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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Feld räumen, der junge Monarch ergriff in einer Hand die Feder, in der andern
das Schwert, die Feder hat viele Versprechungen niedergeschrieben, die kaum in
Ersiillnng gehen werdeu, aber das Schwert ist in ein Henkerbeil verwandelt worden,
dessen Streiche ewig in dem Ohre eines jeden Magyaren wiedertönen werden.
Jetzt heißt es, die Berathungen über die Reorganisation Ungarns nähern sich
ihrem Ende, man ist wirklich gesonnen einen normalen Zustand in diesem Lande
anzubahnen, aber wie ist das dort möglich, wo die Galgen von Arad und der
Holzplatz von Pesth in noch so frischem Angedenken in den Herzen der Einwohner
leben? wo mau kaum eine Familie findet, der nicht der Henker ein theueres Familien-
glied aus ihrem Kreise gerissen, wo ans jedem Auge die Rache und unterdrückte Wuth
hervorblickt, wo Adel und Volk, Magyare und Naitze, Walachc und Deutscher
nnr ein Gefühl nähren, das Gefühl des Hasses gegen die Urheber so vieler Greuel?
Wo der Beamte sein Bureau und den Nahrungszweig seiner Familie verläßt, der
Gras seine Schätze vergräbt, und der Bauer die verhaßten GenSd'armen todtschlägt?
Das Ministerium Schwarzenberg mußte also wieder eine rettende That erfinden nud
diese war die Abberufung Haynau's, wieder also die Beseitigung einer
Person, nachdem das System unhaltbar geworden ist. "Haynau", so sagte
gestern ein keruschwarzgelber Beamter, "mußte in einem Lande, wo die Revolution
so tiefe Wurzel geschlagen hatte, mit unumschränkter Machtvollkomnienheit bekleidet
werden; die Regierung sah später mit blutendem Herzen (?), daß dieser Mann
seine Macht mißbrauchte, aber sie konnte dem Rade des Schicksals nicht in seine
Speichen greifen, ohne sich selbst zermalmen zu lassen, die unselige Revolution
verlangte ihre Opfer, und die Stimme des Mitleids mußte verstummen; nun aber
da die Hauptschuldigen gebüßt haben, und die Regierung zur Einsicht gelangt ist,
daß die Mehrheit des ungarischen Volkes sich nach einem normalen friedlichen
Zustand sehnt -- alte Phrasen -- gebietet sie der Nemesis "Halt" und entfernt
den Mann, der nie in Ungarn populär werden kann." Ich muß in den nächsten
Tagen genau acht geben und ich sollte mich sehr täuschen, wenn wir diesen Pa-
negyricns uicht in einer Korrespondenz der "Ost-Deutschen Post" finden sollten;
und ich wäre geneigt, Herrn Kuranda im Voraus die Bemerkung einzusenden,
daß das Ministerium um einige Tage zu spät mit seinem Heilmittel erschienen ist,
denn Herr Haynan hat, als hätte er sein nahes Schicksal vorausgesehen, dem
Ministerium einen großen Streich gespielt. Haynau hat die Creme der Rebellen-
partei vom Henker abschöpfen lassen, aber er hat die noch übrig gebliebene Le¬
benskraft des ungarischen Volkes durch die Begnadigung von 6-4 hohen Offizieren
und 26 namhaften Reichstagsdeputirteu wieder gestärkt, und dem mitleidsvollen
Neichsministcrium ist mir uoch das Milchwasser in den Behältern von Kufstein,
Thercsienstadt und Mnnkatsch zurückgeblieben. Dies hat sich gleich bei seinem
ersten Gnadcnacte nach Haynan gezeigt, wo Schwarzenberg 1V9 aus der Urne
zog und ihm nichts als Kellner, Barbiere, Gastwirthe, Eilwagenconducteure und


Feld räumen, der junge Monarch ergriff in einer Hand die Feder, in der andern
das Schwert, die Feder hat viele Versprechungen niedergeschrieben, die kaum in
Ersiillnng gehen werdeu, aber das Schwert ist in ein Henkerbeil verwandelt worden,
dessen Streiche ewig in dem Ohre eines jeden Magyaren wiedertönen werden.
Jetzt heißt es, die Berathungen über die Reorganisation Ungarns nähern sich
ihrem Ende, man ist wirklich gesonnen einen normalen Zustand in diesem Lande
anzubahnen, aber wie ist das dort möglich, wo die Galgen von Arad und der
Holzplatz von Pesth in noch so frischem Angedenken in den Herzen der Einwohner
leben? wo mau kaum eine Familie findet, der nicht der Henker ein theueres Familien-
glied aus ihrem Kreise gerissen, wo ans jedem Auge die Rache und unterdrückte Wuth
hervorblickt, wo Adel und Volk, Magyare und Naitze, Walachc und Deutscher
nnr ein Gefühl nähren, das Gefühl des Hasses gegen die Urheber so vieler Greuel?
Wo der Beamte sein Bureau und den Nahrungszweig seiner Familie verläßt, der
Gras seine Schätze vergräbt, und der Bauer die verhaßten GenSd'armen todtschlägt?
Das Ministerium Schwarzenberg mußte also wieder eine rettende That erfinden nud
diese war die Abberufung Haynau's, wieder also die Beseitigung einer
Person, nachdem das System unhaltbar geworden ist. „Haynau", so sagte
gestern ein keruschwarzgelber Beamter, „mußte in einem Lande, wo die Revolution
so tiefe Wurzel geschlagen hatte, mit unumschränkter Machtvollkomnienheit bekleidet
werden; die Regierung sah später mit blutendem Herzen (?), daß dieser Mann
seine Macht mißbrauchte, aber sie konnte dem Rade des Schicksals nicht in seine
Speichen greifen, ohne sich selbst zermalmen zu lassen, die unselige Revolution
verlangte ihre Opfer, und die Stimme des Mitleids mußte verstummen; nun aber
da die Hauptschuldigen gebüßt haben, und die Regierung zur Einsicht gelangt ist,
daß die Mehrheit des ungarischen Volkes sich nach einem normalen friedlichen
Zustand sehnt — alte Phrasen — gebietet sie der Nemesis „Halt" und entfernt
den Mann, der nie in Ungarn populär werden kann." Ich muß in den nächsten
Tagen genau acht geben und ich sollte mich sehr täuschen, wenn wir diesen Pa-
negyricns uicht in einer Korrespondenz der „Ost-Deutschen Post" finden sollten;
und ich wäre geneigt, Herrn Kuranda im Voraus die Bemerkung einzusenden,
daß das Ministerium um einige Tage zu spät mit seinem Heilmittel erschienen ist,
denn Herr Haynan hat, als hätte er sein nahes Schicksal vorausgesehen, dem
Ministerium einen großen Streich gespielt. Haynau hat die Creme der Rebellen-
partei vom Henker abschöpfen lassen, aber er hat die noch übrig gebliebene Le¬
benskraft des ungarischen Volkes durch die Begnadigung von 6-4 hohen Offizieren
und 26 namhaften Reichstagsdeputirteu wieder gestärkt, und dem mitleidsvollen
Neichsministcrium ist mir uoch das Milchwasser in den Behältern von Kufstein,
Thercsienstadt und Mnnkatsch zurückgeblieben. Dies hat sich gleich bei seinem
ersten Gnadcnacte nach Haynan gezeigt, wo Schwarzenberg 1V9 aus der Urne
zog und ihm nichts als Kellner, Barbiere, Gastwirthe, Eilwagenconducteure und


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[0165] Feld räumen, der junge Monarch ergriff in einer Hand die Feder, in der andern das Schwert, die Feder hat viele Versprechungen niedergeschrieben, die kaum in Ersiillnng gehen werdeu, aber das Schwert ist in ein Henkerbeil verwandelt worden, dessen Streiche ewig in dem Ohre eines jeden Magyaren wiedertönen werden. Jetzt heißt es, die Berathungen über die Reorganisation Ungarns nähern sich ihrem Ende, man ist wirklich gesonnen einen normalen Zustand in diesem Lande anzubahnen, aber wie ist das dort möglich, wo die Galgen von Arad und der Holzplatz von Pesth in noch so frischem Angedenken in den Herzen der Einwohner leben? wo mau kaum eine Familie findet, der nicht der Henker ein theueres Familien- glied aus ihrem Kreise gerissen, wo ans jedem Auge die Rache und unterdrückte Wuth hervorblickt, wo Adel und Volk, Magyare und Naitze, Walachc und Deutscher nnr ein Gefühl nähren, das Gefühl des Hasses gegen die Urheber so vieler Greuel? Wo der Beamte sein Bureau und den Nahrungszweig seiner Familie verläßt, der Gras seine Schätze vergräbt, und der Bauer die verhaßten GenSd'armen todtschlägt? Das Ministerium Schwarzenberg mußte also wieder eine rettende That erfinden nud diese war die Abberufung Haynau's, wieder also die Beseitigung einer Person, nachdem das System unhaltbar geworden ist. „Haynau", so sagte gestern ein keruschwarzgelber Beamter, „mußte in einem Lande, wo die Revolution so tiefe Wurzel geschlagen hatte, mit unumschränkter Machtvollkomnienheit bekleidet werden; die Regierung sah später mit blutendem Herzen (?), daß dieser Mann seine Macht mißbrauchte, aber sie konnte dem Rade des Schicksals nicht in seine Speichen greifen, ohne sich selbst zermalmen zu lassen, die unselige Revolution verlangte ihre Opfer, und die Stimme des Mitleids mußte verstummen; nun aber da die Hauptschuldigen gebüßt haben, und die Regierung zur Einsicht gelangt ist, daß die Mehrheit des ungarischen Volkes sich nach einem normalen friedlichen Zustand sehnt — alte Phrasen — gebietet sie der Nemesis „Halt" und entfernt den Mann, der nie in Ungarn populär werden kann." Ich muß in den nächsten Tagen genau acht geben und ich sollte mich sehr täuschen, wenn wir diesen Pa- negyricns uicht in einer Korrespondenz der „Ost-Deutschen Post" finden sollten; und ich wäre geneigt, Herrn Kuranda im Voraus die Bemerkung einzusenden, daß das Ministerium um einige Tage zu spät mit seinem Heilmittel erschienen ist, denn Herr Haynan hat, als hätte er sein nahes Schicksal vorausgesehen, dem Ministerium einen großen Streich gespielt. Haynau hat die Creme der Rebellen- partei vom Henker abschöpfen lassen, aber er hat die noch übrig gebliebene Le¬ benskraft des ungarischen Volkes durch die Begnadigung von 6-4 hohen Offizieren und 26 namhaften Reichstagsdeputirteu wieder gestärkt, und dem mitleidsvollen Neichsministcrium ist mir uoch das Milchwasser in den Behältern von Kufstein, Thercsienstadt und Mnnkatsch zurückgeblieben. Dies hat sich gleich bei seinem ersten Gnadcnacte nach Haynan gezeigt, wo Schwarzenberg 1V9 aus der Urne zog und ihm nichts als Kellner, Barbiere, Gastwirthe, Eilwagenconducteure und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/165>, abgerufen am 27.07.2024.