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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Nachdem die Mannschaft ihre Uniforinstücke abgegeben und dagegen mit
Kitteln, desgleichen mit doppelten Waffenstücken und Quersäcken, statt der Tornister,
versehen worden, trat sie ihren Marsch an. Er wurde sehr forcirt; aber der
Führer war ein menschenfreundlicher Mann, der zwar von dem erbärmlichen Sold
regelmäßig die Hälfte in seine Taschen steckte, aber desto eifriger die Dörfer
zwang, für die Ortschaften Branntwein und Nahrungsmittel zu liefern. "Ich
hatte seit vielen Jahren nicht gesungen," auf diesem Marsche lernte ich es wieder;
der Hauptmann, welcher selbst als Vorsänger agirte, zwang mich dazu; er fand
ein besonderes Interesse an mir, ich mußte neben seinem Pferde marschiren, ihm
die Geschichte meines Vaterlandes und sogar die Biographien des Cornelius Ne-
pos mittheilen, über welche er sich sehr wunderte, so daß er in großer Frende mit
dem Kantschu in der Luft herumfuhr nud immer wieder rief: Sehr wunderbare
Menschen! Bisweilen schenkte er mir als besondern Huldbeweis in einem Papier
oder Läppchen einige Prisen Schnupftabak. Habe ich ja etwas Schlimmes von
diesem sehr guten Manne zu erleiden gehabt, so war es, daß er mich jedes Mal,
wenn er bei recht fröhlicher Laune in Gelächter ausbrach, mit der Fußspitze oder
dem Steigbügel in die Rippen stieß.

Wir erreichten das Gebiet des Kaukasus im August. Auf dem Kampfplatze
war es sehr ruhig. Es schienen für dieses Jahr alle Operationen aufgegeben
zu sein. Wir wurden in die erbärmliche Festung Ick. am Kuban, deren Besatzung
aus achthundert Mann bestand, gelegt.. Der General H., den später das Un¬
glück getroffen, zum gemeinen Soldaten degradirt zu werden, forcirte hier die
Exercitien auf eine entsetzliche Weise, besonders die Tiraillenrübungen. Häufig
wurden wir von früh bis in die Nacht umhergetrieben, ohne daß Jemand dar¬
nach fragte, ob unsere Magen eines Bissens bedürften. Dabei war der Wacht¬
postendienst sehr beschwerlich, um so mehr, da die Unteroffiziere, die sich ebenfalls
nicht wohl dabei befanden, ihre Wuth faustkräftig an uns anstießen, wenn sie
nicht irgend eine fremde Person sznm Ziele ihres Ingrimms machen konnten.
In Kurland gibt es ein gemeines Svldatensprichwort, welches wahrscheinlich aus
Deutschland stammt, "im Frieden heißt's Luder, im Kriege Bruder. Dieses
Sprichwort ist beim russischen Heere gar nicht wahr. Wir befanden uns hier ans
dem Kriegsschauplatze, hätten aber im Frieden keine schlechtere Behandlung er¬
dulden können. Sold bekamen wir fast gar nicht. Alle vier Monate sollte uns
ein Silberrubel ausgezahlt werden. Statt dessen erhielten wir der Mann alle
Monate nenn Kopeken. Die andere Hälfte des Soldes blieb natürlich in einer
fremden Tasche sitzen, und darüber den Mund zu öffnen, würde sehr gefährlich
gewesen sein. Da freilich auch der Sold von einem Rubel so viel als nichts war,
so konnten wir über den Verlust des halben Soldes ganz beruhigt sein, zumal wir
an Nahrungsmitteln nicht gerade Mangel litten."

Im Frühjahr begann die Kriegsoperation. Aber sehr lange wurden die Truppen.


Nachdem die Mannschaft ihre Uniforinstücke abgegeben und dagegen mit
Kitteln, desgleichen mit doppelten Waffenstücken und Quersäcken, statt der Tornister,
versehen worden, trat sie ihren Marsch an. Er wurde sehr forcirt; aber der
Führer war ein menschenfreundlicher Mann, der zwar von dem erbärmlichen Sold
regelmäßig die Hälfte in seine Taschen steckte, aber desto eifriger die Dörfer
zwang, für die Ortschaften Branntwein und Nahrungsmittel zu liefern. „Ich
hatte seit vielen Jahren nicht gesungen," auf diesem Marsche lernte ich es wieder;
der Hauptmann, welcher selbst als Vorsänger agirte, zwang mich dazu; er fand
ein besonderes Interesse an mir, ich mußte neben seinem Pferde marschiren, ihm
die Geschichte meines Vaterlandes und sogar die Biographien des Cornelius Ne-
pos mittheilen, über welche er sich sehr wunderte, so daß er in großer Frende mit
dem Kantschu in der Luft herumfuhr nud immer wieder rief: Sehr wunderbare
Menschen! Bisweilen schenkte er mir als besondern Huldbeweis in einem Papier
oder Läppchen einige Prisen Schnupftabak. Habe ich ja etwas Schlimmes von
diesem sehr guten Manne zu erleiden gehabt, so war es, daß er mich jedes Mal,
wenn er bei recht fröhlicher Laune in Gelächter ausbrach, mit der Fußspitze oder
dem Steigbügel in die Rippen stieß.

Wir erreichten das Gebiet des Kaukasus im August. Auf dem Kampfplatze
war es sehr ruhig. Es schienen für dieses Jahr alle Operationen aufgegeben
zu sein. Wir wurden in die erbärmliche Festung Ick. am Kuban, deren Besatzung
aus achthundert Mann bestand, gelegt.. Der General H., den später das Un¬
glück getroffen, zum gemeinen Soldaten degradirt zu werden, forcirte hier die
Exercitien auf eine entsetzliche Weise, besonders die Tiraillenrübungen. Häufig
wurden wir von früh bis in die Nacht umhergetrieben, ohne daß Jemand dar¬
nach fragte, ob unsere Magen eines Bissens bedürften. Dabei war der Wacht¬
postendienst sehr beschwerlich, um so mehr, da die Unteroffiziere, die sich ebenfalls
nicht wohl dabei befanden, ihre Wuth faustkräftig an uns anstießen, wenn sie
nicht irgend eine fremde Person sznm Ziele ihres Ingrimms machen konnten.
In Kurland gibt es ein gemeines Svldatensprichwort, welches wahrscheinlich aus
Deutschland stammt, „im Frieden heißt's Luder, im Kriege Bruder. Dieses
Sprichwort ist beim russischen Heere gar nicht wahr. Wir befanden uns hier ans
dem Kriegsschauplatze, hätten aber im Frieden keine schlechtere Behandlung er¬
dulden können. Sold bekamen wir fast gar nicht. Alle vier Monate sollte uns
ein Silberrubel ausgezahlt werden. Statt dessen erhielten wir der Mann alle
Monate nenn Kopeken. Die andere Hälfte des Soldes blieb natürlich in einer
fremden Tasche sitzen, und darüber den Mund zu öffnen, würde sehr gefährlich
gewesen sein. Da freilich auch der Sold von einem Rubel so viel als nichts war,
so konnten wir über den Verlust des halben Soldes ganz beruhigt sein, zumal wir
an Nahrungsmitteln nicht gerade Mangel litten."

Im Frühjahr begann die Kriegsoperation. Aber sehr lange wurden die Truppen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/30>, abgerufen am 27.07.2024.