen Meeres und verhallte erst nach 18 Mo¬
naten uuter den Mauern Tcmesvar's und auf der Ebene von Vilagos. Nicht
nur Oestreich, sonder» auch Ungarn wurde von der Revolution überfallen, und
i» prophetischem Geiste sagte der große Süchvnvi im letzten Reichstag von Preß-
burg: „Meine Herren! ich weiß nicht, ob ich mich unserer neuen Errungen-
schaften freuen soll, denn mir ahnet großes Unglück für das Vaterland." D''e


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[0301] des unrechtmäßigen Besitzes ein sich trugen und die Eifersucht der andern Natio¬ nalitäten erregen mußten. In der Nationalitätsfrage gingen die beiden Parteien in Ungarn Hand in Hand, und das war der Köder, in welchem sie von Metternich gefangen wurden. Metternich begünstigte die Naiionalitätssuprematie der Magyaren, oder ließ sich diese vielmehr abringen, entzog aber den Magyaren die Mittel, den übrigen Stäm¬ men etwas bieten zu können, was ihnen die magyarische Nationalität empfehlen mußte, indem er allen Reformbestrebungen der Liberalen schroff entgegentrat. Die Liberalen fühlten sehr wohl diesen Uebelstand, und sie ermahnten oft die Gegen¬ partei, daß sie dem Geist der Zeit Rechnung tragen und den Völkern Ungarns die Fackel der Aufklärung vortragen mögen, wenn sie nicht einst von ihnen ver¬ schlungen werden wollen, aber sie predigten tauben Ohren, und bei ihnen selbst drängte auch der Patriotismus den Liberalismus in den Hintergrund, und sie hatten nicht Kraft genug, die von der conservativen Partei angeregten und von Metter¬ nich gegebenen Concessionen für ihre Sprache zurückzuweisen, obwohl sie einsehen mußten, daß die Fortschritte auf dem Felde der Nationalität bei dem fast gänz¬ lichen Stillstand des Volksgeistes endlich zum Verderben sichren müssen. Uebrigens zählten die Liberalen ans ihre Kraft und auf die wirklich mächtigen Stützen, welche sie im Volke hatten; und da sie die Zeit einer revolutionären po¬ litischen Umwälzung fern dachten, so glaubten sie doch endlich dem Metternich'schen System so viel abzuringen, um einer etwaigen Revolution mit einem in seinen Hauptgruudzügen geregelten Staats - und Volksleben entgegentreten zu können. Daß die Liberalen ihre Kräfte nicht überschätzte», davon zeugen ihre Siege von 1825 bis zum März 5848. Das liberale Princip hatte in dieser Zeit so tiefe Wurzeln geschlagen, daß sich die conservative Partei und die Negierung genöthigt sahen, den Stabilismus aufzugeben; ja um den Liberalen nicht das Feld räumen zu müssen, traten sie selbst auf den Weg der Reform, und so entstanden: das Wechselgcsetz, die Regelung der Urbarialverhältnisse, die Zulassung der Nicht- adeligen zu Eomitatsämteru und die Vorarbeiten zur Anfertigung eines Crimi- nalcodex, zur Regelung der Städte, Ablösbarkeit der Nobotleistnngen n. s. w.; und hätte das Jahr 1848 Ungarn nicht in dieser friedlichen Entwickelung überrascht, so hätte sich das Laud in einem Decennium so cvnsvlidirt, daß es der Erschüt¬ terung einer Revolution ohne alle Gefahr begegnen konnte. Indessen fiel ein Schuß vor dem Hause eiues französische» Ministers, und dieser erschütterte ' Europa bis an die Ufer des schwarzen Meeres und verhallte erst nach 18 Mo¬ naten uuter den Mauern Tcmesvar's und auf der Ebene von Vilagos. Nicht nur Oestreich, sonder» auch Ungarn wurde von der Revolution überfallen, und i» prophetischem Geiste sagte der große Süchvnvi im letzten Reichstag von Preß- burg: „Meine Herren! ich weiß nicht, ob ich mich unserer neuen Errungen- schaften freuen soll, denn mir ahnet großes Unglück für das Vaterland." D''e

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/301>, abgerufen am 27.07.2024.