Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

folgen wollte, gerieth er auf Grund, -- der Lootse hatte die Besinnung verloren
-- während er vergeblich loszukommen strebte, ruckte ihm die Corvette auf den
Leib. Zu behaupten war das kleine Fahrzeug nicht, daher rannte Commandeur
Lauge den Schnabel ins Wasser, indem er die Geschütze uach vorn schob, den
emporragenden Spiegel, in dem die Pulverkammer ist, steckte er selbst in Brand.
Bis acht Minuten vor der Explosion aber setzte er den Kampf fort, dann stieg
die Mannschaft in ein Landungsboot und erklomm unter dreifachem Hurrah! den
Sierksdorfs Strand. Alle sechs Kanonen und ein Theil der Maschine sind ge¬
borgen. Als die Mannschaft das todgeweihte Boot verließ, nahm sie sich Zeit,
ihre Habe zu retten, und bewies ein so heldenmüthiges Phlegma, daß einem
Seemann die kurze Tabakspfeife nicht ausging, bis eine Kanonenkugel sie ihm
ans dem Munde schlug und ihn selbst betäubt zu Boden warf. Der Geyser aber
ist invalid, die Corvette mußte alle Segel aufspannen, und, ihn ins Schlepptau
nehmend, über deu Horizont des hiesigen Gewässers hinausschaffen. Es ist kein
Sieg, auf den Dänemark stolz sein darf. --


2.

Noch einmal muß ich auf die Nacht vom 20. Juli zurückkommen, denn in
Kopenhagen wird man nicht verfehlen, die großartigsten Rodomontaden über einen
erfochtenen Seesieg in die Welt zu schicken; auch habe ich einige kleine Jrrthümer
zu berichtige", die mir in der ersten Eile und Aufregung entschlüpft sind.

Gestern, Sonntag Nachmittag, lagen am Kai des Hafens bereits ganze
Kisten 'Segelzeug, Flaggen, Anker, Ketten und andere Artikel, die vom Wrack des
unglücklichen Boots geborgen wurden. Die Trümmer des Fahrzeugs selbst und
den Schauplatz des Kampfes zu sehen, strömte die Menge zu Fuß, zu Wagen und
zu Wasser hinaus. Nach anderthalbstündiger Wanderung auf der Eutiner Chaussee
kam ich über eine ungeheuere, hoch gelegene, schon eingehegte Kleeweide in die
Nähe des Strandes, gegenüber der Neustädter Landzunge. Welch ein Bild des
Friedens und des ländlichen Reichthums war die Wiese mit ihren lustigen Heer¬
de" junger Rosse, die zur Erfrischung im Klee naschen durften und zur Abwech¬
selung sich im Grase wälzten, mit den scheuen Gruppen glatter, glockenläutend
durcheinanderlanfender Kühe, währeud die Mägde lachend und scheltend beschäftigt
waren, die holsteinische "weiße Seide zu spinnen" (melken). Ihr habt euch wahr¬
lich nicht zu beklagen, ihr muthigen Rosse und behaglichen Rinder, ihr genießt
von den Süßigkeiten des Landes mehr als der arme Juste, ihr schwelgt bald in
Gras und Klee, bald in Heu und Hafer, er begnügt sich das ganze Jahr mit
Buttermilch und Grütze, Grütze und Buttermilch, und freudig greift auch er zu


23*

folgen wollte, gerieth er auf Grund, — der Lootse hatte die Besinnung verloren
— während er vergeblich loszukommen strebte, ruckte ihm die Corvette auf den
Leib. Zu behaupten war das kleine Fahrzeug nicht, daher rannte Commandeur
Lauge den Schnabel ins Wasser, indem er die Geschütze uach vorn schob, den
emporragenden Spiegel, in dem die Pulverkammer ist, steckte er selbst in Brand.
Bis acht Minuten vor der Explosion aber setzte er den Kampf fort, dann stieg
die Mannschaft in ein Landungsboot und erklomm unter dreifachem Hurrah! den
Sierksdorfs Strand. Alle sechs Kanonen und ein Theil der Maschine sind ge¬
borgen. Als die Mannschaft das todgeweihte Boot verließ, nahm sie sich Zeit,
ihre Habe zu retten, und bewies ein so heldenmüthiges Phlegma, daß einem
Seemann die kurze Tabakspfeife nicht ausging, bis eine Kanonenkugel sie ihm
ans dem Munde schlug und ihn selbst betäubt zu Boden warf. Der Geyser aber
ist invalid, die Corvette mußte alle Segel aufspannen, und, ihn ins Schlepptau
nehmend, über deu Horizont des hiesigen Gewässers hinausschaffen. Es ist kein
Sieg, auf den Dänemark stolz sein darf. —


2.

Noch einmal muß ich auf die Nacht vom 20. Juli zurückkommen, denn in
Kopenhagen wird man nicht verfehlen, die großartigsten Rodomontaden über einen
erfochtenen Seesieg in die Welt zu schicken; auch habe ich einige kleine Jrrthümer
zu berichtige», die mir in der ersten Eile und Aufregung entschlüpft sind.

Gestern, Sonntag Nachmittag, lagen am Kai des Hafens bereits ganze
Kisten 'Segelzeug, Flaggen, Anker, Ketten und andere Artikel, die vom Wrack des
unglücklichen Boots geborgen wurden. Die Trümmer des Fahrzeugs selbst und
den Schauplatz des Kampfes zu sehen, strömte die Menge zu Fuß, zu Wagen und
zu Wasser hinaus. Nach anderthalbstündiger Wanderung auf der Eutiner Chaussee
kam ich über eine ungeheuere, hoch gelegene, schon eingehegte Kleeweide in die
Nähe des Strandes, gegenüber der Neustädter Landzunge. Welch ein Bild des
Friedens und des ländlichen Reichthums war die Wiese mit ihren lustigen Heer¬
de» junger Rosse, die zur Erfrischung im Klee naschen durften und zur Abwech¬
selung sich im Grase wälzten, mit den scheuen Gruppen glatter, glockenläutend
durcheinanderlanfender Kühe, währeud die Mägde lachend und scheltend beschäftigt
waren, die holsteinische „weiße Seide zu spinnen" (melken). Ihr habt euch wahr¬
lich nicht zu beklagen, ihr muthigen Rosse und behaglichen Rinder, ihr genießt
von den Süßigkeiten des Landes mehr als der arme Juste, ihr schwelgt bald in
Gras und Klee, bald in Heu und Hafer, er begnügt sich das ganze Jahr mit
Buttermilch und Grütze, Grütze und Buttermilch, und freudig greift auch er zu


23*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0187" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85770"/>
            <p xml:id="ID_626" prev="#ID_625"> folgen wollte, gerieth er auf Grund, &#x2014; der Lootse hatte die Besinnung verloren<lb/>
&#x2014; während er vergeblich loszukommen strebte, ruckte ihm die Corvette auf den<lb/>
Leib. Zu behaupten war das kleine Fahrzeug nicht, daher rannte Commandeur<lb/>
Lauge den Schnabel ins Wasser, indem er die Geschütze uach vorn schob, den<lb/>
emporragenden Spiegel, in dem die Pulverkammer ist, steckte er selbst in Brand.<lb/>
Bis acht Minuten vor der Explosion aber setzte er den Kampf fort, dann stieg<lb/>
die Mannschaft in ein Landungsboot und erklomm unter dreifachem Hurrah! den<lb/>
Sierksdorfs Strand. Alle sechs Kanonen und ein Theil der Maschine sind ge¬<lb/>
borgen. Als die Mannschaft das todgeweihte Boot verließ, nahm sie sich Zeit,<lb/>
ihre Habe zu retten, und bewies ein so heldenmüthiges Phlegma, daß einem<lb/>
Seemann die kurze Tabakspfeife nicht ausging, bis eine Kanonenkugel sie ihm<lb/>
ans dem Munde schlug und ihn selbst betäubt zu Boden warf. Der Geyser aber<lb/>
ist invalid, die Corvette mußte alle Segel aufspannen, und, ihn ins Schlepptau<lb/>
nehmend, über deu Horizont des hiesigen Gewässers hinausschaffen. Es ist kein<lb/>
Sieg, auf den Dänemark stolz sein darf. &#x2014;</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 2.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_627"> Noch einmal muß ich auf die Nacht vom 20. Juli zurückkommen, denn in<lb/>
Kopenhagen wird man nicht verfehlen, die großartigsten Rodomontaden über einen<lb/>
erfochtenen Seesieg in die Welt zu schicken; auch habe ich einige kleine Jrrthümer<lb/>
zu berichtige», die mir in der ersten Eile und Aufregung entschlüpft sind.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_628" next="#ID_629"> Gestern, Sonntag Nachmittag, lagen am Kai des Hafens bereits ganze<lb/>
Kisten 'Segelzeug, Flaggen, Anker, Ketten und andere Artikel, die vom Wrack des<lb/>
unglücklichen Boots geborgen wurden. Die Trümmer des Fahrzeugs selbst und<lb/>
den Schauplatz des Kampfes zu sehen, strömte die Menge zu Fuß, zu Wagen und<lb/>
zu Wasser hinaus. Nach anderthalbstündiger Wanderung auf der Eutiner Chaussee<lb/>
kam ich über eine ungeheuere, hoch gelegene, schon eingehegte Kleeweide in die<lb/>
Nähe des Strandes, gegenüber der Neustädter Landzunge. Welch ein Bild des<lb/>
Friedens und des ländlichen Reichthums war die Wiese mit ihren lustigen Heer¬<lb/>
de» junger Rosse, die zur Erfrischung im Klee naschen durften und zur Abwech¬<lb/>
selung sich im Grase wälzten, mit den scheuen Gruppen glatter, glockenläutend<lb/>
durcheinanderlanfender Kühe, währeud die Mägde lachend und scheltend beschäftigt<lb/>
waren, die holsteinische &#x201E;weiße Seide zu spinnen" (melken). Ihr habt euch wahr¬<lb/>
lich nicht zu beklagen, ihr muthigen Rosse und behaglichen Rinder, ihr genießt<lb/>
von den Süßigkeiten des Landes mehr als der arme Juste, ihr schwelgt bald in<lb/>
Gras und Klee, bald in Heu und Hafer, er begnügt sich das ganze Jahr mit<lb/>
Buttermilch und Grütze, Grütze und Buttermilch, und freudig greift auch er zu</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 23*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0187] folgen wollte, gerieth er auf Grund, — der Lootse hatte die Besinnung verloren — während er vergeblich loszukommen strebte, ruckte ihm die Corvette auf den Leib. Zu behaupten war das kleine Fahrzeug nicht, daher rannte Commandeur Lauge den Schnabel ins Wasser, indem er die Geschütze uach vorn schob, den emporragenden Spiegel, in dem die Pulverkammer ist, steckte er selbst in Brand. Bis acht Minuten vor der Explosion aber setzte er den Kampf fort, dann stieg die Mannschaft in ein Landungsboot und erklomm unter dreifachem Hurrah! den Sierksdorfs Strand. Alle sechs Kanonen und ein Theil der Maschine sind ge¬ borgen. Als die Mannschaft das todgeweihte Boot verließ, nahm sie sich Zeit, ihre Habe zu retten, und bewies ein so heldenmüthiges Phlegma, daß einem Seemann die kurze Tabakspfeife nicht ausging, bis eine Kanonenkugel sie ihm ans dem Munde schlug und ihn selbst betäubt zu Boden warf. Der Geyser aber ist invalid, die Corvette mußte alle Segel aufspannen, und, ihn ins Schlepptau nehmend, über deu Horizont des hiesigen Gewässers hinausschaffen. Es ist kein Sieg, auf den Dänemark stolz sein darf. — 2. Noch einmal muß ich auf die Nacht vom 20. Juli zurückkommen, denn in Kopenhagen wird man nicht verfehlen, die großartigsten Rodomontaden über einen erfochtenen Seesieg in die Welt zu schicken; auch habe ich einige kleine Jrrthümer zu berichtige», die mir in der ersten Eile und Aufregung entschlüpft sind. Gestern, Sonntag Nachmittag, lagen am Kai des Hafens bereits ganze Kisten 'Segelzeug, Flaggen, Anker, Ketten und andere Artikel, die vom Wrack des unglücklichen Boots geborgen wurden. Die Trümmer des Fahrzeugs selbst und den Schauplatz des Kampfes zu sehen, strömte die Menge zu Fuß, zu Wagen und zu Wasser hinaus. Nach anderthalbstündiger Wanderung auf der Eutiner Chaussee kam ich über eine ungeheuere, hoch gelegene, schon eingehegte Kleeweide in die Nähe des Strandes, gegenüber der Neustädter Landzunge. Welch ein Bild des Friedens und des ländlichen Reichthums war die Wiese mit ihren lustigen Heer¬ de» junger Rosse, die zur Erfrischung im Klee naschen durften und zur Abwech¬ selung sich im Grase wälzten, mit den scheuen Gruppen glatter, glockenläutend durcheinanderlanfender Kühe, währeud die Mägde lachend und scheltend beschäftigt waren, die holsteinische „weiße Seide zu spinnen" (melken). Ihr habt euch wahr¬ lich nicht zu beklagen, ihr muthigen Rosse und behaglichen Rinder, ihr genießt von den Süßigkeiten des Landes mehr als der arme Juste, ihr schwelgt bald in Gras und Klee, bald in Heu und Hafer, er begnügt sich das ganze Jahr mit Buttermilch und Grütze, Grütze und Buttermilch, und freudig greift auch er zu 23*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/187
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/187>, abgerufen am 27.07.2024.