Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ökonomischen Vortheile nicht brachte, welche man sich davon versprochen hatte.
Wir wissen, wie nnter Wrontschcnko ebenso mit Verlockungen und Gewaltmaßregeln
diejenigen Theile der Städtebevölkcrnng, über welche man unmittelbar verfügen
konnte, wieder zum Ackerbau getrieben wurden, wie früher zur Fabrikindustrie.
Trotzdem blieb eine viel größere Anhäufung von Arbeitern als vorher in den
Städten, in den Umgebungen der Fabriken ans dem Flachlande zurück und der
einmal angeregte Zug nach den Fabrikplätzen ließ sich jetzt nicht plötzlich in gleichem
Maß zurückwenden. Die dem Proletariat und Pauperismus verfallenen Bevölke-
rnugsmasscu lassen sich nicht wieder vertilgen und wachsen in ihren Kindern über¬
zählig nach. Außerdem bleibt auch die Mehrzahl der ausgedienter Soldaten,
regelmäßiger Arbeit ungewohnt und mit dem Makel der soldatischen Genossen¬
schaft behaftet, an solchen Meuscheusammelplätzeu zurück. Ans den großem Städten
also und uicht vom Flachlande, ans dem Proletariat, nicht unmittelbar aus der
Leibeigenschaft wird die ursprüngliche Socialbewegung in Nußland hervorgehen,
aber im Flachland und in der Leibeigenschaft erwarten überreife Keime solche
Befruchtung. Weil hier die sociale zur social-religiösen Bewegung wird, sindK sie
ihre Weiterverbreitung rasch im Volke. Indessen wird es noch einer unbestimmten
Zeit bedürften, bis diese Reise eintritt. Vor Allem bedarf es eines Kaisertodes.
So lange Nikolaus mit eisernem Zepter herrscht, ist an die Möglichkeit einer
raschen und weiten Ausbreitung weder, der religiösen, noch der socialen, noch
vollends der politischen Revolution in Rußland zu glauben.




Zur Beurtheilung der Parteien in Ungarn.

Noch einige Tage und in Wien und in Petersburg werden die Jahrestage
von Temesvar und Vilagos gefeiert werden. -- Seit diesem zweiten MvhatS der
ungarischen Nation ist manch' junges Leben geknickt, manch' schone Hoffnung zu
Grabe getragen worden. Der Januskopf der östreichischen Diplomatie steht
jetzt mit einem Gesichte gegen Frankfurt, mit dem andern gegen den Sund, aber
hier wie dort nach einem und demselben Ziele gerichtet. Im Immer" der Mon¬
archie hat man nichts zu fürchten, denn Ungarn und Italien find pacificirt;
Kroatien hat seinen Ban, ja noch mehr, eine junge Baum und als Draufgabe
eine Constitution; die Militärgrenze ist ueuorganisirt und wird dem Princip
der Gleichberechtigung gemäß auch mit einigen Regimentern der Gensd'armerie
bedacht, während für die aus dem Kriege zurückgebliebenen 17V00 (officiell) Wittwen
durch Radetzki bei der italienischen Armee Geldsammlungen veranstaltet werden;
die Ranzen haben einen ganz eigenen Woiwoden mit einem ebenfalls ganz eigenen


Grcnzvotcn. III. 1850. 37

ökonomischen Vortheile nicht brachte, welche man sich davon versprochen hatte.
Wir wissen, wie nnter Wrontschcnko ebenso mit Verlockungen und Gewaltmaßregeln
diejenigen Theile der Städtebevölkcrnng, über welche man unmittelbar verfügen
konnte, wieder zum Ackerbau getrieben wurden, wie früher zur Fabrikindustrie.
Trotzdem blieb eine viel größere Anhäufung von Arbeitern als vorher in den
Städten, in den Umgebungen der Fabriken ans dem Flachlande zurück und der
einmal angeregte Zug nach den Fabrikplätzen ließ sich jetzt nicht plötzlich in gleichem
Maß zurückwenden. Die dem Proletariat und Pauperismus verfallenen Bevölke-
rnugsmasscu lassen sich nicht wieder vertilgen und wachsen in ihren Kindern über¬
zählig nach. Außerdem bleibt auch die Mehrzahl der ausgedienter Soldaten,
regelmäßiger Arbeit ungewohnt und mit dem Makel der soldatischen Genossen¬
schaft behaftet, an solchen Meuscheusammelplätzeu zurück. Ans den großem Städten
also und uicht vom Flachlande, ans dem Proletariat, nicht unmittelbar aus der
Leibeigenschaft wird die ursprüngliche Socialbewegung in Nußland hervorgehen,
aber im Flachland und in der Leibeigenschaft erwarten überreife Keime solche
Befruchtung. Weil hier die sociale zur social-religiösen Bewegung wird, sindK sie
ihre Weiterverbreitung rasch im Volke. Indessen wird es noch einer unbestimmten
Zeit bedürften, bis diese Reise eintritt. Vor Allem bedarf es eines Kaisertodes.
So lange Nikolaus mit eisernem Zepter herrscht, ist an die Möglichkeit einer
raschen und weiten Ausbreitung weder, der religiösen, noch der socialen, noch
vollends der politischen Revolution in Rußland zu glauben.




Zur Beurtheilung der Parteien in Ungarn.

Noch einige Tage und in Wien und in Petersburg werden die Jahrestage
von Temesvar und Vilagos gefeiert werden. — Seit diesem zweiten MvhatS der
ungarischen Nation ist manch' junges Leben geknickt, manch' schone Hoffnung zu
Grabe getragen worden. Der Januskopf der östreichischen Diplomatie steht
jetzt mit einem Gesichte gegen Frankfurt, mit dem andern gegen den Sund, aber
hier wie dort nach einem und demselben Ziele gerichtet. Im Immer» der Mon¬
archie hat man nichts zu fürchten, denn Ungarn und Italien find pacificirt;
Kroatien hat seinen Ban, ja noch mehr, eine junge Baum und als Draufgabe
eine Constitution; die Militärgrenze ist ueuorganisirt und wird dem Princip
der Gleichberechtigung gemäß auch mit einigen Regimentern der Gensd'armerie
bedacht, während für die aus dem Kriege zurückgebliebenen 17V00 (officiell) Wittwen
durch Radetzki bei der italienischen Armee Geldsammlungen veranstaltet werden;
die Ranzen haben einen ganz eigenen Woiwoden mit einem ebenfalls ganz eigenen


Grcnzvotcn. III. 1850. 37
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0297" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85880"/>
            <p xml:id="ID_1031" prev="#ID_1030"> ökonomischen Vortheile nicht brachte, welche man sich davon versprochen hatte.<lb/>
Wir wissen, wie nnter Wrontschcnko ebenso mit Verlockungen und Gewaltmaßregeln<lb/>
diejenigen Theile der Städtebevölkcrnng, über welche man unmittelbar verfügen<lb/>
konnte, wieder zum Ackerbau getrieben wurden, wie früher zur Fabrikindustrie.<lb/>
Trotzdem blieb eine viel größere Anhäufung von Arbeitern als vorher in den<lb/>
Städten, in den Umgebungen der Fabriken ans dem Flachlande zurück und der<lb/>
einmal angeregte Zug nach den Fabrikplätzen ließ sich jetzt nicht plötzlich in gleichem<lb/>
Maß zurückwenden. Die dem Proletariat und Pauperismus verfallenen Bevölke-<lb/>
rnugsmasscu lassen sich nicht wieder vertilgen und wachsen in ihren Kindern über¬<lb/>
zählig nach. Außerdem bleibt auch die Mehrzahl der ausgedienter Soldaten,<lb/>
regelmäßiger Arbeit ungewohnt und mit dem Makel der soldatischen Genossen¬<lb/>
schaft behaftet, an solchen Meuscheusammelplätzeu zurück. Ans den großem Städten<lb/>
also und uicht vom Flachlande, ans dem Proletariat, nicht unmittelbar aus der<lb/>
Leibeigenschaft wird die ursprüngliche Socialbewegung in Nußland hervorgehen,<lb/>
aber im Flachland und in der Leibeigenschaft erwarten überreife Keime solche<lb/>
Befruchtung. Weil hier die sociale zur social-religiösen Bewegung wird, sindK sie<lb/>
ihre Weiterverbreitung rasch im Volke. Indessen wird es noch einer unbestimmten<lb/>
Zeit bedürften, bis diese Reise eintritt. Vor Allem bedarf es eines Kaisertodes.<lb/>
So lange Nikolaus mit eisernem Zepter herrscht, ist an die Möglichkeit einer<lb/>
raschen und weiten Ausbreitung weder, der religiösen, noch der socialen, noch<lb/>
vollends der politischen Revolution in Rußland zu glauben.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur Beurtheilung der Parteien in Ungarn.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1032" next="#ID_1033"> Noch einige Tage und in Wien und in Petersburg werden die Jahrestage<lb/>
von Temesvar und Vilagos gefeiert werden. &#x2014; Seit diesem zweiten MvhatS der<lb/>
ungarischen Nation ist manch' junges Leben geknickt, manch' schone Hoffnung zu<lb/>
Grabe getragen worden. Der Januskopf der östreichischen Diplomatie steht<lb/>
jetzt mit einem Gesichte gegen Frankfurt, mit dem andern gegen den Sund, aber<lb/>
hier wie dort nach einem und demselben Ziele gerichtet. Im Immer» der Mon¬<lb/>
archie hat man nichts zu fürchten, denn Ungarn und Italien find pacificirt;<lb/>
Kroatien hat seinen Ban, ja noch mehr, eine junge Baum und als Draufgabe<lb/>
eine Constitution; die Militärgrenze ist ueuorganisirt und wird dem Princip<lb/>
der Gleichberechtigung gemäß auch mit einigen Regimentern der Gensd'armerie<lb/>
bedacht, während für die aus dem Kriege zurückgebliebenen 17V00 (officiell) Wittwen<lb/>
durch Radetzki bei der italienischen Armee Geldsammlungen veranstaltet werden;<lb/>
die Ranzen haben einen ganz eigenen Woiwoden mit einem ebenfalls ganz eigenen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzvotcn. III. 1850. 37</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0297] ökonomischen Vortheile nicht brachte, welche man sich davon versprochen hatte. Wir wissen, wie nnter Wrontschcnko ebenso mit Verlockungen und Gewaltmaßregeln diejenigen Theile der Städtebevölkcrnng, über welche man unmittelbar verfügen konnte, wieder zum Ackerbau getrieben wurden, wie früher zur Fabrikindustrie. Trotzdem blieb eine viel größere Anhäufung von Arbeitern als vorher in den Städten, in den Umgebungen der Fabriken ans dem Flachlande zurück und der einmal angeregte Zug nach den Fabrikplätzen ließ sich jetzt nicht plötzlich in gleichem Maß zurückwenden. Die dem Proletariat und Pauperismus verfallenen Bevölke- rnugsmasscu lassen sich nicht wieder vertilgen und wachsen in ihren Kindern über¬ zählig nach. Außerdem bleibt auch die Mehrzahl der ausgedienter Soldaten, regelmäßiger Arbeit ungewohnt und mit dem Makel der soldatischen Genossen¬ schaft behaftet, an solchen Meuscheusammelplätzeu zurück. Ans den großem Städten also und uicht vom Flachlande, ans dem Proletariat, nicht unmittelbar aus der Leibeigenschaft wird die ursprüngliche Socialbewegung in Nußland hervorgehen, aber im Flachland und in der Leibeigenschaft erwarten überreife Keime solche Befruchtung. Weil hier die sociale zur social-religiösen Bewegung wird, sindK sie ihre Weiterverbreitung rasch im Volke. Indessen wird es noch einer unbestimmten Zeit bedürften, bis diese Reise eintritt. Vor Allem bedarf es eines Kaisertodes. So lange Nikolaus mit eisernem Zepter herrscht, ist an die Möglichkeit einer raschen und weiten Ausbreitung weder, der religiösen, noch der socialen, noch vollends der politischen Revolution in Rußland zu glauben. Zur Beurtheilung der Parteien in Ungarn. Noch einige Tage und in Wien und in Petersburg werden die Jahrestage von Temesvar und Vilagos gefeiert werden. — Seit diesem zweiten MvhatS der ungarischen Nation ist manch' junges Leben geknickt, manch' schone Hoffnung zu Grabe getragen worden. Der Januskopf der östreichischen Diplomatie steht jetzt mit einem Gesichte gegen Frankfurt, mit dem andern gegen den Sund, aber hier wie dort nach einem und demselben Ziele gerichtet. Im Immer» der Mon¬ archie hat man nichts zu fürchten, denn Ungarn und Italien find pacificirt; Kroatien hat seinen Ban, ja noch mehr, eine junge Baum und als Draufgabe eine Constitution; die Militärgrenze ist ueuorganisirt und wird dem Princip der Gleichberechtigung gemäß auch mit einigen Regimentern der Gensd'armerie bedacht, während für die aus dem Kriege zurückgebliebenen 17V00 (officiell) Wittwen durch Radetzki bei der italienischen Armee Geldsammlungen veranstaltet werden; die Ranzen haben einen ganz eigenen Woiwoden mit einem ebenfalls ganz eigenen Grcnzvotcn. III. 1850. 37

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/297
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/297>, abgerufen am 27.07.2024.