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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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köpfe stecken, nach Mostar, der Residenz, und trifft gleich beim Eintritt in den
Pallast einen Sohn des Vezir's, einen leidenschaftlichen Christenhasser, der kurz
vorher als Gesandtee zum Vladika gereist, auf dessen Gebiet verrätherisch von
einigen Montenegrinern überfallen und mit Mühe dem Tode entronnen war. Der
schien dem Reisenden grade der rechte Mann für sein menscheusrenndliches Vor¬
haben, und er machte ihm sogleich die nöthigen Andeutungen, welche der Jüngling
aber mit finstren Stolz von der Hand wieß. Thut nichts, denkt der Engländer,
junge Türken sind heftig und unartig, sie pflegen erst im Alter liebenswürdig zu
werden. Demnach nimmt er sich den alten Vezir vor, und ermahnt ihn zum
Frieden mit den Montenegrinern, dessen einzige Garantie sei, daß das landesübliche
Nenommiren mit 'abgeschnittenen Köpfen aufhöre. Ja, sagt der weise Türke, das
ist Alles wahr, diese Hunde von Montenegrinern haben die schlechte Sitte ein¬
geführt, meine Türken würden es allenfalls lassen, aber diese Griechen haben ja
keinen Sinn für Gerechtigkeit. Der Engländer läßt sich nicht stören, er stellt
dem Türken die Sache so dringlich, ja und so verständig und wacker vor, daß
der alte Fuchs ganz nachgiebig wird und sich bereit erklärt, das Abschneiden ab¬
zuschaffen, wenn es der Vladika auf seiner Seite auch abschaffe und mit den
Montenegrinern in Friede und Freundschaft zu leben, wenn der Vladika das Ent¬
sprechende wolle. Darauf empfiehlt sich WMnsou und schreibt an den Vladika,
unterrichtet ihn vom günstigen Stande der Angelegenheit und fordert ihn dringend
auf, jetzt seinerseits Schritte zu thun. Noch.nicht genug, er geht nach Constan-
tinopel, und dringt bei Stratford Canning darauf, dnrch die Pforte den Vezir
zu bearbeiten. Leider erwies sich die'Pforte sehr kühl, leider schrieb der Vladika
an ihn: Glauben Sic mir, es geht nicht, das Mißtrauen und der Haß zwischen
uns und ihnen ist zu groß; leider schneiden die feindlichen Nachbarn einander noch
immer die Köpfe ab, aber der Engländer hat doch die Freude, etwas Nützliches
unternommen und so weit an ihm lag, auch durchgeführt zu haben, er hat die
persönliche Genugthuung, daß beide Parteien ihn als einen tüchtigen und guten
Menschen ehren, denn auch der alte Türke schrieb noch in die Ferne an ihn und
bewies ihm aufs Neue Vertrauen und guten Witten; und vor Allem hat er die
Empfindung, eine gute Saat gesät zu haben, welche doch wohl früher oder später
aufgehen mag. -- Als einzelner Reisender gleichgültig unter Türken und Mon¬
tenegriner zu treten, den wilden Häuptlingen Peinliches ins Gesicht zu sagen, For¬
derungen zu stellen, welche sie im Stillen sür höchst unverschämt halten, und das
Alles, um beiläufig etwas Gutes durchzusetzen, wozu sich gerade auf der Straße
eine Gelegenheit bietet, das setzt einen Charakter voraus, über den zu lächeln
möglich ist, der steh aber überall Achtung erzwingen wird. Muth haben viele
Menschen, wenn sie in die Gefahr geworfen werden, fliegenden Enthusiasmus haben
manche Völker im Ueberfluß, aber diese gcntile, imvcrturbable, kühle Zähigkeit,
die tapfere selbstvertrancnde Sicherheit ist in Europa vorzugsweise eine eng-


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köpfe stecken, nach Mostar, der Residenz, und trifft gleich beim Eintritt in den
Pallast einen Sohn des Vezir's, einen leidenschaftlichen Christenhasser, der kurz
vorher als Gesandtee zum Vladika gereist, auf dessen Gebiet verrätherisch von
einigen Montenegrinern überfallen und mit Mühe dem Tode entronnen war. Der
schien dem Reisenden grade der rechte Mann für sein menscheusrenndliches Vor¬
haben, und er machte ihm sogleich die nöthigen Andeutungen, welche der Jüngling
aber mit finstren Stolz von der Hand wieß. Thut nichts, denkt der Engländer,
junge Türken sind heftig und unartig, sie pflegen erst im Alter liebenswürdig zu
werden. Demnach nimmt er sich den alten Vezir vor, und ermahnt ihn zum
Frieden mit den Montenegrinern, dessen einzige Garantie sei, daß das landesübliche
Nenommiren mit 'abgeschnittenen Köpfen aufhöre. Ja, sagt der weise Türke, das
ist Alles wahr, diese Hunde von Montenegrinern haben die schlechte Sitte ein¬
geführt, meine Türken würden es allenfalls lassen, aber diese Griechen haben ja
keinen Sinn für Gerechtigkeit. Der Engländer läßt sich nicht stören, er stellt
dem Türken die Sache so dringlich, ja und so verständig und wacker vor, daß
der alte Fuchs ganz nachgiebig wird und sich bereit erklärt, das Abschneiden ab¬
zuschaffen, wenn es der Vladika auf seiner Seite auch abschaffe und mit den
Montenegrinern in Friede und Freundschaft zu leben, wenn der Vladika das Ent¬
sprechende wolle. Darauf empfiehlt sich WMnsou und schreibt an den Vladika,
unterrichtet ihn vom günstigen Stande der Angelegenheit und fordert ihn dringend
auf, jetzt seinerseits Schritte zu thun. Noch.nicht genug, er geht nach Constan-
tinopel, und dringt bei Stratford Canning darauf, dnrch die Pforte den Vezir
zu bearbeiten. Leider erwies sich die'Pforte sehr kühl, leider schrieb der Vladika
an ihn: Glauben Sic mir, es geht nicht, das Mißtrauen und der Haß zwischen
uns und ihnen ist zu groß; leider schneiden die feindlichen Nachbarn einander noch
immer die Köpfe ab, aber der Engländer hat doch die Freude, etwas Nützliches
unternommen und so weit an ihm lag, auch durchgeführt zu haben, er hat die
persönliche Genugthuung, daß beide Parteien ihn als einen tüchtigen und guten
Menschen ehren, denn auch der alte Türke schrieb noch in die Ferne an ihn und
bewies ihm aufs Neue Vertrauen und guten Witten; und vor Allem hat er die
Empfindung, eine gute Saat gesät zu haben, welche doch wohl früher oder später
aufgehen mag. — Als einzelner Reisender gleichgültig unter Türken und Mon¬
tenegriner zu treten, den wilden Häuptlingen Peinliches ins Gesicht zu sagen, For¬
derungen zu stellen, welche sie im Stillen sür höchst unverschämt halten, und das
Alles, um beiläufig etwas Gutes durchzusetzen, wozu sich gerade auf der Straße
eine Gelegenheit bietet, das setzt einen Charakter voraus, über den zu lächeln
möglich ist, der steh aber überall Achtung erzwingen wird. Muth haben viele
Menschen, wenn sie in die Gefahr geworfen werden, fliegenden Enthusiasmus haben
manche Völker im Ueberfluß, aber diese gcntile, imvcrturbable, kühle Zähigkeit,
die tapfere selbstvertrancnde Sicherheit ist in Europa vorzugsweise eine eng-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/19>, abgerufen am 27.07.2024.