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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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-- Schon war das Nej) um die schöne, aber etwas wilde Ilungarw geschlungen,
als die Kaiserin starb und ihr Sohn Joseph durch seine bekannten Maßregeln
den Stolz und das Nationalgefühl der Magyaren beleidigte; seine schönen, aber
unzeitigen Bemühungen scheiterten, er mußte am Abend seines Lebens selbst die
Pflanzung niederreißen, der er seine ganze Kraft gewidmet hatte, und hinterließ
noch obendrein seinem Nachfolger eine erwachte, für die Einflüsse der Zeit empfäng¬
liche, gegen das fremde Herrscherhaus eifersüchtig gewordene Nation. In jener
Zeit singen sich die eigentlichen politischen Parteien zu bilden an, denn die Accli-
matisirungsvcrsuche Maria Theresia's, so wie die Reformbestrebungen Joseph's blie¬
ben nicht ohne tiefe Einwirkung auf die geistige Entwickelung der Magyaren. An
die Stelle des ungestümen absoluten Opponirens trat eine geregelte, von der
.Wissenschaft und dem Geiste der Zeit geleitete Opposition, und diejenigen, welche,
von dem Beispiele Frankreichs zurückgeschreckt, den alten Zustand um jedem Preis
erhalten wollten, traten offen ans die Seite der Regierung. Die Regierung selbst,
welche auch mehr den Nenernngsgeist der jungen Opposition als die verschollenen
Unabhängigkeitsgelüste der Magyaren fürchtete und anch genöthigt war, in den
französischen Kriegen sehr oft die Hilfe Ungarns in Anspruch zu nehmen, legte die
alten Pläne über die Gleichstellung Ungarns bei Seite nud verbündete sich mit
der ihr geneigten Partei, um mit Hilfe dieser den französischen Geist in der jungen
Opposition zu besiegen.

Wie bekannt, hat die östreichische Negierung nach dem Tode Joseph's und
Leopold's sich zu ihrem Systeme gemacht, Alles niederzureißen, was diese zwei
Fürsten aufgebaut hatten; auch in Ungarn wurde vou einem Extreme zu andern
übergegangen. Während Joseph die Nationalität und die historischen Rechte
der Ungarn mit Verachtung überging und sich bemühete, durch Reformen in der
Verwaltung und im Volksunterricht, dnrch Toleranzgeselze und Verbesserung der
Gerechtigkeitspflege den materiellen Wohlstand des Landes zu heben und die Nation
der europäischen Cultur näher zu führen, war die Regierung Metternich's darauf
bedacht, alle und jede Reform in Ungarn zu unterdrücken und die Nationalgelüste,
diesen aus der Verfahrungsweise Joseph'S hervorgegangenen Götzendienst, so viel
als möglich und nöthig ist, um die andern Volksstämme eifersüchtig zu macheu, zu
begünstigen. So entstanden die auf den Reichstagen vou 1790 bis 1847 ge¬
brachte Gesetze in Betreff der Suprematie der ungarische" Sprache, welche an
und für sich durchaus uicht den Umerdrücknngscharakter an sich tragen, den man
ihnen im Auslande so gerne beilegt, und die in jedem andern Staate als eine
eoiuMo suo eM mein für das Leben des Staates betrachtet werden, die aber
in Ungarn, weil sie der Negierung abgerungen werden mußten, und sich die con-
servative Partei dieselben als Preis sür ihre Dienste gegen die Reformpartei
auszahlen ließ, den Charakter der Eroberung oder der Concession und also auch


— Schon war das Nej) um die schöne, aber etwas wilde Ilungarw geschlungen,
als die Kaiserin starb und ihr Sohn Joseph durch seine bekannten Maßregeln
den Stolz und das Nationalgefühl der Magyaren beleidigte; seine schönen, aber
unzeitigen Bemühungen scheiterten, er mußte am Abend seines Lebens selbst die
Pflanzung niederreißen, der er seine ganze Kraft gewidmet hatte, und hinterließ
noch obendrein seinem Nachfolger eine erwachte, für die Einflüsse der Zeit empfäng¬
liche, gegen das fremde Herrscherhaus eifersüchtig gewordene Nation. In jener
Zeit singen sich die eigentlichen politischen Parteien zu bilden an, denn die Accli-
matisirungsvcrsuche Maria Theresia's, so wie die Reformbestrebungen Joseph's blie¬
ben nicht ohne tiefe Einwirkung auf die geistige Entwickelung der Magyaren. An
die Stelle des ungestümen absoluten Opponirens trat eine geregelte, von der
.Wissenschaft und dem Geiste der Zeit geleitete Opposition, und diejenigen, welche,
von dem Beispiele Frankreichs zurückgeschreckt, den alten Zustand um jedem Preis
erhalten wollten, traten offen ans die Seite der Regierung. Die Regierung selbst,
welche auch mehr den Nenernngsgeist der jungen Opposition als die verschollenen
Unabhängigkeitsgelüste der Magyaren fürchtete und anch genöthigt war, in den
französischen Kriegen sehr oft die Hilfe Ungarns in Anspruch zu nehmen, legte die
alten Pläne über die Gleichstellung Ungarns bei Seite nud verbündete sich mit
der ihr geneigten Partei, um mit Hilfe dieser den französischen Geist in der jungen
Opposition zu besiegen.

Wie bekannt, hat die östreichische Negierung nach dem Tode Joseph's und
Leopold's sich zu ihrem Systeme gemacht, Alles niederzureißen, was diese zwei
Fürsten aufgebaut hatten; auch in Ungarn wurde vou einem Extreme zu andern
übergegangen. Während Joseph die Nationalität und die historischen Rechte
der Ungarn mit Verachtung überging und sich bemühete, durch Reformen in der
Verwaltung und im Volksunterricht, dnrch Toleranzgeselze und Verbesserung der
Gerechtigkeitspflege den materiellen Wohlstand des Landes zu heben und die Nation
der europäischen Cultur näher zu führen, war die Regierung Metternich's darauf
bedacht, alle und jede Reform in Ungarn zu unterdrücken und die Nationalgelüste,
diesen aus der Verfahrungsweise Joseph'S hervorgegangenen Götzendienst, so viel
als möglich und nöthig ist, um die andern Volksstämme eifersüchtig zu macheu, zu
begünstigen. So entstanden die auf den Reichstagen vou 1790 bis 1847 ge¬
brachte Gesetze in Betreff der Suprematie der ungarische» Sprache, welche an
und für sich durchaus uicht den Umerdrücknngscharakter an sich tragen, den man
ihnen im Auslande so gerne beilegt, und die in jedem andern Staate als eine
eoiuMo suo eM mein für das Leben des Staates betrachtet werden, die aber
in Ungarn, weil sie der Negierung abgerungen werden mußten, und sich die con-
servative Partei dieselben als Preis sür ihre Dienste gegen die Reformpartei
auszahlen ließ, den Charakter der Eroberung oder der Concession und also auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/300>, abgerufen am 01.09.2024.