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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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von Preußen und seinen Herzog von Würtemberg schildert, kann nicht solche Acte
roher Brutalität begehen, wie wir hier an sie glauben sollen. Zudem Laube die
nachträgliche Anschauungsweise seiner eigenen Zeit in die Anschauungsweise der
Zeit verlegt hat, in der jene Thaten geschehen sind, hat er sie dadurch unmög¬
lich gemacht. Ein Herzog, der mit seiner Gemahlin solche Gespräche führt, wie
Laube sie ihm in den Mund legt, kann nicht ans die wahnsinnige Idee kommen,
einem Dichter den Kopf abschlagen zu lassen, weil er eine gefährliche Tragödie
geschrieben hat. Dieser Widerspruch liegt schon in der Sprache. Die Sprache
einer Zeit ist der sicherste Ausdruck ihrer Empfindungsweise. Man lese ein be¬
liebiges Rescript von Friedrich Wilhelm, und mau wird Alles glaublich finden,
was er gethan hat; dieser philosophircnde König dagegen mit Reflexionen, die
eine tiefangelegte Bildung voraussetzen, und dazu der Korporalstock sammt dem
Stanpbcsen und den Spießruthen -- das stimmt nicht.

Wenn Göthe in seinem Tasso ebenfalls den höhern Standpunkt vertritt, so
ist das nnr dadurch möglich, daß er die historische Bestimmtheit uicht nur der
Zeitbilduug im Allgemeinen, sondern auch der Thatsachen fallen läßt. Sein Tasso
spielt in einer idealen Zeit, und behandelt allgemein menschliche Conflicte, die
überall stattfinde,,, wo es Dichter und eine gesellschaftliche Convenienz gibt. Er
durfte nicht beschönigen, denn er hatte es nicht mit empirischen Thatsachen zu thun.

Goethe hat auch den Muth gehabt, den Conflict ungelöst zu lassen. In¬
wiefern das vom Gesichtspunkt der Kunst zu billigen ist, geht uns hier nichts an.
Laube hat die Lösung versucht, aber auf eine Weise, daß dadurch der Charakter
seines eigentlichen Helden -- denn Schiller selbst ist nur leidende Figur, eine
interessante Persönlichkeit, an der herumgehandclt wird -- in einen neuen Wider¬
spruch mit sich selbst geriet!). Warum will er den'jungen Dichter hinrichten lassen?
Weil er ihn nicht als isolirte Erscheinung, sondern als Symptom von dem Geiste
einer neuen, revolutionäre,, Zeit betrachtet, die, wem, man nicht mit Feuer und
Schwert dem Uebel aus deu Leib geht, die Menschheit in eine neue Barbarei
stürzen muß. -- Wodurch wird er bestimmt, sein Vorhaben aufzugeben? Dadurch,
paß der Erfolg ihm Recht gibt, daß dnrch die enthusiastische Aufnahme der Räu¬
ber von Seite des Mannheimer Publicums sich klar herausstellt, wie allerdings
jenes subversive Gedicht nicht als vereinzelte Erscheinung, sondern als das Symptom
der subversiven Zeittendenzeu zu begreifen ist. -- Das ist doch eine handgreifliche
Inconsequenz.

Ich gehe auf die übrigen Vorzüge und Fehler des Stücks nicht weiter ein,
weil es Mir hier lediglich auf die sittliche Basis desselben ankommt. Indem ich
zu Gutzkow's Urbild des Tartüffe übergehe, finde ich sogleich einen wesentlichen
Unterschied in der moralischen Empfindungsweise beider Dichter. Lanbe's ur¬
sprügliches Gefühl ist natürlich und normal; er forcirt es aber durch ziemlich
künstliche Reflexionen in unmögliche oder unberechtigte Conflicte. Gutzkow tage-


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von Preußen und seinen Herzog von Würtemberg schildert, kann nicht solche Acte
roher Brutalität begehen, wie wir hier an sie glauben sollen. Zudem Laube die
nachträgliche Anschauungsweise seiner eigenen Zeit in die Anschauungsweise der
Zeit verlegt hat, in der jene Thaten geschehen sind, hat er sie dadurch unmög¬
lich gemacht. Ein Herzog, der mit seiner Gemahlin solche Gespräche führt, wie
Laube sie ihm in den Mund legt, kann nicht ans die wahnsinnige Idee kommen,
einem Dichter den Kopf abschlagen zu lassen, weil er eine gefährliche Tragödie
geschrieben hat. Dieser Widerspruch liegt schon in der Sprache. Die Sprache
einer Zeit ist der sicherste Ausdruck ihrer Empfindungsweise. Man lese ein be¬
liebiges Rescript von Friedrich Wilhelm, und mau wird Alles glaublich finden,
was er gethan hat; dieser philosophircnde König dagegen mit Reflexionen, die
eine tiefangelegte Bildung voraussetzen, und dazu der Korporalstock sammt dem
Stanpbcsen und den Spießruthen — das stimmt nicht.

Wenn Göthe in seinem Tasso ebenfalls den höhern Standpunkt vertritt, so
ist das nnr dadurch möglich, daß er die historische Bestimmtheit uicht nur der
Zeitbilduug im Allgemeinen, sondern auch der Thatsachen fallen läßt. Sein Tasso
spielt in einer idealen Zeit, und behandelt allgemein menschliche Conflicte, die
überall stattfinde,,, wo es Dichter und eine gesellschaftliche Convenienz gibt. Er
durfte nicht beschönigen, denn er hatte es nicht mit empirischen Thatsachen zu thun.

Goethe hat auch den Muth gehabt, den Conflict ungelöst zu lassen. In¬
wiefern das vom Gesichtspunkt der Kunst zu billigen ist, geht uns hier nichts an.
Laube hat die Lösung versucht, aber auf eine Weise, daß dadurch der Charakter
seines eigentlichen Helden — denn Schiller selbst ist nur leidende Figur, eine
interessante Persönlichkeit, an der herumgehandclt wird — in einen neuen Wider¬
spruch mit sich selbst geriet!). Warum will er den'jungen Dichter hinrichten lassen?
Weil er ihn nicht als isolirte Erscheinung, sondern als Symptom von dem Geiste
einer neuen, revolutionäre,, Zeit betrachtet, die, wem, man nicht mit Feuer und
Schwert dem Uebel aus deu Leib geht, die Menschheit in eine neue Barbarei
stürzen muß. — Wodurch wird er bestimmt, sein Vorhaben aufzugeben? Dadurch,
paß der Erfolg ihm Recht gibt, daß dnrch die enthusiastische Aufnahme der Räu¬
ber von Seite des Mannheimer Publicums sich klar herausstellt, wie allerdings
jenes subversive Gedicht nicht als vereinzelte Erscheinung, sondern als das Symptom
der subversiven Zeittendenzeu zu begreifen ist. — Das ist doch eine handgreifliche
Inconsequenz.

Ich gehe auf die übrigen Vorzüge und Fehler des Stücks nicht weiter ein,
weil es Mir hier lediglich auf die sittliche Basis desselben ankommt. Indem ich
zu Gutzkow's Urbild des Tartüffe übergehe, finde ich sogleich einen wesentlichen
Unterschied in der moralischen Empfindungsweise beider Dichter. Lanbe's ur¬
sprügliches Gefühl ist natürlich und normal; er forcirt es aber durch ziemlich
künstliche Reflexionen in unmögliche oder unberechtigte Conflicte. Gutzkow tage-


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[0275] von Preußen und seinen Herzog von Würtemberg schildert, kann nicht solche Acte roher Brutalität begehen, wie wir hier an sie glauben sollen. Zudem Laube die nachträgliche Anschauungsweise seiner eigenen Zeit in die Anschauungsweise der Zeit verlegt hat, in der jene Thaten geschehen sind, hat er sie dadurch unmög¬ lich gemacht. Ein Herzog, der mit seiner Gemahlin solche Gespräche führt, wie Laube sie ihm in den Mund legt, kann nicht ans die wahnsinnige Idee kommen, einem Dichter den Kopf abschlagen zu lassen, weil er eine gefährliche Tragödie geschrieben hat. Dieser Widerspruch liegt schon in der Sprache. Die Sprache einer Zeit ist der sicherste Ausdruck ihrer Empfindungsweise. Man lese ein be¬ liebiges Rescript von Friedrich Wilhelm, und mau wird Alles glaublich finden, was er gethan hat; dieser philosophircnde König dagegen mit Reflexionen, die eine tiefangelegte Bildung voraussetzen, und dazu der Korporalstock sammt dem Stanpbcsen und den Spießruthen — das stimmt nicht. Wenn Göthe in seinem Tasso ebenfalls den höhern Standpunkt vertritt, so ist das nnr dadurch möglich, daß er die historische Bestimmtheit uicht nur der Zeitbilduug im Allgemeinen, sondern auch der Thatsachen fallen läßt. Sein Tasso spielt in einer idealen Zeit, und behandelt allgemein menschliche Conflicte, die überall stattfinde,,, wo es Dichter und eine gesellschaftliche Convenienz gibt. Er durfte nicht beschönigen, denn er hatte es nicht mit empirischen Thatsachen zu thun. Goethe hat auch den Muth gehabt, den Conflict ungelöst zu lassen. In¬ wiefern das vom Gesichtspunkt der Kunst zu billigen ist, geht uns hier nichts an. Laube hat die Lösung versucht, aber auf eine Weise, daß dadurch der Charakter seines eigentlichen Helden — denn Schiller selbst ist nur leidende Figur, eine interessante Persönlichkeit, an der herumgehandclt wird — in einen neuen Wider¬ spruch mit sich selbst geriet!). Warum will er den'jungen Dichter hinrichten lassen? Weil er ihn nicht als isolirte Erscheinung, sondern als Symptom von dem Geiste einer neuen, revolutionäre,, Zeit betrachtet, die, wem, man nicht mit Feuer und Schwert dem Uebel aus deu Leib geht, die Menschheit in eine neue Barbarei stürzen muß. — Wodurch wird er bestimmt, sein Vorhaben aufzugeben? Dadurch, paß der Erfolg ihm Recht gibt, daß dnrch die enthusiastische Aufnahme der Räu¬ ber von Seite des Mannheimer Publicums sich klar herausstellt, wie allerdings jenes subversive Gedicht nicht als vereinzelte Erscheinung, sondern als das Symptom der subversiven Zeittendenzeu zu begreifen ist. — Das ist doch eine handgreifliche Inconsequenz. Ich gehe auf die übrigen Vorzüge und Fehler des Stücks nicht weiter ein, weil es Mir hier lediglich auf die sittliche Basis desselben ankommt. Indem ich zu Gutzkow's Urbild des Tartüffe übergehe, finde ich sogleich einen wesentlichen Unterschied in der moralischen Empfindungsweise beider Dichter. Lanbe's ur¬ sprügliches Gefühl ist natürlich und normal; er forcirt es aber durch ziemlich künstliche Reflexionen in unmögliche oder unberechtigte Conflicte. Gutzkow tage- 34*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/275>, abgerufen am 01.09.2024.