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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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nach den bisherigen Taxgrundsätzen der Werth ihrer Verpflichtungen den Werth
ihres Besitzes oft überstieg. Bis zu dem neuesten Mlösuugsgcsetz war deshalb
keine Lösung ihres Unterthanvcrhältnisses möglich. Jetzt zwar hat ein vernünftiges
Gesetz auch ihnen die Möglichkeit gegeben, wenigstens den dritten Theil ihres
Besitzes als freies Eigenthum zu behalten, nur schade, das; schon jetzt, wo sie
das Ganze inne hatten, der schlechte Boden sowohl als die eigene Undichtigkeit
ihnen kaum das Leben ließen. Ihre Nahrung find Jahr aus Jahr ein Kar¬
toffeln , welche in den letzten Jahren dort mehr als irgend wo anders entartet
und durch die Faule verdorben sind; ihr Tagelohn beträgt für deu Mänuertag
in den meisten Gegenden nicht mehr als drei bis vier Silbergroschen im Sommer,
im Winter nud für die Frauen weniger. Ihr Hauptverdienst sind in dem Berg-
werködistrict, welcher zu ihrem Terrain gehört, die Erzfuhren, eine demoralisircude,
wenig lohnende Thätigkeit. ES ist ein Jammer deu Landmann zu sehn, wenn
er im Leinwandkittcl, deu kleinen Wagen mit Eisenerzen von Schenke zu Schenke
fortbewegt dnrch zwei winzige zottige Pferde, welche im Sommer von spärlicher
Grasfütternng erhalten werden. Das Straßenliegen hat den Männern den
Branntweingenuß und Scheu vor anstrengender Arbeit beigebracht, die Weiber
entsittlicht, die Kinder zu Lungerern und Dieben gemacht. Wohl sind sie geschickt
zur Arbeit, aber sie müssen unter strenger Aufsicht arbeiten; es ist sehr schwer
durch freundliche Behandlung einen Eindruck ans sie zu machen, denn sie sind
in ewigen Kreisen so entartet und heruntergekommen, daß mit den gewöhnlichen
Erziehungsmitteln großer Kinder bei ihnen nichts durchzusetzen ist. Der Schul¬
unterricht, welchen sie genießen, ist immer noch sehr schlecht, die Kinder lernen
zwei bis drei deutsche Gebe!" und einige Sprüche, wie Papageien, ohne sie zu
verstehen, sie lernen einige Seiten im Katechismus auswendig, um sie wieder zu
vergessen; glücklich sind die, welchen in zweijährigem Militärdienst die Bildung
eines gemeinen preußische" Soldaten zu Theil wird, sie werdeu die Häuptlinge
ihres Dorfes, gesuchte Arbeiter auf den Edclhöfcu, mir schade, daß im häuslichen
Verkehr mit den ganz rohen Frauen der Anflug deutscher Cultur bei den Meisten
wieder verloren geht. -- So ist die ungesunde Lage des oberschlesischen Land¬
mannes, so traf ihn vor drei Jahren der Hunger und das grausenhafte Elend,
als der Scheffel Korn mit sechs, der Sack Kartoffeln mit IV- Thaler bezahlt
wurden und beide manchmal gar nicht zu haben waren. Ich schweige über die
Bilder, welche damals in den einzelnen Dörfern sichtbar wurden. Wer jene Zeit in Ober¬
schlesien durchlebt hat und menschlich empfindet, der wird es noch jetzt von nnserm Berge
wie eine finstere, unheimliche Wolke auf jenem District liegen sehn. Sechstausend Wai¬
senkinder waren im Frühjahr -48 in den ausgestorbenen Hütten zurückgeblieben.

Die Regierung in Oppeln und die landräthlichen Aemter und außerordent¬
liche Commissarien sollten die Kinder interimistisch unterbringen und Vorschläge
über ihre Erziehung auf Staatskosten machen. Das ist denn auch geschehen,


nach den bisherigen Taxgrundsätzen der Werth ihrer Verpflichtungen den Werth
ihres Besitzes oft überstieg. Bis zu dem neuesten Mlösuugsgcsetz war deshalb
keine Lösung ihres Unterthanvcrhältnisses möglich. Jetzt zwar hat ein vernünftiges
Gesetz auch ihnen die Möglichkeit gegeben, wenigstens den dritten Theil ihres
Besitzes als freies Eigenthum zu behalten, nur schade, das; schon jetzt, wo sie
das Ganze inne hatten, der schlechte Boden sowohl als die eigene Undichtigkeit
ihnen kaum das Leben ließen. Ihre Nahrung find Jahr aus Jahr ein Kar¬
toffeln , welche in den letzten Jahren dort mehr als irgend wo anders entartet
und durch die Faule verdorben sind; ihr Tagelohn beträgt für deu Mänuertag
in den meisten Gegenden nicht mehr als drei bis vier Silbergroschen im Sommer,
im Winter nud für die Frauen weniger. Ihr Hauptverdienst sind in dem Berg-
werködistrict, welcher zu ihrem Terrain gehört, die Erzfuhren, eine demoralisircude,
wenig lohnende Thätigkeit. ES ist ein Jammer deu Landmann zu sehn, wenn
er im Leinwandkittcl, deu kleinen Wagen mit Eisenerzen von Schenke zu Schenke
fortbewegt dnrch zwei winzige zottige Pferde, welche im Sommer von spärlicher
Grasfütternng erhalten werden. Das Straßenliegen hat den Männern den
Branntweingenuß und Scheu vor anstrengender Arbeit beigebracht, die Weiber
entsittlicht, die Kinder zu Lungerern und Dieben gemacht. Wohl sind sie geschickt
zur Arbeit, aber sie müssen unter strenger Aufsicht arbeiten; es ist sehr schwer
durch freundliche Behandlung einen Eindruck ans sie zu machen, denn sie sind
in ewigen Kreisen so entartet und heruntergekommen, daß mit den gewöhnlichen
Erziehungsmitteln großer Kinder bei ihnen nichts durchzusetzen ist. Der Schul¬
unterricht, welchen sie genießen, ist immer noch sehr schlecht, die Kinder lernen
zwei bis drei deutsche Gebe!« und einige Sprüche, wie Papageien, ohne sie zu
verstehen, sie lernen einige Seiten im Katechismus auswendig, um sie wieder zu
vergessen; glücklich sind die, welchen in zweijährigem Militärdienst die Bildung
eines gemeinen preußische» Soldaten zu Theil wird, sie werdeu die Häuptlinge
ihres Dorfes, gesuchte Arbeiter auf den Edclhöfcu, mir schade, daß im häuslichen
Verkehr mit den ganz rohen Frauen der Anflug deutscher Cultur bei den Meisten
wieder verloren geht. — So ist die ungesunde Lage des oberschlesischen Land¬
mannes, so traf ihn vor drei Jahren der Hunger und das grausenhafte Elend,
als der Scheffel Korn mit sechs, der Sack Kartoffeln mit IV- Thaler bezahlt
wurden und beide manchmal gar nicht zu haben waren. Ich schweige über die
Bilder, welche damals in den einzelnen Dörfern sichtbar wurden. Wer jene Zeit in Ober¬
schlesien durchlebt hat und menschlich empfindet, der wird es noch jetzt von nnserm Berge
wie eine finstere, unheimliche Wolke auf jenem District liegen sehn. Sechstausend Wai¬
senkinder waren im Frühjahr -48 in den ausgestorbenen Hütten zurückgeblieben.

Die Regierung in Oppeln und die landräthlichen Aemter und außerordent¬
liche Commissarien sollten die Kinder interimistisch unterbringen und Vorschläge
über ihre Erziehung auf Staatskosten machen. Das ist denn auch geschehen,


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[0174] nach den bisherigen Taxgrundsätzen der Werth ihrer Verpflichtungen den Werth ihres Besitzes oft überstieg. Bis zu dem neuesten Mlösuugsgcsetz war deshalb keine Lösung ihres Unterthanvcrhältnisses möglich. Jetzt zwar hat ein vernünftiges Gesetz auch ihnen die Möglichkeit gegeben, wenigstens den dritten Theil ihres Besitzes als freies Eigenthum zu behalten, nur schade, das; schon jetzt, wo sie das Ganze inne hatten, der schlechte Boden sowohl als die eigene Undichtigkeit ihnen kaum das Leben ließen. Ihre Nahrung find Jahr aus Jahr ein Kar¬ toffeln , welche in den letzten Jahren dort mehr als irgend wo anders entartet und durch die Faule verdorben sind; ihr Tagelohn beträgt für deu Mänuertag in den meisten Gegenden nicht mehr als drei bis vier Silbergroschen im Sommer, im Winter nud für die Frauen weniger. Ihr Hauptverdienst sind in dem Berg- werködistrict, welcher zu ihrem Terrain gehört, die Erzfuhren, eine demoralisircude, wenig lohnende Thätigkeit. ES ist ein Jammer deu Landmann zu sehn, wenn er im Leinwandkittcl, deu kleinen Wagen mit Eisenerzen von Schenke zu Schenke fortbewegt dnrch zwei winzige zottige Pferde, welche im Sommer von spärlicher Grasfütternng erhalten werden. Das Straßenliegen hat den Männern den Branntweingenuß und Scheu vor anstrengender Arbeit beigebracht, die Weiber entsittlicht, die Kinder zu Lungerern und Dieben gemacht. Wohl sind sie geschickt zur Arbeit, aber sie müssen unter strenger Aufsicht arbeiten; es ist sehr schwer durch freundliche Behandlung einen Eindruck ans sie zu machen, denn sie sind in ewigen Kreisen so entartet und heruntergekommen, daß mit den gewöhnlichen Erziehungsmitteln großer Kinder bei ihnen nichts durchzusetzen ist. Der Schul¬ unterricht, welchen sie genießen, ist immer noch sehr schlecht, die Kinder lernen zwei bis drei deutsche Gebe!« und einige Sprüche, wie Papageien, ohne sie zu verstehen, sie lernen einige Seiten im Katechismus auswendig, um sie wieder zu vergessen; glücklich sind die, welchen in zweijährigem Militärdienst die Bildung eines gemeinen preußische» Soldaten zu Theil wird, sie werdeu die Häuptlinge ihres Dorfes, gesuchte Arbeiter auf den Edclhöfcu, mir schade, daß im häuslichen Verkehr mit den ganz rohen Frauen der Anflug deutscher Cultur bei den Meisten wieder verloren geht. — So ist die ungesunde Lage des oberschlesischen Land¬ mannes, so traf ihn vor drei Jahren der Hunger und das grausenhafte Elend, als der Scheffel Korn mit sechs, der Sack Kartoffeln mit IV- Thaler bezahlt wurden und beide manchmal gar nicht zu haben waren. Ich schweige über die Bilder, welche damals in den einzelnen Dörfern sichtbar wurden. Wer jene Zeit in Ober¬ schlesien durchlebt hat und menschlich empfindet, der wird es noch jetzt von nnserm Berge wie eine finstere, unheimliche Wolke auf jenem District liegen sehn. Sechstausend Wai¬ senkinder waren im Frühjahr -48 in den ausgestorbenen Hütten zurückgeblieben. Die Regierung in Oppeln und die landräthlichen Aemter und außerordent¬ liche Commissarien sollten die Kinder interimistisch unterbringen und Vorschläge über ihre Erziehung auf Staatskosten machen. Das ist denn auch geschehen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/174>, abgerufen am 01.09.2024.