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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Die zweite Unklarheit liegt in dem unbestimmten Bild, das man sich von einem
"Verein" macht, der weder Staat, noch überhaupt Organisation sein soll. Auch
der Freihandel setzt Rechte, Sicherheiten voraus, die ans einer solideren Basis ruhen
müssen, als ans der allgemeinen Billigkeit. Jeder Verein, der innerhalb der
Culturwelt entsteht, muß, um sich innerhalb derselben geltend zu machen, gewisse
Rechtsverbindlichkeiten eingehen; der Einzelne, "Freie", muß es in uoch höheren
Grade; und in der Wildniß wird die Gesellschaft sich selbst bedingen müssen.

Diese handgreiflichen Widersprüche sind unschädlich, weil sie unpraktisch sind.
In der realen Welt wird die Einführung der Anarchie schwer fallen; und tritt
sie als Uebergangsstufe ein, so wird sie ihr Gegengift in der allgemeinen, dem
Menschen einwohnenden Natur finden, die nach Herstellung geordneter Zustände
strebt.

Größere Aufmerksamkeit ist aber auf den dritten Punkt zu richten, der ge¬
fährlicher ist, weil er sich uicht in Unmöglichkeiten bewegt. DaS Wesen des
Staats, von dem wir hier reden, ist die Concentration größerer Kreise in einen
lebendigen Organismus, der einen gemeinsamen Mittelpunkt hat, von welchem
aus alle Kräfte geleitet und getrieben werden. Daß ein solches System der Con¬
centration seine Grenzen hat, über die hinaus es schädlich auf das Gedeihen des
Volks einwirkt, hat die Geschichte Frankreichs gelehrt. Aber man ist jetzt nur zu
geneigt, in das entgegengesetzte Extrem zu versallen. Der Trieb des Menschen
nach Freiheit, in seiner letzten Konsequenz das grillenhafte Anachoretenthum,
wird einseitig als der letzte und höchste Zweck des menschlichen Lebens aufgefaßt.
Aber die Leidenschaften der Herrschsucht, des Ehrgeizes, der Liebe u. s. w. sind
nicht allein weit stärker, sondern auch viel productiver in der Förderung der Cultur.
Sie werden allein hinreichen, jene Concentrationen, wo der Starke und Kluge
herrscht, und die Masse gehorcht, d. h. Staaten hervorzubringen; und der Trieb
der Freiheit wird diese Staaten in eine gesetzliche Form bringen. Die höchsten
Zwecke der Cultur, und die edelsten Kräfte des Geistes können nur gefördert
werde", wo der Blick ins Große reicht, der starke Arm aus dem Vollen arbeiten
kann. Für uns in Deutschland ist eine Rettung von der Schmach des kläglichsten,
verächtlichsten Spießbürgerthums nur durch eine starke, eiserne staatliche Concen¬
tration möglich, und wenn sie -- ich sage es ungescheut -- zunächst durch deu
Weg des unbeschränktesten Despotismus sichren sollte.




Die zweite Unklarheit liegt in dem unbestimmten Bild, das man sich von einem
„Verein" macht, der weder Staat, noch überhaupt Organisation sein soll. Auch
der Freihandel setzt Rechte, Sicherheiten voraus, die ans einer solideren Basis ruhen
müssen, als ans der allgemeinen Billigkeit. Jeder Verein, der innerhalb der
Culturwelt entsteht, muß, um sich innerhalb derselben geltend zu machen, gewisse
Rechtsverbindlichkeiten eingehen; der Einzelne, „Freie", muß es in uoch höheren
Grade; und in der Wildniß wird die Gesellschaft sich selbst bedingen müssen.

Diese handgreiflichen Widersprüche sind unschädlich, weil sie unpraktisch sind.
In der realen Welt wird die Einführung der Anarchie schwer fallen; und tritt
sie als Uebergangsstufe ein, so wird sie ihr Gegengift in der allgemeinen, dem
Menschen einwohnenden Natur finden, die nach Herstellung geordneter Zustände
strebt.

Größere Aufmerksamkeit ist aber auf den dritten Punkt zu richten, der ge¬
fährlicher ist, weil er sich uicht in Unmöglichkeiten bewegt. DaS Wesen des
Staats, von dem wir hier reden, ist die Concentration größerer Kreise in einen
lebendigen Organismus, der einen gemeinsamen Mittelpunkt hat, von welchem
aus alle Kräfte geleitet und getrieben werden. Daß ein solches System der Con¬
centration seine Grenzen hat, über die hinaus es schädlich auf das Gedeihen des
Volks einwirkt, hat die Geschichte Frankreichs gelehrt. Aber man ist jetzt nur zu
geneigt, in das entgegengesetzte Extrem zu versallen. Der Trieb des Menschen
nach Freiheit, in seiner letzten Konsequenz das grillenhafte Anachoretenthum,
wird einseitig als der letzte und höchste Zweck des menschlichen Lebens aufgefaßt.
Aber die Leidenschaften der Herrschsucht, des Ehrgeizes, der Liebe u. s. w. sind
nicht allein weit stärker, sondern auch viel productiver in der Förderung der Cultur.
Sie werden allein hinreichen, jene Concentrationen, wo der Starke und Kluge
herrscht, und die Masse gehorcht, d. h. Staaten hervorzubringen; und der Trieb
der Freiheit wird diese Staaten in eine gesetzliche Form bringen. Die höchsten
Zwecke der Cultur, und die edelsten Kräfte des Geistes können nur gefördert
werde», wo der Blick ins Große reicht, der starke Arm aus dem Vollen arbeiten
kann. Für uns in Deutschland ist eine Rettung von der Schmach des kläglichsten,
verächtlichsten Spießbürgerthums nur durch eine starke, eiserne staatliche Concen¬
tration möglich, und wenn sie — ich sage es ungescheut — zunächst durch deu
Weg des unbeschränktesten Despotismus sichren sollte.




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[0229] Die zweite Unklarheit liegt in dem unbestimmten Bild, das man sich von einem „Verein" macht, der weder Staat, noch überhaupt Organisation sein soll. Auch der Freihandel setzt Rechte, Sicherheiten voraus, die ans einer solideren Basis ruhen müssen, als ans der allgemeinen Billigkeit. Jeder Verein, der innerhalb der Culturwelt entsteht, muß, um sich innerhalb derselben geltend zu machen, gewisse Rechtsverbindlichkeiten eingehen; der Einzelne, „Freie", muß es in uoch höheren Grade; und in der Wildniß wird die Gesellschaft sich selbst bedingen müssen. Diese handgreiflichen Widersprüche sind unschädlich, weil sie unpraktisch sind. In der realen Welt wird die Einführung der Anarchie schwer fallen; und tritt sie als Uebergangsstufe ein, so wird sie ihr Gegengift in der allgemeinen, dem Menschen einwohnenden Natur finden, die nach Herstellung geordneter Zustände strebt. Größere Aufmerksamkeit ist aber auf den dritten Punkt zu richten, der ge¬ fährlicher ist, weil er sich uicht in Unmöglichkeiten bewegt. DaS Wesen des Staats, von dem wir hier reden, ist die Concentration größerer Kreise in einen lebendigen Organismus, der einen gemeinsamen Mittelpunkt hat, von welchem aus alle Kräfte geleitet und getrieben werden. Daß ein solches System der Con¬ centration seine Grenzen hat, über die hinaus es schädlich auf das Gedeihen des Volks einwirkt, hat die Geschichte Frankreichs gelehrt. Aber man ist jetzt nur zu geneigt, in das entgegengesetzte Extrem zu versallen. Der Trieb des Menschen nach Freiheit, in seiner letzten Konsequenz das grillenhafte Anachoretenthum, wird einseitig als der letzte und höchste Zweck des menschlichen Lebens aufgefaßt. Aber die Leidenschaften der Herrschsucht, des Ehrgeizes, der Liebe u. s. w. sind nicht allein weit stärker, sondern auch viel productiver in der Förderung der Cultur. Sie werden allein hinreichen, jene Concentrationen, wo der Starke und Kluge herrscht, und die Masse gehorcht, d. h. Staaten hervorzubringen; und der Trieb der Freiheit wird diese Staaten in eine gesetzliche Form bringen. Die höchsten Zwecke der Cultur, und die edelsten Kräfte des Geistes können nur gefördert werde», wo der Blick ins Große reicht, der starke Arm aus dem Vollen arbeiten kann. Für uns in Deutschland ist eine Rettung von der Schmach des kläglichsten, verächtlichsten Spießbürgerthums nur durch eine starke, eiserne staatliche Concen¬ tration möglich, und wenn sie — ich sage es ungescheut — zunächst durch deu Weg des unbeschränktesten Despotismus sichren sollte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/229>, abgerufen am 27.07.2024.