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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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rischcn Gesammtreich gestanden hatten, und bildeten eine der bekannten drei Na¬
tionen des Landes, welche sich in den bürgerlichen Rechten Henker, während die
vierte Nation, die jede der übrigen an Zahl übertreffenden Wallachen von den
Wohlthaten der Verfassung ausgeschlossen blieb; allein die Grundzüge der
Separatverfassung der Sachsen blieben bis ans die neueste Zeit dieselben, und
daraus entwickelte sich jene eigenthümliche Stellung, welche dieses Volk in den
vormärzlichen Kämpfen der liberalen Opposition und während der ungarischen
Schilderhebnng einnahm.

Die Sachsen waren nämlich unter sich gleichberechtigt, und ihre Aristokratie
verstieg sich nie hoher als bis zum gemüthlichen titularcn "Von"; aber sie bilde¬
ten allsammt eine aristokratische Corporation. Am meisten drückend war sie den in
ihrem Lande wohnenden und ihnen an Zahl überlegenen Wallachen, die gar keinen
freien Grundbesitz hatten, sondern theils an Privaten, theils an Commune" Frohn-
dienste leisteten, und denen es im Sachsenlande bei der Zunftverfassung der berechtigten
Einwohner nicht einmal erlaubt war, ohne Erlaubniß der Grundherrn ein Hand¬
werk zu lernen. Da aber diese sächsischen Interessen durch die Bestrebungen der
liberalen Partei in Ungarn und Siebenbürgen, die sich zur Aufgabe machte, den
Bauem zu befreien, gefährdet waren, so stimmten die Sachsen bei den Sieben-
bnrgner Landtagen sast immer mit dem conservativen Adel. -- Als im Jahre 1848
die Union mit Ungarn und die Ausdehnung der Preßburger Märzerrungenschaften
auch ans Siebenbürgen, am Landtag zu Klausenburg zur Verhandlung kam, ver¬
loren die Sachsen ihren natürlichen Bundesgenossen, den von gleichen Interessen
geleiteten conservativen Adel, bei welchem die Idee der nationalen Einheit und
die Gewißheit, daß die alten Privilegien ohnedieß nicht mehr zu retten waren,
die großen materiellen Verluste überwinden half. Damals machten auch die Sach¬
sen noch gute Miene zum bösen Spiel, ja der Herrmannstädter Deputirte war der
erste, der mit einer colossalen Tricolore durch die Straßen von Klauseuburg zog,
allem man sing bald an, den Schaden zu berechnen, den man durch die Neue¬
rungen erleiden müßte, die nationale Einheit des großen Ungarns gab bei den
Sachsen zu manchen Befürchtungen Raum, zumeist der Sorge, daß man im eige¬
nen Lande von den jetzt gleichberechtigten Walachen erdrückt werden würde. Es
fehlte einerseits der Patriotismus für das neue weitere Vaterland und die mora¬
lische Kraft das unerrettbare fahren zu lassen, man konnte sich nicht entschließen,
sich den stolzen Magyaren ganz brüderlich in die Arme zu werfen, um so vereint
der wilden Fluch der Walachen zu widerstehe", und als General Puchner bald
daraus anfing für die Hofpartei zu werben, und Walachen und Sachsen die un¬
vereinbarsten Versprechungen zu macheu, traten die Sachsen uuter seine Fahne.
Sie glaubten zwar Anfangs durch die Walachen die Kastanien aus dem Feuer
holen zu können, allein diese nöthigten sie bald, im Vordertreffen zu stehen, wäh¬
rend sie selbst sich in ihre unzugänglichen Alpen zurückzogen, und nur daun hervor-


Grcnzboten. III. 1850. ZO

rischcn Gesammtreich gestanden hatten, und bildeten eine der bekannten drei Na¬
tionen des Landes, welche sich in den bürgerlichen Rechten Henker, während die
vierte Nation, die jede der übrigen an Zahl übertreffenden Wallachen von den
Wohlthaten der Verfassung ausgeschlossen blieb; allein die Grundzüge der
Separatverfassung der Sachsen blieben bis ans die neueste Zeit dieselben, und
daraus entwickelte sich jene eigenthümliche Stellung, welche dieses Volk in den
vormärzlichen Kämpfen der liberalen Opposition und während der ungarischen
Schilderhebnng einnahm.

Die Sachsen waren nämlich unter sich gleichberechtigt, und ihre Aristokratie
verstieg sich nie hoher als bis zum gemüthlichen titularcn „Von"; aber sie bilde¬
ten allsammt eine aristokratische Corporation. Am meisten drückend war sie den in
ihrem Lande wohnenden und ihnen an Zahl überlegenen Wallachen, die gar keinen
freien Grundbesitz hatten, sondern theils an Privaten, theils an Commune» Frohn-
dienste leisteten, und denen es im Sachsenlande bei der Zunftverfassung der berechtigten
Einwohner nicht einmal erlaubt war, ohne Erlaubniß der Grundherrn ein Hand¬
werk zu lernen. Da aber diese sächsischen Interessen durch die Bestrebungen der
liberalen Partei in Ungarn und Siebenbürgen, die sich zur Aufgabe machte, den
Bauem zu befreien, gefährdet waren, so stimmten die Sachsen bei den Sieben-
bnrgner Landtagen sast immer mit dem conservativen Adel. — Als im Jahre 1848
die Union mit Ungarn und die Ausdehnung der Preßburger Märzerrungenschaften
auch ans Siebenbürgen, am Landtag zu Klausenburg zur Verhandlung kam, ver¬
loren die Sachsen ihren natürlichen Bundesgenossen, den von gleichen Interessen
geleiteten conservativen Adel, bei welchem die Idee der nationalen Einheit und
die Gewißheit, daß die alten Privilegien ohnedieß nicht mehr zu retten waren,
die großen materiellen Verluste überwinden half. Damals machten auch die Sach¬
sen noch gute Miene zum bösen Spiel, ja der Herrmannstädter Deputirte war der
erste, der mit einer colossalen Tricolore durch die Straßen von Klauseuburg zog,
allem man sing bald an, den Schaden zu berechnen, den man durch die Neue¬
rungen erleiden müßte, die nationale Einheit des großen Ungarns gab bei den
Sachsen zu manchen Befürchtungen Raum, zumeist der Sorge, daß man im eige¬
nen Lande von den jetzt gleichberechtigten Walachen erdrückt werden würde. Es
fehlte einerseits der Patriotismus für das neue weitere Vaterland und die mora¬
lische Kraft das unerrettbare fahren zu lassen, man konnte sich nicht entschließen,
sich den stolzen Magyaren ganz brüderlich in die Arme zu werfen, um so vereint
der wilden Fluch der Walachen zu widerstehe», und als General Puchner bald
daraus anfing für die Hofpartei zu werben, und Walachen und Sachsen die un¬
vereinbarsten Versprechungen zu macheu, traten die Sachsen uuter seine Fahne.
Sie glaubten zwar Anfangs durch die Walachen die Kastanien aus dem Feuer
holen zu können, allein diese nöthigten sie bald, im Vordertreffen zu stehen, wäh¬
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[0161] rischcn Gesammtreich gestanden hatten, und bildeten eine der bekannten drei Na¬ tionen des Landes, welche sich in den bürgerlichen Rechten Henker, während die vierte Nation, die jede der übrigen an Zahl übertreffenden Wallachen von den Wohlthaten der Verfassung ausgeschlossen blieb; allein die Grundzüge der Separatverfassung der Sachsen blieben bis ans die neueste Zeit dieselben, und daraus entwickelte sich jene eigenthümliche Stellung, welche dieses Volk in den vormärzlichen Kämpfen der liberalen Opposition und während der ungarischen Schilderhebnng einnahm. Die Sachsen waren nämlich unter sich gleichberechtigt, und ihre Aristokratie verstieg sich nie hoher als bis zum gemüthlichen titularcn „Von"; aber sie bilde¬ ten allsammt eine aristokratische Corporation. Am meisten drückend war sie den in ihrem Lande wohnenden und ihnen an Zahl überlegenen Wallachen, die gar keinen freien Grundbesitz hatten, sondern theils an Privaten, theils an Commune» Frohn- dienste leisteten, und denen es im Sachsenlande bei der Zunftverfassung der berechtigten Einwohner nicht einmal erlaubt war, ohne Erlaubniß der Grundherrn ein Hand¬ werk zu lernen. Da aber diese sächsischen Interessen durch die Bestrebungen der liberalen Partei in Ungarn und Siebenbürgen, die sich zur Aufgabe machte, den Bauem zu befreien, gefährdet waren, so stimmten die Sachsen bei den Sieben- bnrgner Landtagen sast immer mit dem conservativen Adel. — Als im Jahre 1848 die Union mit Ungarn und die Ausdehnung der Preßburger Märzerrungenschaften auch ans Siebenbürgen, am Landtag zu Klausenburg zur Verhandlung kam, ver¬ loren die Sachsen ihren natürlichen Bundesgenossen, den von gleichen Interessen geleiteten conservativen Adel, bei welchem die Idee der nationalen Einheit und die Gewißheit, daß die alten Privilegien ohnedieß nicht mehr zu retten waren, die großen materiellen Verluste überwinden half. Damals machten auch die Sach¬ sen noch gute Miene zum bösen Spiel, ja der Herrmannstädter Deputirte war der erste, der mit einer colossalen Tricolore durch die Straßen von Klauseuburg zog, allem man sing bald an, den Schaden zu berechnen, den man durch die Neue¬ rungen erleiden müßte, die nationale Einheit des großen Ungarns gab bei den Sachsen zu manchen Befürchtungen Raum, zumeist der Sorge, daß man im eige¬ nen Lande von den jetzt gleichberechtigten Walachen erdrückt werden würde. Es fehlte einerseits der Patriotismus für das neue weitere Vaterland und die mora¬ lische Kraft das unerrettbare fahren zu lassen, man konnte sich nicht entschließen, sich den stolzen Magyaren ganz brüderlich in die Arme zu werfen, um so vereint der wilden Fluch der Walachen zu widerstehe», und als General Puchner bald daraus anfing für die Hofpartei zu werben, und Walachen und Sachsen die un¬ vereinbarsten Versprechungen zu macheu, traten die Sachsen uuter seine Fahne. Sie glaubten zwar Anfangs durch die Walachen die Kastanien aus dem Feuer holen zu können, allein diese nöthigten sie bald, im Vordertreffen zu stehen, wäh¬ rend sie selbst sich in ihre unzugänglichen Alpen zurückzogen, und nur daun hervor- Grcnzboten. III. 1850. ZO

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/161>, abgerufen am 27.07.2024.