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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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auf erschreckende Weise vergrößert. Man kann, selbst wenn man ein Ketzer ist,
in den feierlichen Processionen der katholischen Städte und mancher Gegenden,
z. B. des Rheins, etwas Jmponirendes und Frommes Heransempfinden, bei diesem
unsittlichen, rohen, abgeschmackten Treiben in Oberschlesien ist das unmöglich.
Der einzige Eindruck, den man erhalt, ist Trauer über die tieft Versunkenheit des
Volkes und die Erbärmlichkeit seiner geistlichen Führer.

Besteigen Sie mit mir den Gipfel des Berges, dort im Süden und Süd¬
westen liegen die Kreise, in denen vor drei Jahren die Hungerpest wüthete,
das Scheusal, gegen welches die Cholera ein Gespenst von aristokratischer Höf¬
lichkeit genannt werden kann; und um den Berg fast nach alleu Richtungen weiter,
als Ihr Auge in der Ebene reicht, sitzt ein Volksstamm, unter dem Sie Jahre lang
wohnen können und der Ihnen doch so fremd bleibt, wie jene Zigeuner. Er
bewohnt fast den vierten Theil von Schlesien und macht ungefähr ein Sechstel
von den drei Millionen Menschen des großen Landes ans; es ist ein Nest der
alten slavischen Einwohner des großen Landes, welcher durch Kolonisation und
deutsches Regimen noch nicht bewältigt ist. Mit dem Spottnamen Wasserpvlak
bezeichnet ihn der deutsche Nachbar und der Pole im Gebiet von Krakau, seit
vielen Jahrhunderten ist er von der großen Familie der polnischen Slaven los¬
gerissen und wenn man nach der Verschiedenheit der körperlichen Bildung in ein¬
zelnen Kreisen urtheilen darf, selbst nicht von einigem Ursprung, sondern aus ver¬
schiedenen Völkerwellcn des polnischen Schlages, welche an das Riesengebirge
anschlugen, zusammengeflossen. In einzelnen Kreisen, dem ächten Polen näher
ist es ein schöner großer Schlag, den Krakowiaks ähnlich; ans die Oder zu wird
die Art kleiner, gedrungener, dort zeigt sich die Schwäche eines verkümmerten Misch¬
volkes auch in seiner äußern Form. Ihre Sprache ist ein alterthümlicher Dialekt
des Polnischen, sehr arm an Wörtern, verkrüppelt und roh, wie die Sprache des
gemeinen Volkes da zu werden pflegt, wo die Ausbildung durch Schrift von je
gefehlt hat und die Gebildeteren in andrer Zunge reden. Außer einigen Gebet-
und Gesangbüchern, wenigen Predigten, dein Katechismus, hier und da einem
Liede gegen den Branntwcinteufel und den nothwendigen obrigkeitlichen Verord¬
nungen ist bis in die neueste Zeit in diesem Dialekt kaum etwas Erwähnenswerthcs
gedruckt worden; und das Volk, welches ihn spricht, ist abgelöst von aller Bildung
seiner Zeit, denn ächt polnische Bücher versteht es nicht, obgleich die zwei oder
drei kläglichen Panslavisten Oberschlesiens dies anzugeben pflegen. Der Boden,
auf welchem dies einsame Geschlecht wohnt, ist zwar in einzelnen Strecken fruchtbar
und einer hohen Cultur fähig, aber seit alter Zeit ist der Ankergrund dieser Ge¬
gend in große Gütercomplexe zusammengeballt und die kleinen Landleute sind von
dem fruchtbaren Gründe hernntcrgedrängt auf die schlechteren Bodenstriche, sie
Md bis aus die Gegenwart ihrer Mehrzahl nach in der That nicht besser als erbliche
Nutznießer ihrer Scholle gewesen, mit servitutem und Lasten so überhäuft, daß


auf erschreckende Weise vergrößert. Man kann, selbst wenn man ein Ketzer ist,
in den feierlichen Processionen der katholischen Städte und mancher Gegenden,
z. B. des Rheins, etwas Jmponirendes und Frommes Heransempfinden, bei diesem
unsittlichen, rohen, abgeschmackten Treiben in Oberschlesien ist das unmöglich.
Der einzige Eindruck, den man erhalt, ist Trauer über die tieft Versunkenheit des
Volkes und die Erbärmlichkeit seiner geistlichen Führer.

Besteigen Sie mit mir den Gipfel des Berges, dort im Süden und Süd¬
westen liegen die Kreise, in denen vor drei Jahren die Hungerpest wüthete,
das Scheusal, gegen welches die Cholera ein Gespenst von aristokratischer Höf¬
lichkeit genannt werden kann; und um den Berg fast nach alleu Richtungen weiter,
als Ihr Auge in der Ebene reicht, sitzt ein Volksstamm, unter dem Sie Jahre lang
wohnen können und der Ihnen doch so fremd bleibt, wie jene Zigeuner. Er
bewohnt fast den vierten Theil von Schlesien und macht ungefähr ein Sechstel
von den drei Millionen Menschen des großen Landes ans; es ist ein Nest der
alten slavischen Einwohner des großen Landes, welcher durch Kolonisation und
deutsches Regimen noch nicht bewältigt ist. Mit dem Spottnamen Wasserpvlak
bezeichnet ihn der deutsche Nachbar und der Pole im Gebiet von Krakau, seit
vielen Jahrhunderten ist er von der großen Familie der polnischen Slaven los¬
gerissen und wenn man nach der Verschiedenheit der körperlichen Bildung in ein¬
zelnen Kreisen urtheilen darf, selbst nicht von einigem Ursprung, sondern aus ver¬
schiedenen Völkerwellcn des polnischen Schlages, welche an das Riesengebirge
anschlugen, zusammengeflossen. In einzelnen Kreisen, dem ächten Polen näher
ist es ein schöner großer Schlag, den Krakowiaks ähnlich; ans die Oder zu wird
die Art kleiner, gedrungener, dort zeigt sich die Schwäche eines verkümmerten Misch¬
volkes auch in seiner äußern Form. Ihre Sprache ist ein alterthümlicher Dialekt
des Polnischen, sehr arm an Wörtern, verkrüppelt und roh, wie die Sprache des
gemeinen Volkes da zu werden pflegt, wo die Ausbildung durch Schrift von je
gefehlt hat und die Gebildeteren in andrer Zunge reden. Außer einigen Gebet-
und Gesangbüchern, wenigen Predigten, dein Katechismus, hier und da einem
Liede gegen den Branntwcinteufel und den nothwendigen obrigkeitlichen Verord¬
nungen ist bis in die neueste Zeit in diesem Dialekt kaum etwas Erwähnenswerthcs
gedruckt worden; und das Volk, welches ihn spricht, ist abgelöst von aller Bildung
seiner Zeit, denn ächt polnische Bücher versteht es nicht, obgleich die zwei oder
drei kläglichen Panslavisten Oberschlesiens dies anzugeben pflegen. Der Boden,
auf welchem dies einsame Geschlecht wohnt, ist zwar in einzelnen Strecken fruchtbar
und einer hohen Cultur fähig, aber seit alter Zeit ist der Ankergrund dieser Ge¬
gend in große Gütercomplexe zusammengeballt und die kleinen Landleute sind von
dem fruchtbaren Gründe hernntcrgedrängt auf die schlechteren Bodenstriche, sie
Md bis aus die Gegenwart ihrer Mehrzahl nach in der That nicht besser als erbliche
Nutznießer ihrer Scholle gewesen, mit servitutem und Lasten so überhäuft, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/173>, abgerufen am 01.09.2024.