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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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die Nation die unglücklichen "Bundesverhandlnngen" betrachtet, mehr Ver¬
achtung oder mehr Widerwillen beigemischt ist. Der ganze Kampf geht darum,
daß Oestreich mit seinen Bundesgenossen die Versammlung als Buudesplcuar-
versammluug betrachtet wissen will, deren Beschlüsse obligatorisch auch für Preußen
nud die Unionsstaaten gelten sollen, während die preußische Partei -- jetzt be¬
reits die schwächere -- ihr uur den Charakter freier Konferenzen zuerkennen will.
Hinter dieser Differenz über einen formalen Punkt versteckt sich die ganze feind¬
liche Politik der Union und der Liga. Oestreichs Aufgabe ist: durch brüskes
Austreten, durch Jntriguen und Temporisiren die preußische Partei mürbe zu
machen und aufzulösen, und Preußen ist bis jetzt auch wieder der allerdings sehr
gebildete Pierrot gewesen, welcher sich ein Bein nach dem andern stellen ließ,
und mit einer Geduld, sür welche es kein erhebendes Beiwort gibt, ans jede
Zögerung und jeden Nasenstüber mit geistreich mvtwirten brüderlichen Vorstellungen
antwortete. Während Oestreich pfiffig, berechnet, kühl seinen Schlangenweg
ohne Unterbrechung vorwärts geht, macht Preußen in Pansen große Anläufe ohne
auch nur einen Schritt vorwärts zu kommen, leidet an Wallungen, einer Fülle
von Phrasen, einer höchst unpraktischen Spitzfindigkeit und einer rücksichtsvollen
Hochachtung vor allen Gegnern, welche Hochachtung die preußische Negierung
selbst edle Uneigeuuützigt'eit nennt, die in Wahrheit aber nichts als begehrliche
Schwäche ist. Statt im Fürsteucollegium den beiden Hessen das Pistol aus die
treulose Brust zu setzen, und dem östreichischen Cabinet durch definitive Constitui-
rung der Union Ernst zu zeigen, statt jetzt bei Abschluß des dänischen Friedens,
wo Oestreichs Jntriguen ihm bereits mit Schmerzen klar geworden waren, durch
definitive Constituirung der Union wenigstens einige Sympathien in der Nation
zu erhalten und das gänzlich verlorene Zutrauen einigermaßen wieder herzustellen,
treibt sich seine Staatsweisheit auf dem unglücklichen Felsboden von Interim's
und Provisorium'" uMher, aus dem jedes Aufblühen eines frischen Lebens un¬
möglich wird. Jeder Tag dieses halben, unsicheren Zustandes nimmt Preußen
mehr Terrain unter den Beinen weg, und was ihm die Volksansicht über den
dänischen Frieden außerdem nehmen wird, ist noch gar nicht abzusehn.

In dieser jammervollen kläglichen Zeit, welche der Zeit vor dem dreißigjäh¬
rigen Kriege und vor dem Kriege von 1806 so ähnlich sieht, wie ein El dem
andern, wird man sehr genügsam und schon ein leises Symptom von Courage
vermag eine gewisse geringe Befriedigung zu gewähren. Eine solche mühen wir
uns vergebens in der preußischen Me vom 2. Juli an Oestreich zu finden, welche
dem Fürsteucollegium mitgetheilt und am 17. durch den Staatsanzeiger publicirt
wurde. Durch diese Note wird in dem bekannten breiten biedern und demüthigen
Stil des preußischen Notcnverfassers unter buudesbrüderlicheu Grüßen lebhast
bedauert, daß Gras Thun in Frankfurt so rücksichtslos sei, der Union gar keine
Concessionen zu machen und daß Oestreich darauf bestehe, Preußen solle die Union


die Nation die unglücklichen „Bundesverhandlnngen" betrachtet, mehr Ver¬
achtung oder mehr Widerwillen beigemischt ist. Der ganze Kampf geht darum,
daß Oestreich mit seinen Bundesgenossen die Versammlung als Buudesplcuar-
versammluug betrachtet wissen will, deren Beschlüsse obligatorisch auch für Preußen
nud die Unionsstaaten gelten sollen, während die preußische Partei — jetzt be¬
reits die schwächere — ihr uur den Charakter freier Konferenzen zuerkennen will.
Hinter dieser Differenz über einen formalen Punkt versteckt sich die ganze feind¬
liche Politik der Union und der Liga. Oestreichs Aufgabe ist: durch brüskes
Austreten, durch Jntriguen und Temporisiren die preußische Partei mürbe zu
machen und aufzulösen, und Preußen ist bis jetzt auch wieder der allerdings sehr
gebildete Pierrot gewesen, welcher sich ein Bein nach dem andern stellen ließ,
und mit einer Geduld, sür welche es kein erhebendes Beiwort gibt, ans jede
Zögerung und jeden Nasenstüber mit geistreich mvtwirten brüderlichen Vorstellungen
antwortete. Während Oestreich pfiffig, berechnet, kühl seinen Schlangenweg
ohne Unterbrechung vorwärts geht, macht Preußen in Pansen große Anläufe ohne
auch nur einen Schritt vorwärts zu kommen, leidet an Wallungen, einer Fülle
von Phrasen, einer höchst unpraktischen Spitzfindigkeit und einer rücksichtsvollen
Hochachtung vor allen Gegnern, welche Hochachtung die preußische Negierung
selbst edle Uneigeuuützigt'eit nennt, die in Wahrheit aber nichts als begehrliche
Schwäche ist. Statt im Fürsteucollegium den beiden Hessen das Pistol aus die
treulose Brust zu setzen, und dem östreichischen Cabinet durch definitive Constitui-
rung der Union Ernst zu zeigen, statt jetzt bei Abschluß des dänischen Friedens,
wo Oestreichs Jntriguen ihm bereits mit Schmerzen klar geworden waren, durch
definitive Constituirung der Union wenigstens einige Sympathien in der Nation
zu erhalten und das gänzlich verlorene Zutrauen einigermaßen wieder herzustellen,
treibt sich seine Staatsweisheit auf dem unglücklichen Felsboden von Interim's
und Provisorium'« uMher, aus dem jedes Aufblühen eines frischen Lebens un¬
möglich wird. Jeder Tag dieses halben, unsicheren Zustandes nimmt Preußen
mehr Terrain unter den Beinen weg, und was ihm die Volksansicht über den
dänischen Frieden außerdem nehmen wird, ist noch gar nicht abzusehn.

In dieser jammervollen kläglichen Zeit, welche der Zeit vor dem dreißigjäh¬
rigen Kriege und vor dem Kriege von 1806 so ähnlich sieht, wie ein El dem
andern, wird man sehr genügsam und schon ein leises Symptom von Courage
vermag eine gewisse geringe Befriedigung zu gewähren. Eine solche mühen wir
uns vergebens in der preußischen Me vom 2. Juli an Oestreich zu finden, welche
dem Fürsteucollegium mitgetheilt und am 17. durch den Staatsanzeiger publicirt
wurde. Durch diese Note wird in dem bekannten breiten biedern und demüthigen
Stil des preußischen Notcnverfassers unter buudesbrüderlicheu Grüßen lebhast
bedauert, daß Gras Thun in Frankfurt so rücksichtslos sei, der Union gar keine
Concessionen zu machen und daß Oestreich darauf bestehe, Preußen solle die Union


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[0135] die Nation die unglücklichen „Bundesverhandlnngen" betrachtet, mehr Ver¬ achtung oder mehr Widerwillen beigemischt ist. Der ganze Kampf geht darum, daß Oestreich mit seinen Bundesgenossen die Versammlung als Buudesplcuar- versammluug betrachtet wissen will, deren Beschlüsse obligatorisch auch für Preußen nud die Unionsstaaten gelten sollen, während die preußische Partei — jetzt be¬ reits die schwächere — ihr uur den Charakter freier Konferenzen zuerkennen will. Hinter dieser Differenz über einen formalen Punkt versteckt sich die ganze feind¬ liche Politik der Union und der Liga. Oestreichs Aufgabe ist: durch brüskes Austreten, durch Jntriguen und Temporisiren die preußische Partei mürbe zu machen und aufzulösen, und Preußen ist bis jetzt auch wieder der allerdings sehr gebildete Pierrot gewesen, welcher sich ein Bein nach dem andern stellen ließ, und mit einer Geduld, sür welche es kein erhebendes Beiwort gibt, ans jede Zögerung und jeden Nasenstüber mit geistreich mvtwirten brüderlichen Vorstellungen antwortete. Während Oestreich pfiffig, berechnet, kühl seinen Schlangenweg ohne Unterbrechung vorwärts geht, macht Preußen in Pansen große Anläufe ohne auch nur einen Schritt vorwärts zu kommen, leidet an Wallungen, einer Fülle von Phrasen, einer höchst unpraktischen Spitzfindigkeit und einer rücksichtsvollen Hochachtung vor allen Gegnern, welche Hochachtung die preußische Negierung selbst edle Uneigeuuützigt'eit nennt, die in Wahrheit aber nichts als begehrliche Schwäche ist. Statt im Fürsteucollegium den beiden Hessen das Pistol aus die treulose Brust zu setzen, und dem östreichischen Cabinet durch definitive Constitui- rung der Union Ernst zu zeigen, statt jetzt bei Abschluß des dänischen Friedens, wo Oestreichs Jntriguen ihm bereits mit Schmerzen klar geworden waren, durch definitive Constituirung der Union wenigstens einige Sympathien in der Nation zu erhalten und das gänzlich verlorene Zutrauen einigermaßen wieder herzustellen, treibt sich seine Staatsweisheit auf dem unglücklichen Felsboden von Interim's und Provisorium'« uMher, aus dem jedes Aufblühen eines frischen Lebens un¬ möglich wird. Jeder Tag dieses halben, unsicheren Zustandes nimmt Preußen mehr Terrain unter den Beinen weg, und was ihm die Volksansicht über den dänischen Frieden außerdem nehmen wird, ist noch gar nicht abzusehn. In dieser jammervollen kläglichen Zeit, welche der Zeit vor dem dreißigjäh¬ rigen Kriege und vor dem Kriege von 1806 so ähnlich sieht, wie ein El dem andern, wird man sehr genügsam und schon ein leises Symptom von Courage vermag eine gewisse geringe Befriedigung zu gewähren. Eine solche mühen wir uns vergebens in der preußischen Me vom 2. Juli an Oestreich zu finden, welche dem Fürsteucollegium mitgetheilt und am 17. durch den Staatsanzeiger publicirt wurde. Durch diese Note wird in dem bekannten breiten biedern und demüthigen Stil des preußischen Notcnverfassers unter buudesbrüderlicheu Grüßen lebhast bedauert, daß Gras Thun in Frankfurt so rücksichtslos sei, der Union gar keine Concessionen zu machen und daß Oestreich darauf bestehe, Preußen solle die Union

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/135>, abgerufen am 27.07.2024.