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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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an Bord des holsteinischen Fahrzeugs nud bedeuteten dem Commandeur, er solle
das Commando niederlegen und seine Leute entwaffnen, oder augenblicklich den
Hafen verlassen. Eine Schmach, der ein Kriegscavitain naturlich den Untergang
vorzieht. -- Durften die Lupe'schen Sic nicht im Hafen lassen? -- Na, meinte
Brand, nach dem Bnchstal'en freilich nicht, aber wenn sie ein Auge zugedrückt
hätten, so könnt' es ihnen höchstens einen scharfen Verweis zuziehen. Aber sie
sind einmal "dänisch gesunut"*), wie man hier sagt. -- lind wer in Travemünde



') In Lübeck lebt noch die sogenannte "gute alte Zeit" mit ihrem Paar zweifelhafter
Privattugcndcn und ihrem schweren Schock öffentlicher Laster, Vorurtheile und Bocköbcntclcicu.
Das Privilegien- Monopol- "ut Kastenwesen, welches diese Karrikatur einer Republik auf
keinen grünen Zweig kommen läßt, ist bekannt. Man wird sich über Lübeck'S Kutte gegen
Deutschland nicht wundern, wenn man bedenkt, das, selbst der PatricnlarpatriotiSmnS der
lud'sehen Patrizier in den meisten Stücken eine Lüge ist; daS engere Vaterland bedeutet ihnen
ihr Haus und speciell daS Zimmer, worin der eiserne Geldkasten steht. Die hochweisen Väter
der Stadt, stets die reichsten Kantzc der Republik, halten darauf, ihre Kapitalien auswärts,
großentheils in England, unterzubringen und jeder heimathlichen Unternehmung zu entziehen,
deren Gewinn dem Gemeinwohl und nicht ihnen allein zu Gute käme; gegen ihr Landgcbict
und ihre unterthänige Stadt Travemünde spielen sie die Rabenvater. Unter Andern sei er¬
wähnt, daß Schiffsladungen, die für Travemünde bestimmt sind, nicht daselbst, sondern nur
in Lübeck löschen dürfen, von Ivo die Cargo wieder langsam zurück nach Travemünde wan¬
dert. Ist es doch vor wenigen Jahren eines strengen Winters vorgekommen, daß die Be¬
völkerung von Travemünde drei Tage laug frieren mußte, obgleich einige Schiffsladungen
Steinkohlen ihr vor der Nase im Hafen lagen; die Kohlen mußten erst nach Lübeck, ich
weiß nicht mehr, ob per Achse; der wohlweise Senat befehlet eine unterthänige Petition der
heizungSlustigcn Stadt dahin, ein bischen Frost und Schnee sei kein Grund, eine Ausnahme
von der Regel zu machen; es wäre kein Verdienst, alten Gerechtsamen sich zu beugen, wenn
dieselben praktisch und billig wären. Durch solche Zwackereicu und durch bettelhafte Kriecherei
vor demselben Norden, über dessen Scepter und Kronen sie einst verfügte, denkt die gesunkene
Hansestadt ihren selbstverschuldeten Verfall aufzuhalten. Die Kriege von 1813 und 1849
brachten Lübeck großen Vortheil, indem Dänemark, seiner eigenen Communication mit dem
Festland willen -- auch Londoner Briefe gehen besser über Hamburg und Lübeck als um
Skagen herum nach Seeland -- die Häfen Wismar und Lübeck allein in der ganzen Ost-
nnd Nordsee unblockirt ließ. Lübeck hatte demnach mehr Grund, den Holstcinern dankbar zu
sein, als den Dänen. ES stellte pflichtgemäß etwa 80 Dragoner zum ReichSeontingent, --
die Eskadron hieß in Holstein "LcbenöversicherungSanstalt", weil sie nicht inS Feuer kam,
wurde übrigens einmal glücklich überrumpelt und bis auf das letzte Pferd gefangen genom¬
men -- ; während eS also zu den offiziellen Feinden Dänemarks zählte, wußte es doch bei
verschiedenen Gelegenheiten seine dänischen Sympathien dnrch eine mehr als neutrale Hal¬
tung zu beweisen. Seine Kaufleute schalten uns "Rcbcllenvolk" und "hochvcrräthcrischcS"
Gesindel. Vierzehn Tage nach der Kanoncnschlacht von Eckernförde desertirten vier gefangene
dänische Seckadetten ans Glückstadt nach Lübeck, Ivo sie vom Erpcditcnr der Dampfschiffe,
dem .einflußreichen Rathsverwandter Rötting mit Paß und unentgeltlichen Fahrkarten "ach
Kopenhagen versehen wurden. Dieser Liebesdienst kam dadurch aus Licht, daß die Flücht¬
linge durch Schleswig-holsteinische Jäger verfolgt und in Travemünde von Bord zurückgeholt
wurden. In demselben Gewässer, wo "v, d. Tann" mit dem Geyser focht, jagte voriges
Jahr eine dänische Barcasse zwei Neustädter Dachten; die eine gelangte glücklich in den Hafen
von Travemünde, die andere wurde unter der Rhede fast hart unter der" Schanze genommen,
ohne daß die Hanseaten auf den Feind zu Gunsten der "Rebellen" einen Schuß thun wollten.
Neustädter Schiffer und Fischer, die das elende Stücklein mit ansahen, fielen über die ritter¬
lichen Hanseaten her und octrohirten ihnen eine ehrliche Tracht deutscher Hieve; die Schanze

an Bord des holsteinischen Fahrzeugs nud bedeuteten dem Commandeur, er solle
das Commando niederlegen und seine Leute entwaffnen, oder augenblicklich den
Hafen verlassen. Eine Schmach, der ein Kriegscavitain naturlich den Untergang
vorzieht. — Durften die Lupe'schen Sic nicht im Hafen lassen? — Na, meinte
Brand, nach dem Bnchstal'en freilich nicht, aber wenn sie ein Auge zugedrückt
hätten, so könnt' es ihnen höchstens einen scharfen Verweis zuziehen. Aber sie
sind einmal „dänisch gesunut"*), wie man hier sagt. — lind wer in Travemünde



') In Lübeck lebt noch die sogenannte „gute alte Zeit" mit ihrem Paar zweifelhafter
Privattugcndcn und ihrem schweren Schock öffentlicher Laster, Vorurtheile und Bocköbcntclcicu.
Das Privilegien- Monopol- »ut Kastenwesen, welches diese Karrikatur einer Republik auf
keinen grünen Zweig kommen läßt, ist bekannt. Man wird sich über Lübeck'S Kutte gegen
Deutschland nicht wundern, wenn man bedenkt, das, selbst der PatricnlarpatriotiSmnS der
lud'sehen Patrizier in den meisten Stücken eine Lüge ist; daS engere Vaterland bedeutet ihnen
ihr Haus und speciell daS Zimmer, worin der eiserne Geldkasten steht. Die hochweisen Väter
der Stadt, stets die reichsten Kantzc der Republik, halten darauf, ihre Kapitalien auswärts,
großentheils in England, unterzubringen und jeder heimathlichen Unternehmung zu entziehen,
deren Gewinn dem Gemeinwohl und nicht ihnen allein zu Gute käme; gegen ihr Landgcbict
und ihre unterthänige Stadt Travemünde spielen sie die Rabenvater. Unter Andern sei er¬
wähnt, daß Schiffsladungen, die für Travemünde bestimmt sind, nicht daselbst, sondern nur
in Lübeck löschen dürfen, von Ivo die Cargo wieder langsam zurück nach Travemünde wan¬
dert. Ist es doch vor wenigen Jahren eines strengen Winters vorgekommen, daß die Be¬
völkerung von Travemünde drei Tage laug frieren mußte, obgleich einige Schiffsladungen
Steinkohlen ihr vor der Nase im Hafen lagen; die Kohlen mußten erst nach Lübeck, ich
weiß nicht mehr, ob per Achse; der wohlweise Senat befehlet eine unterthänige Petition der
heizungSlustigcn Stadt dahin, ein bischen Frost und Schnee sei kein Grund, eine Ausnahme
von der Regel zu machen; es wäre kein Verdienst, alten Gerechtsamen sich zu beugen, wenn
dieselben praktisch und billig wären. Durch solche Zwackereicu und durch bettelhafte Kriecherei
vor demselben Norden, über dessen Scepter und Kronen sie einst verfügte, denkt die gesunkene
Hansestadt ihren selbstverschuldeten Verfall aufzuhalten. Die Kriege von 1813 und 1849
brachten Lübeck großen Vortheil, indem Dänemark, seiner eigenen Communication mit dem
Festland willen — auch Londoner Briefe gehen besser über Hamburg und Lübeck als um
Skagen herum nach Seeland — die Häfen Wismar und Lübeck allein in der ganzen Ost-
nnd Nordsee unblockirt ließ. Lübeck hatte demnach mehr Grund, den Holstcinern dankbar zu
sein, als den Dänen. ES stellte pflichtgemäß etwa 80 Dragoner zum ReichSeontingent, —
die Eskadron hieß in Holstein „LcbenöversicherungSanstalt", weil sie nicht inS Feuer kam,
wurde übrigens einmal glücklich überrumpelt und bis auf das letzte Pferd gefangen genom¬
men — ; während eS also zu den offiziellen Feinden Dänemarks zählte, wußte es doch bei
verschiedenen Gelegenheiten seine dänischen Sympathien dnrch eine mehr als neutrale Hal¬
tung zu beweisen. Seine Kaufleute schalten uns „Rcbcllenvolk" und „hochvcrräthcrischcS"
Gesindel. Vierzehn Tage nach der Kanoncnschlacht von Eckernförde desertirten vier gefangene
dänische Seckadetten ans Glückstadt nach Lübeck, Ivo sie vom Erpcditcnr der Dampfschiffe,
dem .einflußreichen Rathsverwandter Rötting mit Paß und unentgeltlichen Fahrkarten »ach
Kopenhagen versehen wurden. Dieser Liebesdienst kam dadurch aus Licht, daß die Flücht¬
linge durch Schleswig-holsteinische Jäger verfolgt und in Travemünde von Bord zurückgeholt
wurden. In demselben Gewässer, wo „v, d. Tann" mit dem Geyser focht, jagte voriges
Jahr eine dänische Barcasse zwei Neustädter Dachten; die eine gelangte glücklich in den Hafen
von Travemünde, die andere wurde unter der Rhede fast hart unter der" Schanze genommen,
ohne daß die Hanseaten auf den Feind zu Gunsten der „Rebellen" einen Schuß thun wollten.
Neustädter Schiffer und Fischer, die das elende Stücklein mit ansahen, fielen über die ritter¬
lichen Hanseaten her und octrohirten ihnen eine ehrliche Tracht deutscher Hieve; die Schanze
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[0189] an Bord des holsteinischen Fahrzeugs nud bedeuteten dem Commandeur, er solle das Commando niederlegen und seine Leute entwaffnen, oder augenblicklich den Hafen verlassen. Eine Schmach, der ein Kriegscavitain naturlich den Untergang vorzieht. — Durften die Lupe'schen Sic nicht im Hafen lassen? — Na, meinte Brand, nach dem Bnchstal'en freilich nicht, aber wenn sie ein Auge zugedrückt hätten, so könnt' es ihnen höchstens einen scharfen Verweis zuziehen. Aber sie sind einmal „dänisch gesunut"*), wie man hier sagt. — lind wer in Travemünde ') In Lübeck lebt noch die sogenannte „gute alte Zeit" mit ihrem Paar zweifelhafter Privattugcndcn und ihrem schweren Schock öffentlicher Laster, Vorurtheile und Bocköbcntclcicu. Das Privilegien- Monopol- »ut Kastenwesen, welches diese Karrikatur einer Republik auf keinen grünen Zweig kommen läßt, ist bekannt. Man wird sich über Lübeck'S Kutte gegen Deutschland nicht wundern, wenn man bedenkt, das, selbst der PatricnlarpatriotiSmnS der lud'sehen Patrizier in den meisten Stücken eine Lüge ist; daS engere Vaterland bedeutet ihnen ihr Haus und speciell daS Zimmer, worin der eiserne Geldkasten steht. Die hochweisen Väter der Stadt, stets die reichsten Kantzc der Republik, halten darauf, ihre Kapitalien auswärts, großentheils in England, unterzubringen und jeder heimathlichen Unternehmung zu entziehen, deren Gewinn dem Gemeinwohl und nicht ihnen allein zu Gute käme; gegen ihr Landgcbict und ihre unterthänige Stadt Travemünde spielen sie die Rabenvater. Unter Andern sei er¬ wähnt, daß Schiffsladungen, die für Travemünde bestimmt sind, nicht daselbst, sondern nur in Lübeck löschen dürfen, von Ivo die Cargo wieder langsam zurück nach Travemünde wan¬ dert. Ist es doch vor wenigen Jahren eines strengen Winters vorgekommen, daß die Be¬ völkerung von Travemünde drei Tage laug frieren mußte, obgleich einige Schiffsladungen Steinkohlen ihr vor der Nase im Hafen lagen; die Kohlen mußten erst nach Lübeck, ich weiß nicht mehr, ob per Achse; der wohlweise Senat befehlet eine unterthänige Petition der heizungSlustigcn Stadt dahin, ein bischen Frost und Schnee sei kein Grund, eine Ausnahme von der Regel zu machen; es wäre kein Verdienst, alten Gerechtsamen sich zu beugen, wenn dieselben praktisch und billig wären. Durch solche Zwackereicu und durch bettelhafte Kriecherei vor demselben Norden, über dessen Scepter und Kronen sie einst verfügte, denkt die gesunkene Hansestadt ihren selbstverschuldeten Verfall aufzuhalten. Die Kriege von 1813 und 1849 brachten Lübeck großen Vortheil, indem Dänemark, seiner eigenen Communication mit dem Festland willen — auch Londoner Briefe gehen besser über Hamburg und Lübeck als um Skagen herum nach Seeland — die Häfen Wismar und Lübeck allein in der ganzen Ost- nnd Nordsee unblockirt ließ. Lübeck hatte demnach mehr Grund, den Holstcinern dankbar zu sein, als den Dänen. ES stellte pflichtgemäß etwa 80 Dragoner zum ReichSeontingent, — die Eskadron hieß in Holstein „LcbenöversicherungSanstalt", weil sie nicht inS Feuer kam, wurde übrigens einmal glücklich überrumpelt und bis auf das letzte Pferd gefangen genom¬ men — ; während eS also zu den offiziellen Feinden Dänemarks zählte, wußte es doch bei verschiedenen Gelegenheiten seine dänischen Sympathien dnrch eine mehr als neutrale Hal¬ tung zu beweisen. Seine Kaufleute schalten uns „Rcbcllenvolk" und „hochvcrräthcrischcS" Gesindel. Vierzehn Tage nach der Kanoncnschlacht von Eckernförde desertirten vier gefangene dänische Seckadetten ans Glückstadt nach Lübeck, Ivo sie vom Erpcditcnr der Dampfschiffe, dem .einflußreichen Rathsverwandter Rötting mit Paß und unentgeltlichen Fahrkarten »ach Kopenhagen versehen wurden. Dieser Liebesdienst kam dadurch aus Licht, daß die Flücht¬ linge durch Schleswig-holsteinische Jäger verfolgt und in Travemünde von Bord zurückgeholt wurden. In demselben Gewässer, wo „v, d. Tann" mit dem Geyser focht, jagte voriges Jahr eine dänische Barcasse zwei Neustädter Dachten; die eine gelangte glücklich in den Hafen von Travemünde, die andere wurde unter der Rhede fast hart unter der" Schanze genommen, ohne daß die Hanseaten auf den Feind zu Gunsten der „Rebellen" einen Schuß thun wollten. Neustädter Schiffer und Fischer, die das elende Stücklein mit ansahen, fielen über die ritter¬ lichen Hanseaten her und octrohirten ihnen eine ehrliche Tracht deutscher Hieve; die Schanze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/189>, abgerufen am 27.07.2024.