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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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gemacht! -- rief er mit klagendem Tone -- wie viele arme Kinderseelen mag der
Teufel (gokeitcm) jetzt schon auf dem Roste verbrannt haben!"

War mir der Mensch schon den ganzen Tag hindurch räthselhaft vorgekommen,
so wußte ich doch in jenem Augenblicke am allerwenigsten, was ich aus ihm
machen sollte.

"Giorgi, bist Du nicht recht bei Sinnen?" fuhr ich ihn an. "Was hast
Du mit der Theekanne zu thun? Warum bleibst Du nicht beim Einpacken?

Statt aller Antwort schüttelte er den Kops und hielt die Kanne mit der
Hand ans dem Roste fest.

Nach vielen Fragen kam ich endlich der Sache auf den Grund und erfuhr
(was nach Giorgi's Voraussetzung jedes Kind wissen müßte), daß nach dem Aber¬
glauben der Armenier niemals ein Eisen über das Feuer gelegt werden dürfte,
ohne daß etwas darauf gestellt werde, weil sonst der Teufel das Recht habe, die
Seelen der Kinder darauf zu verbrennen!

"Woher weißt Du das denn?" fragte ich ihn weiter, begierig, den Ursprung
dieses seltsamen Aberglaubens zu erforschen.

"Verlassen Sie steh darauf! Verlassen Sie sich darauf!" rief er in sichtbarer
Verlegenheit, wie er den Respect vor mir mit meiner Unwissenheit in Einklang
bringen solle. "Warum erzeugt der Hasenschwauz Schlaf, wenn er unter das
Kissen eines Kindes gelegt wird? Warum gibt das Wolfsauge Muth Jedem,
der es trägt? Wer kann den Schleier heben vom Buch der Geheimnisse? Reihe
eine Fran mit Wolssfett ein und sie wird unfruchtbar werden und ihr Mann wird
nie wieder den Arm des Verlangens nach ihr ausstrecken -- reibt sie mit der
Galle des Wolfes ein, und sie wird gesegnet werden mit Leibesfrucht und ihr
Mann wird ihr nie untreu werden. Wir wissen, daß dem so ist, aber wir wissen
nicht, warum?"

"Ich frage Dich auch nicht, warum dem so ist, ich frage Dich nnr,, woher
Du es weißt?"

"Das lernt sich wie essen und trinken! Was man von Vater und Mutter
gehört, vergißt sich nicht leicht wieder, und wenn man auch noch so weit umher
kommt in der Welt, wie es mein Schicksal gewesen. Die alten Frauen sind nicht
mundfaul in Armenien, und wenn ich Ihnen Alles erzählen wollte, was mir aus
der Kindheit im Gedächtniß geblieben, die Geduld würde Ihnen bald ausgehen,
es anzuhören. Ich sollte ja eigentlich auch ein Wartabd (Gottesgelehrter) werden,
aber es kam etwas dazwischen, und da ging ich aus Reisen und bin ans Reisen
geblieben bis auf den heutigen Tag."

Dieser Aberglaube führt mich auf eine allgemeine Betrachtung: die Art und
Weise, wie man Religiosität im Russischen treibt.

So unterschieden von Ursprung und Interessen die bunt zusammengewürfelten
Horden auch sein mögen, welche dieses Riesenreich bilden, es giebt Ein gewaltiges


Grenzvotcn. III. 1850. 33

gemacht! — rief er mit klagendem Tone — wie viele arme Kinderseelen mag der
Teufel (gokeitcm) jetzt schon auf dem Roste verbrannt haben!"

War mir der Mensch schon den ganzen Tag hindurch räthselhaft vorgekommen,
so wußte ich doch in jenem Augenblicke am allerwenigsten, was ich aus ihm
machen sollte.

„Giorgi, bist Du nicht recht bei Sinnen?" fuhr ich ihn an. „Was hast
Du mit der Theekanne zu thun? Warum bleibst Du nicht beim Einpacken?

Statt aller Antwort schüttelte er den Kops und hielt die Kanne mit der
Hand ans dem Roste fest.

Nach vielen Fragen kam ich endlich der Sache auf den Grund und erfuhr
(was nach Giorgi's Voraussetzung jedes Kind wissen müßte), daß nach dem Aber¬
glauben der Armenier niemals ein Eisen über das Feuer gelegt werden dürfte,
ohne daß etwas darauf gestellt werde, weil sonst der Teufel das Recht habe, die
Seelen der Kinder darauf zu verbrennen!

„Woher weißt Du das denn?" fragte ich ihn weiter, begierig, den Ursprung
dieses seltsamen Aberglaubens zu erforschen.

„Verlassen Sie steh darauf! Verlassen Sie sich darauf!" rief er in sichtbarer
Verlegenheit, wie er den Respect vor mir mit meiner Unwissenheit in Einklang
bringen solle. „Warum erzeugt der Hasenschwauz Schlaf, wenn er unter das
Kissen eines Kindes gelegt wird? Warum gibt das Wolfsauge Muth Jedem,
der es trägt? Wer kann den Schleier heben vom Buch der Geheimnisse? Reihe
eine Fran mit Wolssfett ein und sie wird unfruchtbar werden und ihr Mann wird
nie wieder den Arm des Verlangens nach ihr ausstrecken — reibt sie mit der
Galle des Wolfes ein, und sie wird gesegnet werden mit Leibesfrucht und ihr
Mann wird ihr nie untreu werden. Wir wissen, daß dem so ist, aber wir wissen
nicht, warum?"

„Ich frage Dich auch nicht, warum dem so ist, ich frage Dich nnr,, woher
Du es weißt?"

„Das lernt sich wie essen und trinken! Was man von Vater und Mutter
gehört, vergißt sich nicht leicht wieder, und wenn man auch noch so weit umher
kommt in der Welt, wie es mein Schicksal gewesen. Die alten Frauen sind nicht
mundfaul in Armenien, und wenn ich Ihnen Alles erzählen wollte, was mir aus
der Kindheit im Gedächtniß geblieben, die Geduld würde Ihnen bald ausgehen,
es anzuhören. Ich sollte ja eigentlich auch ein Wartabd (Gottesgelehrter) werden,
aber es kam etwas dazwischen, und da ging ich aus Reisen und bin ans Reisen
geblieben bis auf den heutigen Tag."

Dieser Aberglaube führt mich auf eine allgemeine Betrachtung: die Art und
Weise, wie man Religiosität im Russischen treibt.

So unterschieden von Ursprung und Interessen die bunt zusammengewürfelten
Horden auch sein mögen, welche dieses Riesenreich bilden, es giebt Ein gewaltiges


Grenzvotcn. III. 1850. 33
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[0265] gemacht! — rief er mit klagendem Tone — wie viele arme Kinderseelen mag der Teufel (gokeitcm) jetzt schon auf dem Roste verbrannt haben!" War mir der Mensch schon den ganzen Tag hindurch räthselhaft vorgekommen, so wußte ich doch in jenem Augenblicke am allerwenigsten, was ich aus ihm machen sollte. „Giorgi, bist Du nicht recht bei Sinnen?" fuhr ich ihn an. „Was hast Du mit der Theekanne zu thun? Warum bleibst Du nicht beim Einpacken? Statt aller Antwort schüttelte er den Kops und hielt die Kanne mit der Hand ans dem Roste fest. Nach vielen Fragen kam ich endlich der Sache auf den Grund und erfuhr (was nach Giorgi's Voraussetzung jedes Kind wissen müßte), daß nach dem Aber¬ glauben der Armenier niemals ein Eisen über das Feuer gelegt werden dürfte, ohne daß etwas darauf gestellt werde, weil sonst der Teufel das Recht habe, die Seelen der Kinder darauf zu verbrennen! „Woher weißt Du das denn?" fragte ich ihn weiter, begierig, den Ursprung dieses seltsamen Aberglaubens zu erforschen. „Verlassen Sie steh darauf! Verlassen Sie sich darauf!" rief er in sichtbarer Verlegenheit, wie er den Respect vor mir mit meiner Unwissenheit in Einklang bringen solle. „Warum erzeugt der Hasenschwauz Schlaf, wenn er unter das Kissen eines Kindes gelegt wird? Warum gibt das Wolfsauge Muth Jedem, der es trägt? Wer kann den Schleier heben vom Buch der Geheimnisse? Reihe eine Fran mit Wolssfett ein und sie wird unfruchtbar werden und ihr Mann wird nie wieder den Arm des Verlangens nach ihr ausstrecken — reibt sie mit der Galle des Wolfes ein, und sie wird gesegnet werden mit Leibesfrucht und ihr Mann wird ihr nie untreu werden. Wir wissen, daß dem so ist, aber wir wissen nicht, warum?" „Ich frage Dich auch nicht, warum dem so ist, ich frage Dich nnr,, woher Du es weißt?" „Das lernt sich wie essen und trinken! Was man von Vater und Mutter gehört, vergißt sich nicht leicht wieder, und wenn man auch noch so weit umher kommt in der Welt, wie es mein Schicksal gewesen. Die alten Frauen sind nicht mundfaul in Armenien, und wenn ich Ihnen Alles erzählen wollte, was mir aus der Kindheit im Gedächtniß geblieben, die Geduld würde Ihnen bald ausgehen, es anzuhören. Ich sollte ja eigentlich auch ein Wartabd (Gottesgelehrter) werden, aber es kam etwas dazwischen, und da ging ich aus Reisen und bin ans Reisen geblieben bis auf den heutigen Tag." Dieser Aberglaube führt mich auf eine allgemeine Betrachtung: die Art und Weise, wie man Religiosität im Russischen treibt. So unterschieden von Ursprung und Interessen die bunt zusammengewürfelten Horden auch sein mögen, welche dieses Riesenreich bilden, es giebt Ein gewaltiges Grenzvotcn. III. 1850. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/265>, abgerufen am 01.09.2024.