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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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hatte. Unter den Verurtheilten befanden sich 7 Collegienräthe, 5 Offiziere, 2 niedere
Beamte, 3 Studenten und 2 Edelleute; keiner von ihnen trug einen glänzenden
Aristokratennamen, unter den Aumestirten fehlten jedoch auch solche nicht. Ueber
den Charakter der Verschwörung liest man nun in dem offiziellen Artikel, "daß
eine Anzahl junger Leute, von denen die einen an Geist und Gemüth verderbt,
die andern leichtsinnige Opfer perfider Einflüsterungen sind, eine geheime Gesellschaft
zum Zwecke des gewaltsamen Umsturzes unserer politischen Organisation und zur
Einführung einer Staatsform nach ihrem Sinne, d. h. der Gesetzlosigkeit gebildet
hatte. Gotteslästerliche Schmähungen, tollkühne Pläne gegen die geheiligte
Person des Kaisers, Darstellung der Negierungömaßrcgeln in gehässigen Lichte: das
war das Programm dieser Verbindung, dies die Fragen, welche man behandelte, in¬
dem man des Augenblicks harrte, die unseligen Plane zur Ausführung zu bringen" ze.
Aus dem Schlüsse des Manifestes ergab sich außerdem keineswegs undeutlich, wie
die Untersuchung bis zu den äußersten Verzweigungen des Unternehmens Vor¬
zudringen nicht vermocht hatte. Wohin wir auch blicken, überall sind die ersten,
so hart verschrieenen Kunden bestätigt. Zwischen die Entdeckung dieser Ver¬
schwörung und die jetzigen abermals stattgefunden"!! Verhaftungen in Polen fällt
außerdem der später ins Lächerliche gezogene "Aufruhr im Serail" -- die an¬
gebliche Verschwörung in jenem Mädchen-Erziehungsinstitut bei Warschau, bei welcher
socialistische und communistische Schriften ebenfalls eine Rolle spielen. Die Sache mag
eben mädchenhaft und spielend betrieben worden sein; indessen fand man sich doch
zur Schließung des Instituts bewogen. Wir wollen dieser Damenverschwörnng
hier auch keine weitere als eine symptomatische Bedeutung beilegen. Auch in ihr
tritt das sociale Moment in den Vordergrund.

Blicken wir auf die Auffassung der europäischen Revolution, wie sie' sich in
den russischen Manifesten der Jahre 1848 und 1849 äußert, so ist hier übeM
die politische Bewegung nur als verkappte Drehbewegung social-communistischer
Tendenzen aufgefaßt, welche selbst wieder ein Ergebniß atheistischer Sophisterei
genannt werden, während vom nationalen Momente nirgend anders, als von
einer Maske die Rede ist, welche die Revolution vorgenommen habe, um sich den
Anschein eiuer gewissen moralischen Berechtigung zu verleihen. "Die Revolution
ist vor Allem antichristlich" -- heißt es in jener (allerdings von russischen Federn
ebenfalls abgeleugneten) Denkschrift, welche dem Kaiser von Rußland von einem
höhern Beamte" im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten nach der
Februarrevolution übergeben wurde; "dieser antichristliche Geist ist die Seele der
Revolution, ist ihr eigentlicher, wesentlicher Charakter, während die verschiedenen
Formen, unter denen sie aufgetreten, das Feldgeschrei, unter dem sie kämpft, und
alles Andere bis auf ihre Gewaltthaten und Verbrechen nichts als Nebensachen
und Zufälligkeiten sind. ... Ju der That, alle diese naiv-gotteslästerlichen Decla-
mationen, welche so zu sagen die officielle Sprache der Gegenwart geworden sind,


hatte. Unter den Verurtheilten befanden sich 7 Collegienräthe, 5 Offiziere, 2 niedere
Beamte, 3 Studenten und 2 Edelleute; keiner von ihnen trug einen glänzenden
Aristokratennamen, unter den Aumestirten fehlten jedoch auch solche nicht. Ueber
den Charakter der Verschwörung liest man nun in dem offiziellen Artikel, „daß
eine Anzahl junger Leute, von denen die einen an Geist und Gemüth verderbt,
die andern leichtsinnige Opfer perfider Einflüsterungen sind, eine geheime Gesellschaft
zum Zwecke des gewaltsamen Umsturzes unserer politischen Organisation und zur
Einführung einer Staatsform nach ihrem Sinne, d. h. der Gesetzlosigkeit gebildet
hatte. Gotteslästerliche Schmähungen, tollkühne Pläne gegen die geheiligte
Person des Kaisers, Darstellung der Negierungömaßrcgeln in gehässigen Lichte: das
war das Programm dieser Verbindung, dies die Fragen, welche man behandelte, in¬
dem man des Augenblicks harrte, die unseligen Plane zur Ausführung zu bringen" ze.
Aus dem Schlüsse des Manifestes ergab sich außerdem keineswegs undeutlich, wie
die Untersuchung bis zu den äußersten Verzweigungen des Unternehmens Vor¬
zudringen nicht vermocht hatte. Wohin wir auch blicken, überall sind die ersten,
so hart verschrieenen Kunden bestätigt. Zwischen die Entdeckung dieser Ver¬
schwörung und die jetzigen abermals stattgefunden«!! Verhaftungen in Polen fällt
außerdem der später ins Lächerliche gezogene „Aufruhr im Serail" — die an¬
gebliche Verschwörung in jenem Mädchen-Erziehungsinstitut bei Warschau, bei welcher
socialistische und communistische Schriften ebenfalls eine Rolle spielen. Die Sache mag
eben mädchenhaft und spielend betrieben worden sein; indessen fand man sich doch
zur Schließung des Instituts bewogen. Wir wollen dieser Damenverschwörnng
hier auch keine weitere als eine symptomatische Bedeutung beilegen. Auch in ihr
tritt das sociale Moment in den Vordergrund.

Blicken wir auf die Auffassung der europäischen Revolution, wie sie' sich in
den russischen Manifesten der Jahre 1848 und 1849 äußert, so ist hier übeM
die politische Bewegung nur als verkappte Drehbewegung social-communistischer
Tendenzen aufgefaßt, welche selbst wieder ein Ergebniß atheistischer Sophisterei
genannt werden, während vom nationalen Momente nirgend anders, als von
einer Maske die Rede ist, welche die Revolution vorgenommen habe, um sich den
Anschein eiuer gewissen moralischen Berechtigung zu verleihen. „Die Revolution
ist vor Allem antichristlich" — heißt es in jener (allerdings von russischen Federn
ebenfalls abgeleugneten) Denkschrift, welche dem Kaiser von Rußland von einem
höhern Beamte» im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten nach der
Februarrevolution übergeben wurde; „dieser antichristliche Geist ist die Seele der
Revolution, ist ihr eigentlicher, wesentlicher Charakter, während die verschiedenen
Formen, unter denen sie aufgetreten, das Feldgeschrei, unter dem sie kämpft, und
alles Andere bis auf ihre Gewaltthaten und Verbrechen nichts als Nebensachen
und Zufälligkeiten sind. ... Ju der That, alle diese naiv-gotteslästerlichen Decla-
mationen, welche so zu sagen die officielle Sprache der Gegenwart geworden sind,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/250>, abgerufen am 01.09.2024.