Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in das 3de Jahr ist die Sache verschleppt worden, bereits ein Drittel der
Kinder ist gestorben, aber der Staat ist nicht müßig gewesen, die landräth-
lichen Aemter haben an die Regierung zu Oppeln berichtet, die Regierung an den
Oberpräsidenten der Provinz, und dieser an das Ministerium. Das Ministerium
hat wieder an den Oberpräsidenten geschrieben, der Oberpräsident an die Negie¬
rung, die Negierung. an die Landräthe. Und noch im Frühjahr des Jahres 1850
hatte die Regierung von Oppeln die Bedächtigkeit, dem Oberpräsidenten den Vor¬
schlag zu machen, die definitive Bestimmung über die vom Staat zu zahlende
UuterstntzungSsumme solle nicht zu sehr beeilt werden, da sich voraussehen ließe,
daß bei der großen Stcrlichkeit, welche unter den Kindern herrsche, sich in Kurzem
ihre Zahl bedeutend reduziren werde. Und das sind keine Zigeunerkinder, son¬
dern die Waisen von solchen, welche den Titel preußische Staatsbürger führten.

Die Staatsregierung war menschenfreundlicher. Endlich ist der Erziehungs-
plan festgestellt, charakteristisch genug für das preußische Regiment. 600,000 Nthlr.
sind, wie wir hören, ans die nächsten zehn Jahre bewilligt; 1500 Kinder sollen in
Anstalten verschiedener Art untergebracht werden. Zwanzig Bewahranstalten/ welche
von geistlichen Jungfrauen verwaltet werden, fünf landwirtschaftliche Anstalten
für Knaben unter Lehrern, welche nach Hamburg reisen sollen, um das Wiehern'sche
Erziehungssystem kennen zu lernen, eine ähnliche für ältere Mädchen, wieder nnter
dem Schutz geistlicher Jungfrauen. 2500 Kinder sollen in christlichen Familien
untergebracht werden, die jährliche Pension für das einzelne soll aber nicht mehr
als höchstens 15 Nthlr. betragen. Die väterliche Oberaufsicht über sämmtliche
Kinder ist dem Fürst-Bischof von Breslau übertragen. Unpraktisch ist an diesem
Plan vor Allem die Herrschaft, welche der katholischen Geistlichkeit über die Kinder
zugesprochen worden ist. Nicht deshalb, weil wir im Allgemeinen die Herrschaft
der Geistlichkeit über Schule und Kindererziehung für ein Unglück halten, sondern
deshalb, weil die katholische Geistlichkeit Oberschlesiens selbst menschlicher Bildung
und zeitgemäßer Erziehung noch sehr bedürftig ist. Ihre Aufsicht wird eine oft
gutherzige und frömmelnde sein, welche die armen Waisen ans all dem polnischen
Schmutz und der Bornirtheit nicht herausbringen wird, den die Geistlichen zu
ertragen nur zu sehr gewöhnt sind. Die Mehrzahl der Kinder wird dnrch die
klägliche Pension von 15 Nthlrn. in den elendesten Hütten der armen Dörfer unter¬
gebracht werden und das bittere Loos der Verwaisten mit allen seinen Schrecken
genießen. Die Sterblichkeit unter ihnen wird nicht abnehmen, und der Staat
wird allerdings in wenig Jahren nur noch die Hälfte zu erhalten haben.

Und doch war es möglich, mit einer nicht übermäßigen Summe, wenn
diese nicht zehn, sondern zwanzig Jahre lang vom Staate gezahlt wurde, nicht nur
die Waisenkinder zu gesunden Menschen zu erziehen, sondern das ganze Elend des
oberschlesischen Polcnthums zu vernichten und statt der halben Million schwacher
und versunkener Menschen dem Staat ein neues Geschlecht von kräftigen deutschen


in das 3de Jahr ist die Sache verschleppt worden, bereits ein Drittel der
Kinder ist gestorben, aber der Staat ist nicht müßig gewesen, die landräth-
lichen Aemter haben an die Regierung zu Oppeln berichtet, die Regierung an den
Oberpräsidenten der Provinz, und dieser an das Ministerium. Das Ministerium
hat wieder an den Oberpräsidenten geschrieben, der Oberpräsident an die Negie¬
rung, die Negierung. an die Landräthe. Und noch im Frühjahr des Jahres 1850
hatte die Regierung von Oppeln die Bedächtigkeit, dem Oberpräsidenten den Vor¬
schlag zu machen, die definitive Bestimmung über die vom Staat zu zahlende
UuterstntzungSsumme solle nicht zu sehr beeilt werden, da sich voraussehen ließe,
daß bei der großen Stcrlichkeit, welche unter den Kindern herrsche, sich in Kurzem
ihre Zahl bedeutend reduziren werde. Und das sind keine Zigeunerkinder, son¬
dern die Waisen von solchen, welche den Titel preußische Staatsbürger führten.

Die Staatsregierung war menschenfreundlicher. Endlich ist der Erziehungs-
plan festgestellt, charakteristisch genug für das preußische Regiment. 600,000 Nthlr.
sind, wie wir hören, ans die nächsten zehn Jahre bewilligt; 1500 Kinder sollen in
Anstalten verschiedener Art untergebracht werden. Zwanzig Bewahranstalten/ welche
von geistlichen Jungfrauen verwaltet werden, fünf landwirtschaftliche Anstalten
für Knaben unter Lehrern, welche nach Hamburg reisen sollen, um das Wiehern'sche
Erziehungssystem kennen zu lernen, eine ähnliche für ältere Mädchen, wieder nnter
dem Schutz geistlicher Jungfrauen. 2500 Kinder sollen in christlichen Familien
untergebracht werden, die jährliche Pension für das einzelne soll aber nicht mehr
als höchstens 15 Nthlr. betragen. Die väterliche Oberaufsicht über sämmtliche
Kinder ist dem Fürst-Bischof von Breslau übertragen. Unpraktisch ist an diesem
Plan vor Allem die Herrschaft, welche der katholischen Geistlichkeit über die Kinder
zugesprochen worden ist. Nicht deshalb, weil wir im Allgemeinen die Herrschaft
der Geistlichkeit über Schule und Kindererziehung für ein Unglück halten, sondern
deshalb, weil die katholische Geistlichkeit Oberschlesiens selbst menschlicher Bildung
und zeitgemäßer Erziehung noch sehr bedürftig ist. Ihre Aufsicht wird eine oft
gutherzige und frömmelnde sein, welche die armen Waisen ans all dem polnischen
Schmutz und der Bornirtheit nicht herausbringen wird, den die Geistlichen zu
ertragen nur zu sehr gewöhnt sind. Die Mehrzahl der Kinder wird dnrch die
klägliche Pension von 15 Nthlrn. in den elendesten Hütten der armen Dörfer unter¬
gebracht werden und das bittere Loos der Verwaisten mit allen seinen Schrecken
genießen. Die Sterblichkeit unter ihnen wird nicht abnehmen, und der Staat
wird allerdings in wenig Jahren nur noch die Hälfte zu erhalten haben.

Und doch war es möglich, mit einer nicht übermäßigen Summe, wenn
diese nicht zehn, sondern zwanzig Jahre lang vom Staate gezahlt wurde, nicht nur
die Waisenkinder zu gesunden Menschen zu erziehen, sondern das ganze Elend des
oberschlesischen Polcnthums zu vernichten und statt der halben Million schwacher
und versunkener Menschen dem Staat ein neues Geschlecht von kräftigen deutschen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85758"/>
          <p xml:id="ID_595" prev="#ID_594"> in das 3de Jahr ist die Sache verschleppt worden, bereits ein Drittel der<lb/>
Kinder ist gestorben, aber der Staat ist nicht müßig gewesen, die landräth-<lb/>
lichen Aemter haben an die Regierung zu Oppeln berichtet, die Regierung an den<lb/>
Oberpräsidenten der Provinz, und dieser an das Ministerium. Das Ministerium<lb/>
hat wieder an den Oberpräsidenten geschrieben, der Oberpräsident an die Negie¬<lb/>
rung, die Negierung. an die Landräthe. Und noch im Frühjahr des Jahres 1850<lb/>
hatte die Regierung von Oppeln die Bedächtigkeit, dem Oberpräsidenten den Vor¬<lb/>
schlag zu machen, die definitive Bestimmung über die vom Staat zu zahlende<lb/>
UuterstntzungSsumme solle nicht zu sehr beeilt werden, da sich voraussehen ließe,<lb/>
daß bei der großen Stcrlichkeit, welche unter den Kindern herrsche, sich in Kurzem<lb/>
ihre Zahl bedeutend reduziren werde. Und das sind keine Zigeunerkinder, son¬<lb/>
dern die Waisen von solchen, welche den Titel preußische Staatsbürger führten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_596"> Die Staatsregierung war menschenfreundlicher. Endlich ist der Erziehungs-<lb/>
plan festgestellt, charakteristisch genug für das preußische Regiment. 600,000 Nthlr.<lb/>
sind, wie wir hören, ans die nächsten zehn Jahre bewilligt; 1500 Kinder sollen in<lb/>
Anstalten verschiedener Art untergebracht werden. Zwanzig Bewahranstalten/ welche<lb/>
von geistlichen Jungfrauen verwaltet werden, fünf landwirtschaftliche Anstalten<lb/>
für Knaben unter Lehrern, welche nach Hamburg reisen sollen, um das Wiehern'sche<lb/>
Erziehungssystem kennen zu lernen, eine ähnliche für ältere Mädchen, wieder nnter<lb/>
dem Schutz geistlicher Jungfrauen. 2500 Kinder sollen in christlichen Familien<lb/>
untergebracht werden, die jährliche Pension für das einzelne soll aber nicht mehr<lb/>
als höchstens 15 Nthlr. betragen. Die väterliche Oberaufsicht über sämmtliche<lb/>
Kinder ist dem Fürst-Bischof von Breslau übertragen. Unpraktisch ist an diesem<lb/>
Plan vor Allem die Herrschaft, welche der katholischen Geistlichkeit über die Kinder<lb/>
zugesprochen worden ist. Nicht deshalb, weil wir im Allgemeinen die Herrschaft<lb/>
der Geistlichkeit über Schule und Kindererziehung für ein Unglück halten, sondern<lb/>
deshalb, weil die katholische Geistlichkeit Oberschlesiens selbst menschlicher Bildung<lb/>
und zeitgemäßer Erziehung noch sehr bedürftig ist. Ihre Aufsicht wird eine oft<lb/>
gutherzige und frömmelnde sein, welche die armen Waisen ans all dem polnischen<lb/>
Schmutz und der Bornirtheit nicht herausbringen wird, den die Geistlichen zu<lb/>
ertragen nur zu sehr gewöhnt sind. Die Mehrzahl der Kinder wird dnrch die<lb/>
klägliche Pension von 15 Nthlrn. in den elendesten Hütten der armen Dörfer unter¬<lb/>
gebracht werden und das bittere Loos der Verwaisten mit allen seinen Schrecken<lb/>
genießen. Die Sterblichkeit unter ihnen wird nicht abnehmen, und der Staat<lb/>
wird allerdings in wenig Jahren nur noch die Hälfte zu erhalten haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_597" next="#ID_598"> Und doch war es möglich, mit einer nicht übermäßigen Summe, wenn<lb/>
diese nicht zehn, sondern zwanzig Jahre lang vom Staate gezahlt wurde, nicht nur<lb/>
die Waisenkinder zu gesunden Menschen zu erziehen, sondern das ganze Elend des<lb/>
oberschlesischen Polcnthums zu vernichten und statt der halben Million schwacher<lb/>
und versunkener Menschen dem Staat ein neues Geschlecht von kräftigen deutschen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0175] in das 3de Jahr ist die Sache verschleppt worden, bereits ein Drittel der Kinder ist gestorben, aber der Staat ist nicht müßig gewesen, die landräth- lichen Aemter haben an die Regierung zu Oppeln berichtet, die Regierung an den Oberpräsidenten der Provinz, und dieser an das Ministerium. Das Ministerium hat wieder an den Oberpräsidenten geschrieben, der Oberpräsident an die Negie¬ rung, die Negierung. an die Landräthe. Und noch im Frühjahr des Jahres 1850 hatte die Regierung von Oppeln die Bedächtigkeit, dem Oberpräsidenten den Vor¬ schlag zu machen, die definitive Bestimmung über die vom Staat zu zahlende UuterstntzungSsumme solle nicht zu sehr beeilt werden, da sich voraussehen ließe, daß bei der großen Stcrlichkeit, welche unter den Kindern herrsche, sich in Kurzem ihre Zahl bedeutend reduziren werde. Und das sind keine Zigeunerkinder, son¬ dern die Waisen von solchen, welche den Titel preußische Staatsbürger führten. Die Staatsregierung war menschenfreundlicher. Endlich ist der Erziehungs- plan festgestellt, charakteristisch genug für das preußische Regiment. 600,000 Nthlr. sind, wie wir hören, ans die nächsten zehn Jahre bewilligt; 1500 Kinder sollen in Anstalten verschiedener Art untergebracht werden. Zwanzig Bewahranstalten/ welche von geistlichen Jungfrauen verwaltet werden, fünf landwirtschaftliche Anstalten für Knaben unter Lehrern, welche nach Hamburg reisen sollen, um das Wiehern'sche Erziehungssystem kennen zu lernen, eine ähnliche für ältere Mädchen, wieder nnter dem Schutz geistlicher Jungfrauen. 2500 Kinder sollen in christlichen Familien untergebracht werden, die jährliche Pension für das einzelne soll aber nicht mehr als höchstens 15 Nthlr. betragen. Die väterliche Oberaufsicht über sämmtliche Kinder ist dem Fürst-Bischof von Breslau übertragen. Unpraktisch ist an diesem Plan vor Allem die Herrschaft, welche der katholischen Geistlichkeit über die Kinder zugesprochen worden ist. Nicht deshalb, weil wir im Allgemeinen die Herrschaft der Geistlichkeit über Schule und Kindererziehung für ein Unglück halten, sondern deshalb, weil die katholische Geistlichkeit Oberschlesiens selbst menschlicher Bildung und zeitgemäßer Erziehung noch sehr bedürftig ist. Ihre Aufsicht wird eine oft gutherzige und frömmelnde sein, welche die armen Waisen ans all dem polnischen Schmutz und der Bornirtheit nicht herausbringen wird, den die Geistlichen zu ertragen nur zu sehr gewöhnt sind. Die Mehrzahl der Kinder wird dnrch die klägliche Pension von 15 Nthlrn. in den elendesten Hütten der armen Dörfer unter¬ gebracht werden und das bittere Loos der Verwaisten mit allen seinen Schrecken genießen. Die Sterblichkeit unter ihnen wird nicht abnehmen, und der Staat wird allerdings in wenig Jahren nur noch die Hälfte zu erhalten haben. Und doch war es möglich, mit einer nicht übermäßigen Summe, wenn diese nicht zehn, sondern zwanzig Jahre lang vom Staate gezahlt wurde, nicht nur die Waisenkinder zu gesunden Menschen zu erziehen, sondern das ganze Elend des oberschlesischen Polcnthums zu vernichten und statt der halben Million schwacher und versunkener Menschen dem Staat ein neues Geschlecht von kräftigen deutschen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/175
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/175>, abgerufen am 01.09.2024.