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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Ordnung. -- Denn bei uns lautet die Rechnung auch der Besseren so: was ist Leben
und Wohlfahrt eines Einzelnen gegen Leben und Wohlfahrt der oder 13, oder
auch 2 Mill. Uebrigen? Es ist besser, daß um den kleinen Bruchtheil kein großer Lärm
gemachtwird, als daß die ganze Summe der Uebrigen in die Gefahr eines Conflictes
mit einer andern Macht komme. -- So gut kann freilich der trotzige Minister der "Krä¬
mernation" nicht rechnen. Für ihn ist jeder einzelne Engländer in der Fremde ein Re¬
präsentant des ganzen, großen, mächtigen Englands, und sei er ein Thor, und sei er
ein Schelm, die Majestät seines Heimathlandes schwebt unvertilgbar um sein
Haupt, und den Adel, so will jener, sollen die Fremden ehren. Ein höchst an¬
maßender, übenuüthiger Lord! -- So ist's kein Wunder, daß der Engländer
dnrch fremde Länder und Meere zieht, mit gleichgültiger Miene, die Hand in der
Rocktasche, und daß er, wo auch das Schicksal ihm Haus und Heerd aufbaut,
bis zu seinem letzten Lebenshauch Jedem entzückt die Hand schüttelt, der Etwas
von Alt-England zu erzählen weiß. Es gibt sehr viel abgeschmackte Reisende unter
den Engländern, und doch siud sie das Volk, welches am beseelt zu reisen versteht.

Ein liebenswürdiges Beispiel dieses englischen Selbstgefühls findet sich in der Reise
Sir Gardner Wilkinsons nach Dalmatien und Montenegros. Der englische
Reisende hat Lust Mvuteucgro, das berüchtigte Räuberland, zu besuchen. Er
schreibt von Dalmatien ans an den Vladika, unseru Freund Peter Petrovich Negosch,
Eminenz: Mylord, ich wünsche Ihr Land zu besehen und bitte um Gastfreundschaft.
Der Vladika antwortet darauf, wie sichs für einen feinfühlenden Gentleman schickt,
und unser Reisender besucht wohlwollend den Wohlwollenden. Als christlicher
Mann kränkt er sich aber über die alte Liebhaberei der ehrlichen Bergbewohner,
ihren Feinden, den Türken, die Köpfe abzuschneiden, und beschließt diese Unart
abzuschaffen. Er macht also dem Vladika ernsthafte Vorstellungen. Der Vladika,
ein sehr sein gebildeter Mensch, zuckt die Achseln und sagt entschuldigend, die
Hunde von Türken sind schuld, meine Leute würden die häßliche Angewohnheit
allenfalls ablegen, aber bei diesen Türken ist ja gar keine Billigkeit, die können'S
nicht lassen. -- Gut, sagt Sir Gardner Wilkinson, ich werde selbst mit den
Türken darüber sprechen, diese gegenseitige Behandlung ist zu unsittlich, sie muß
aufhören. Er schreibt also an den Vezir der Herzegowina, Ali Pascha Nizvan
.Begovich, drückt demselben seinen Wunsch aus, ihn zu besuchen, und bittet um
Gastfreundschaft. Auch der Türke antwortet, wie sich's für einen gebildeten Mann
schickt. Darauf setzt sich der Engländer auf sein Rößlein und reitet durch das.
Narentathal in die Herzegowina, dnrch türkische Dörfer und Bäche, unbekümmert
um die mißtrauischen Glotza.na.er, welche ihn unter den boöniakischen Turbanen
anstieren. Er kommt über eine Brücke, ans welcher gerade nur ein Paar Christen-



Deutsch von W. A. Lindau. Leipzig, Gustav Mayer in den Grenzboten
bereits besprochen.

Ordnung. — Denn bei uns lautet die Rechnung auch der Besseren so: was ist Leben
und Wohlfahrt eines Einzelnen gegen Leben und Wohlfahrt der oder 13, oder
auch 2 Mill. Uebrigen? Es ist besser, daß um den kleinen Bruchtheil kein großer Lärm
gemachtwird, als daß die ganze Summe der Uebrigen in die Gefahr eines Conflictes
mit einer andern Macht komme. — So gut kann freilich der trotzige Minister der „Krä¬
mernation" nicht rechnen. Für ihn ist jeder einzelne Engländer in der Fremde ein Re¬
präsentant des ganzen, großen, mächtigen Englands, und sei er ein Thor, und sei er
ein Schelm, die Majestät seines Heimathlandes schwebt unvertilgbar um sein
Haupt, und den Adel, so will jener, sollen die Fremden ehren. Ein höchst an¬
maßender, übenuüthiger Lord! — So ist's kein Wunder, daß der Engländer
dnrch fremde Länder und Meere zieht, mit gleichgültiger Miene, die Hand in der
Rocktasche, und daß er, wo auch das Schicksal ihm Haus und Heerd aufbaut,
bis zu seinem letzten Lebenshauch Jedem entzückt die Hand schüttelt, der Etwas
von Alt-England zu erzählen weiß. Es gibt sehr viel abgeschmackte Reisende unter
den Engländern, und doch siud sie das Volk, welches am beseelt zu reisen versteht.

Ein liebenswürdiges Beispiel dieses englischen Selbstgefühls findet sich in der Reise
Sir Gardner Wilkinsons nach Dalmatien und Montenegros. Der englische
Reisende hat Lust Mvuteucgro, das berüchtigte Räuberland, zu besuchen. Er
schreibt von Dalmatien ans an den Vladika, unseru Freund Peter Petrovich Negosch,
Eminenz: Mylord, ich wünsche Ihr Land zu besehen und bitte um Gastfreundschaft.
Der Vladika antwortet darauf, wie sichs für einen feinfühlenden Gentleman schickt,
und unser Reisender besucht wohlwollend den Wohlwollenden. Als christlicher
Mann kränkt er sich aber über die alte Liebhaberei der ehrlichen Bergbewohner,
ihren Feinden, den Türken, die Köpfe abzuschneiden, und beschließt diese Unart
abzuschaffen. Er macht also dem Vladika ernsthafte Vorstellungen. Der Vladika,
ein sehr sein gebildeter Mensch, zuckt die Achseln und sagt entschuldigend, die
Hunde von Türken sind schuld, meine Leute würden die häßliche Angewohnheit
allenfalls ablegen, aber bei diesen Türken ist ja gar keine Billigkeit, die können'S
nicht lassen. — Gut, sagt Sir Gardner Wilkinson, ich werde selbst mit den
Türken darüber sprechen, diese gegenseitige Behandlung ist zu unsittlich, sie muß
aufhören. Er schreibt also an den Vezir der Herzegowina, Ali Pascha Nizvan
.Begovich, drückt demselben seinen Wunsch aus, ihn zu besuchen, und bittet um
Gastfreundschaft. Auch der Türke antwortet, wie sich's für einen gebildeten Mann
schickt. Darauf setzt sich der Engländer auf sein Rößlein und reitet durch das.
Narentathal in die Herzegowina, dnrch türkische Dörfer und Bäche, unbekümmert
um die mißtrauischen Glotza.na.er, welche ihn unter den boöniakischen Turbanen
anstieren. Er kommt über eine Brücke, ans welcher gerade nur ein Paar Christen-



Deutsch von W. A. Lindau. Leipzig, Gustav Mayer in den Grenzboten
bereits besprochen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/18>, abgerufen am 27.07.2024.