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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Seit lange hat nichts so sehr und mit so viele": Recht die öffentliche Mei¬
nung Deutschlands in Erregung versetzt, wie das Gerücht von der Unterzeichnung
eines Protokolls zu London, durch die drei Großmächte außerhalb Deutschlands,
jenes Protokolls, welches der preußische Bevollmächtigte Bunsen in seiner Protest¬
erklärung dagegen so treffend bezeichnete, als den Versuch eiuer Stipulation pour
I'^llemaKns, Sans l'^IIemagno, eoM-e Dieses Protokoll bildet den
Mittelpunkt der Betrachtungen, welche der deutsche Briefsteller an den englischen
Minister richtet.

Was diesen vorausgeht, die Schilderungen des heillosen und unerträglichen
Zustandes, welchen der unter Lord Palmerstonö Vermittelung zu Stande gekom¬
mene Waffenstillstand vom vorigen Jahre in den Herzogthümern ins Leben ge-
rufen, und die eindringlichen Vorstellungen, welche (-i<zrmaniLU8 Vinäox wegen
dessen Beseitigung macht, das alles, wie treffend und gewichtig es an sich auch ist,
mag doch als inzwischen factisch erledigt durch den inzwischen-ab geschlossenen Frie¬
den, oder, richtiger gesagt, durch den erneuten Krieg, wozu der Friede den
Herzogthümern das langersehnte Signal gegeben hat, auch hier als abgemacht bei
Seite liegen bleiben. Selbst dieser gegenwärtige Krieg und sein augenblickliches
Resultat, wäre es sogar die Unterwerfung der Herzogthümer unter Dänemark ohne
die vollständige Sicherung ihrer Rechte dürfte doch das Schlimmste noch nicht sein,
was ihnen und uns droht. Das Schlimmste -- das ist eben jener Versuch der
Großmächte, die Erbfolge in Schleswig-Holstein ans der Basis der bloßen Zweck¬
mäßigkeitspolitik, der diplomatischen Convenienz mit Beiseitesctzung der geschicht¬
lichen, legitimen Ansprüche, unter dem Gesichtspunkte der Nothwendigkeit einer
dänischen Gesammtmonarchie zu regeln. Würde dieser Versuch jemals mehr
als ein Versuch, träte er als politische That ius Leben, so wäre die Selbststän¬
digkeit der Herzogthümer für immer dahin, so wäre Deutschlands politische und
moralische Vernichtung ausgesprochen, so wäre Rußlands Suprematie über das
ganze nördliche Europa sanctionirt. Zum Glück ist es gerade die Größe der Gefahr,
welche deren Wahrscheinlichkeit verringert. Die Erweiterung der Frage um die
Rechte Schleswig-Holsteins zu eiuer Frage um Sein und Nichtsein Deutschlands
macht es Oestreich unmöglich, sich bei der Entscheidung derselben von Preußen zu
trennen. -- Oestreich würde sich für immer von Deutschland ausschließen, wenn
es Deutschland hier verriethe! -- und der enge Zusammenhang, in dem wiederum
diese deutsche Frage mit dem allgemeinen europäischen Gleichgewicht steht, läßt es
fast unmöglich erscheinen, daß England im Ernste die Hand zu einem Arrange¬
ment der Art bieten sollte, wie es das Londoner Protokoll in Aussicht stellt. --
Dies ist denn auch der Punkt, an welchen mit geschickter Hand <ZvrmamLU8 Vir-
"Zgx seiue Vorstellungen an Lord Palmerston anknüpft. "Es kann nicht über¬
raschen," ruft er dem englischen Staatssecretär zu, "wenn Nußland sich bemüht,
die Sanction der Großmächte zu erwirken für einen Plan, welcher darauf hinaus-


Seit lange hat nichts so sehr und mit so viele»: Recht die öffentliche Mei¬
nung Deutschlands in Erregung versetzt, wie das Gerücht von der Unterzeichnung
eines Protokolls zu London, durch die drei Großmächte außerhalb Deutschlands,
jenes Protokolls, welches der preußische Bevollmächtigte Bunsen in seiner Protest¬
erklärung dagegen so treffend bezeichnete, als den Versuch eiuer Stipulation pour
I'^llemaKns, Sans l'^IIemagno, eoM-e Dieses Protokoll bildet den
Mittelpunkt der Betrachtungen, welche der deutsche Briefsteller an den englischen
Minister richtet.

Was diesen vorausgeht, die Schilderungen des heillosen und unerträglichen
Zustandes, welchen der unter Lord Palmerstonö Vermittelung zu Stande gekom¬
mene Waffenstillstand vom vorigen Jahre in den Herzogthümern ins Leben ge-
rufen, und die eindringlichen Vorstellungen, welche (-i<zrmaniLU8 Vinäox wegen
dessen Beseitigung macht, das alles, wie treffend und gewichtig es an sich auch ist,
mag doch als inzwischen factisch erledigt durch den inzwischen-ab geschlossenen Frie¬
den, oder, richtiger gesagt, durch den erneuten Krieg, wozu der Friede den
Herzogthümern das langersehnte Signal gegeben hat, auch hier als abgemacht bei
Seite liegen bleiben. Selbst dieser gegenwärtige Krieg und sein augenblickliches
Resultat, wäre es sogar die Unterwerfung der Herzogthümer unter Dänemark ohne
die vollständige Sicherung ihrer Rechte dürfte doch das Schlimmste noch nicht sein,
was ihnen und uns droht. Das Schlimmste — das ist eben jener Versuch der
Großmächte, die Erbfolge in Schleswig-Holstein ans der Basis der bloßen Zweck¬
mäßigkeitspolitik, der diplomatischen Convenienz mit Beiseitesctzung der geschicht¬
lichen, legitimen Ansprüche, unter dem Gesichtspunkte der Nothwendigkeit einer
dänischen Gesammtmonarchie zu regeln. Würde dieser Versuch jemals mehr
als ein Versuch, träte er als politische That ius Leben, so wäre die Selbststän¬
digkeit der Herzogthümer für immer dahin, so wäre Deutschlands politische und
moralische Vernichtung ausgesprochen, so wäre Rußlands Suprematie über das
ganze nördliche Europa sanctionirt. Zum Glück ist es gerade die Größe der Gefahr,
welche deren Wahrscheinlichkeit verringert. Die Erweiterung der Frage um die
Rechte Schleswig-Holsteins zu eiuer Frage um Sein und Nichtsein Deutschlands
macht es Oestreich unmöglich, sich bei der Entscheidung derselben von Preußen zu
trennen. — Oestreich würde sich für immer von Deutschland ausschließen, wenn
es Deutschland hier verriethe! — und der enge Zusammenhang, in dem wiederum
diese deutsche Frage mit dem allgemeinen europäischen Gleichgewicht steht, läßt es
fast unmöglich erscheinen, daß England im Ernste die Hand zu einem Arrange¬
ment der Art bieten sollte, wie es das Londoner Protokoll in Aussicht stellt. —
Dies ist denn auch der Punkt, an welchen mit geschickter Hand <ZvrmamLU8 Vir-
«Zgx seiue Vorstellungen an Lord Palmerston anknüpft. „Es kann nicht über¬
raschen," ruft er dem englischen Staatssecretär zu, „wenn Nußland sich bemüht,
die Sanction der Großmächte zu erwirken für einen Plan, welcher darauf hinaus-


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[0215] Seit lange hat nichts so sehr und mit so viele»: Recht die öffentliche Mei¬ nung Deutschlands in Erregung versetzt, wie das Gerücht von der Unterzeichnung eines Protokolls zu London, durch die drei Großmächte außerhalb Deutschlands, jenes Protokolls, welches der preußische Bevollmächtigte Bunsen in seiner Protest¬ erklärung dagegen so treffend bezeichnete, als den Versuch eiuer Stipulation pour I'^llemaKns, Sans l'^IIemagno, eoM-e Dieses Protokoll bildet den Mittelpunkt der Betrachtungen, welche der deutsche Briefsteller an den englischen Minister richtet. Was diesen vorausgeht, die Schilderungen des heillosen und unerträglichen Zustandes, welchen der unter Lord Palmerstonö Vermittelung zu Stande gekom¬ mene Waffenstillstand vom vorigen Jahre in den Herzogthümern ins Leben ge- rufen, und die eindringlichen Vorstellungen, welche (-i<zrmaniLU8 Vinäox wegen dessen Beseitigung macht, das alles, wie treffend und gewichtig es an sich auch ist, mag doch als inzwischen factisch erledigt durch den inzwischen-ab geschlossenen Frie¬ den, oder, richtiger gesagt, durch den erneuten Krieg, wozu der Friede den Herzogthümern das langersehnte Signal gegeben hat, auch hier als abgemacht bei Seite liegen bleiben. Selbst dieser gegenwärtige Krieg und sein augenblickliches Resultat, wäre es sogar die Unterwerfung der Herzogthümer unter Dänemark ohne die vollständige Sicherung ihrer Rechte dürfte doch das Schlimmste noch nicht sein, was ihnen und uns droht. Das Schlimmste — das ist eben jener Versuch der Großmächte, die Erbfolge in Schleswig-Holstein ans der Basis der bloßen Zweck¬ mäßigkeitspolitik, der diplomatischen Convenienz mit Beiseitesctzung der geschicht¬ lichen, legitimen Ansprüche, unter dem Gesichtspunkte der Nothwendigkeit einer dänischen Gesammtmonarchie zu regeln. Würde dieser Versuch jemals mehr als ein Versuch, träte er als politische That ius Leben, so wäre die Selbststän¬ digkeit der Herzogthümer für immer dahin, so wäre Deutschlands politische und moralische Vernichtung ausgesprochen, so wäre Rußlands Suprematie über das ganze nördliche Europa sanctionirt. Zum Glück ist es gerade die Größe der Gefahr, welche deren Wahrscheinlichkeit verringert. Die Erweiterung der Frage um die Rechte Schleswig-Holsteins zu eiuer Frage um Sein und Nichtsein Deutschlands macht es Oestreich unmöglich, sich bei der Entscheidung derselben von Preußen zu trennen. — Oestreich würde sich für immer von Deutschland ausschließen, wenn es Deutschland hier verriethe! — und der enge Zusammenhang, in dem wiederum diese deutsche Frage mit dem allgemeinen europäischen Gleichgewicht steht, läßt es fast unmöglich erscheinen, daß England im Ernste die Hand zu einem Arrange¬ ment der Art bieten sollte, wie es das Londoner Protokoll in Aussicht stellt. — Dies ist denn auch der Punkt, an welchen mit geschickter Hand <ZvrmamLU8 Vir- «Zgx seiue Vorstellungen an Lord Palmerston anknüpft. „Es kann nicht über¬ raschen," ruft er dem englischen Staatssecretär zu, „wenn Nußland sich bemüht, die Sanction der Großmächte zu erwirken für einen Plan, welcher darauf hinaus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/215>, abgerufen am 27.07.2024.