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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Vortheil für sich und glaubten in der Entlassung der Bauern aus der persönlichen
Unfreiheit schon ein über die Maßen großes Opfer gebracht zu haben. Der
Landadel kämpfte daher den städtischen Philanthropen kräftig entgegen, allein diese
wurden nicht zum Schweigen gebracht und waren endlich so glücklich im Adel
selbst Bundesgenossen zu gewinnen. So brachte der Prediger Wolter -- er ist
als Begründer des Dorfschulwesens in den drei Ostseeprovinzen zu preisen --
den angesehene" Grundbesitzer von Zierau so weit, daß er einen jungen Menschen
in Preußen zum Landschullehrer bilden und daun durch ihn eine Art Seminar
auf seiner Grundherrschaft einrichten ließ. .

Dieses Ereigniß wirkte in den Ostseeprovinzen Wunder. Es wurden aufs
Neue Anträge in Petersburg eingebracht; allein auch an den Stufen des Thrones
sah man in der Bildung deö Bauernstandes kein Heil, der Adel wurde auf seiue
grundherrliche Hoheit, d. h. auf seine eigenen Mittel und auf seine" Landtag
zurückgewiesen. Die Sache stand somit mißlich, allein verschiedene Edelleute hallen
sie zur Ehrensache gemacht und der Landtag konnte zuletzt nicht mehr anstehen,
sie auch zu der seinigen zu machen. Mit großer Stimmenmehrheit kam er zu
dem Entschlüsse ein großes Seminar für lettische, liefische und esthischc Dorf¬
schullehrer zu errichten, und dieses Werk wurde wirklich im Jahre 18^0 zur Aus¬
führung gebracht. Nun mußte man natürlich anch in Petersburg zu der unbe¬
liebten Sache eine freundliche Miene machen. Ja nach russischer Politik wurde
ihr jetzt der Anschein gegeben, als ob sie von der Regierung ausgehe, indem man
eine Verordnung erließ, nach welcher jeder Grundherr innerhalb eines Zeitraumes
eine Schule auf seiner Herrschaft errichten sollte. Es traten in wenigen Jahren
viele Dorfschulen ins Leben; die meisten in Kurland, die wenigsten in Esthland.
Die Zahl der Dorfschulen in allen drei Ostseeprovinzen beläuft sich aber noch
jetzt nicht einmal ans zweihundert und dies ist jämmerlich wenig, wäre aber eine
Hoffnung erregende Zahl von guten Beispielen, wenn nicht gegenwärtig, wo die
Sache einer tiefen Stille verfallen und ihrer eigeukräftigeu Entwickeln""; überlassen
ist, die alten Vorurtheile wieder gegen sie wirkten. Es ist als ob bei der Orga¬
nisation Rußlands ein Werk wie dies, nicht zum Gedeihen kommen könnte, ob-
schon vou russischer Volksaufklärung in russische" Zeitungen ungeheuer viel ge¬
sprochen wird und der Minister des Cultus (bisher fast immer einer der bornir-
testen Generale) den bombastischer Titel Minister der Volksaufklärung führt. Ru߬
lands Regierung mauöverirte stets mit dem Scheine. Sie liest in Zeitungen,
daß das Ausland über die wissenschaftliche Verwahrlosung des russischen Volks
Jammer schreit: Hurrah! send alle russischen Zeitungen voll von der Errichtung
von fünfzig, hundert, zweihundert, tausend der vortrefflichsten Seminare in den
verschiedensten Theilen des unendlichen Reichs. Da habe der Kaukasus, der
Ural, Sibirien, ja selbst Kamtschatka die herrlichste" Schullehreranstalten erhalte";
ma" nennt die Lehrzweige, das Programm des ausgebildetsten deutschen Seminars,


Grenzvoten. III. I8S0. 19

Vortheil für sich und glaubten in der Entlassung der Bauern aus der persönlichen
Unfreiheit schon ein über die Maßen großes Opfer gebracht zu haben. Der
Landadel kämpfte daher den städtischen Philanthropen kräftig entgegen, allein diese
wurden nicht zum Schweigen gebracht und waren endlich so glücklich im Adel
selbst Bundesgenossen zu gewinnen. So brachte der Prediger Wolter — er ist
als Begründer des Dorfschulwesens in den drei Ostseeprovinzen zu preisen —
den angesehene« Grundbesitzer von Zierau so weit, daß er einen jungen Menschen
in Preußen zum Landschullehrer bilden und daun durch ihn eine Art Seminar
auf seiner Grundherrschaft einrichten ließ. .

Dieses Ereigniß wirkte in den Ostseeprovinzen Wunder. Es wurden aufs
Neue Anträge in Petersburg eingebracht; allein auch an den Stufen des Thrones
sah man in der Bildung deö Bauernstandes kein Heil, der Adel wurde auf seiue
grundherrliche Hoheit, d. h. auf seine eigenen Mittel und auf seine» Landtag
zurückgewiesen. Die Sache stand somit mißlich, allein verschiedene Edelleute hallen
sie zur Ehrensache gemacht und der Landtag konnte zuletzt nicht mehr anstehen,
sie auch zu der seinigen zu machen. Mit großer Stimmenmehrheit kam er zu
dem Entschlüsse ein großes Seminar für lettische, liefische und esthischc Dorf¬
schullehrer zu errichten, und dieses Werk wurde wirklich im Jahre 18^0 zur Aus¬
führung gebracht. Nun mußte man natürlich anch in Petersburg zu der unbe¬
liebten Sache eine freundliche Miene machen. Ja nach russischer Politik wurde
ihr jetzt der Anschein gegeben, als ob sie von der Regierung ausgehe, indem man
eine Verordnung erließ, nach welcher jeder Grundherr innerhalb eines Zeitraumes
eine Schule auf seiner Herrschaft errichten sollte. Es traten in wenigen Jahren
viele Dorfschulen ins Leben; die meisten in Kurland, die wenigsten in Esthland.
Die Zahl der Dorfschulen in allen drei Ostseeprovinzen beläuft sich aber noch
jetzt nicht einmal ans zweihundert und dies ist jämmerlich wenig, wäre aber eine
Hoffnung erregende Zahl von guten Beispielen, wenn nicht gegenwärtig, wo die
Sache einer tiefen Stille verfallen und ihrer eigeukräftigeu Entwickeln»«; überlassen
ist, die alten Vorurtheile wieder gegen sie wirkten. Es ist als ob bei der Orga¬
nisation Rußlands ein Werk wie dies, nicht zum Gedeihen kommen könnte, ob-
schon vou russischer Volksaufklärung in russische» Zeitungen ungeheuer viel ge¬
sprochen wird und der Minister des Cultus (bisher fast immer einer der bornir-
testen Generale) den bombastischer Titel Minister der Volksaufklärung führt. Ru߬
lands Regierung mauöverirte stets mit dem Scheine. Sie liest in Zeitungen,
daß das Ausland über die wissenschaftliche Verwahrlosung des russischen Volks
Jammer schreit: Hurrah! send alle russischen Zeitungen voll von der Errichtung
von fünfzig, hundert, zweihundert, tausend der vortrefflichsten Seminare in den
verschiedensten Theilen des unendlichen Reichs. Da habe der Kaukasus, der
Ural, Sibirien, ja selbst Kamtschatka die herrlichste» Schullehreranstalten erhalte»;
ma» nennt die Lehrzweige, das Programm des ausgebildetsten deutschen Seminars,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/153>, abgerufen am 01.09.2024.