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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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welche sich in Deutschland in den langen Friedensjahren ausammelten, legten sich
nur zaudernd, weder kräftig noch zahlreich genug, in industriellen Unternehmungen
an, desto lieber im Grundbesitz, den sie zeitenweis zu hohen Preisen empor trieben;
so entstand bei den Industriellen das stürmische Drängen nach Schutzzöllen für die
Industrie, und von Seiten der Grundbesitzer bei den hohen Güterpreisen ganz
consequent ein eben so energisches Drängen nach Schutz der landwirthschaftlichen
Producte, der Nahrungsstoffe; und so erlitt der Tarif des Zollvereins seit dem
Jahre 1818 allmälig eine Reihe von Veränderungen, welche weder consequent,
noch nach einem Prinzip eingerichtet waren, weil man nur dem Drängen des
jedesmaligen Bedürfnisses mißtrauisch und bedenklich nachgab, welche im Ganzen
aber den sich entwickelnden Judustrieaulage" einen bescheidenen Schutz gaben und
auf die landwirthschaftlichen Producte einen mäßigen Einfuhrzoll legten-. Unter
diesem Schutz aber entfaltete sich die deutsche Industrie des Zollvereins, zwar
in steter Progression, aber nicht aus ganz gesunde Weise. Fremde Fabrikmaterialien
und fertige Fabrikate waren besteuert, die Einfuhr der Halbfabrikate, der fremden
Game und Gewebe war begünstigt. Die Spinnereien und andere Fabriken sür
Halbfabrikate kamen deshalb in Deutschland zu keinem Gedeihen, der Fabrikant
fand es vortheilhaft.die billigen Halbfabrikate vom Ausland zu beziehen. Dadurch
erhielt die deutsche Industrie einen unsichern, ja schmarozerhaften Anstrich, und
je großer die Zahl der deutschen Webereien wurde, desto fühlbarer wurde das Be-
dürfniß, die deutsche Industrie ganz unabhängig von den Fabrikanlagen des Aus¬
landes zu machen. Dazu kam, daß der deutsche internationale Handel an zu
hohen Durchfuhrzöllen krankte, und daß die Erleichterung der Einfuhr von Lebens¬
mitteln sich als eine national-ökonomische Nothwendigkeit, schon früher als in den
Hungerjahren, herausgestellt hatte. Es galt, zunächst von diesen Gesichtspunkten
aus deu Tarif zu modificiren.

Die Resultate der Zollconsereuz sind.günstig gewesen, und es macht Freude
auf die Tüchtigkeit zu blicken, welche sich unter den Beamten sowohl, als unter
den Intelligenzen der Industrie- und Handelswelt zeigte. Die Majorität der
Deputirten trat mit genügen Modifikationen den Vorschlägen der Negierung bei.
Es wurde beschlossen, den Einfuhrzoll auf Nahrungsstoffe: Getreide, Butter,
Reis, Vieh bedeutend herabzusetzen, sie zum Theil fast frei zu mache", ferner
Fabrikmaterialicn: die Farbestoffe, Bruchsteine, Talg, Harze, Flachs, Brennholz
beim Wassertransport n. s. w. mit wenigen Ausnahmen ganz frei zu geben, die
Transitvabgaben bedeutend zu ermäßigen, deu Einfuhrzoll für fremde Garne und
Gewebe dagegen zu erhöhen und als nothwendige Folge davon, den fertigen
Fabrikaten, welche dadurch vertheucrt werden, bei der Ausfuhr einen entsprechen-
den Nückzvll zu gewähren, damit unsere Industrie im Ausland ihren Markt nicht
verliere.

Die Prinzipien, welche das Ministerium bei seinen Vorschlägen geleitet haben,


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welche sich in Deutschland in den langen Friedensjahren ausammelten, legten sich
nur zaudernd, weder kräftig noch zahlreich genug, in industriellen Unternehmungen
an, desto lieber im Grundbesitz, den sie zeitenweis zu hohen Preisen empor trieben;
so entstand bei den Industriellen das stürmische Drängen nach Schutzzöllen für die
Industrie, und von Seiten der Grundbesitzer bei den hohen Güterpreisen ganz
consequent ein eben so energisches Drängen nach Schutz der landwirthschaftlichen
Producte, der Nahrungsstoffe; und so erlitt der Tarif des Zollvereins seit dem
Jahre 1818 allmälig eine Reihe von Veränderungen, welche weder consequent,
noch nach einem Prinzip eingerichtet waren, weil man nur dem Drängen des
jedesmaligen Bedürfnisses mißtrauisch und bedenklich nachgab, welche im Ganzen
aber den sich entwickelnden Judustrieaulage» einen bescheidenen Schutz gaben und
auf die landwirthschaftlichen Producte einen mäßigen Einfuhrzoll legten-. Unter
diesem Schutz aber entfaltete sich die deutsche Industrie des Zollvereins, zwar
in steter Progression, aber nicht aus ganz gesunde Weise. Fremde Fabrikmaterialien
und fertige Fabrikate waren besteuert, die Einfuhr der Halbfabrikate, der fremden
Game und Gewebe war begünstigt. Die Spinnereien und andere Fabriken sür
Halbfabrikate kamen deshalb in Deutschland zu keinem Gedeihen, der Fabrikant
fand es vortheilhaft.die billigen Halbfabrikate vom Ausland zu beziehen. Dadurch
erhielt die deutsche Industrie einen unsichern, ja schmarozerhaften Anstrich, und
je großer die Zahl der deutschen Webereien wurde, desto fühlbarer wurde das Be-
dürfniß, die deutsche Industrie ganz unabhängig von den Fabrikanlagen des Aus¬
landes zu machen. Dazu kam, daß der deutsche internationale Handel an zu
hohen Durchfuhrzöllen krankte, und daß die Erleichterung der Einfuhr von Lebens¬
mitteln sich als eine national-ökonomische Nothwendigkeit, schon früher als in den
Hungerjahren, herausgestellt hatte. Es galt, zunächst von diesen Gesichtspunkten
aus deu Tarif zu modificiren.

Die Resultate der Zollconsereuz sind.günstig gewesen, und es macht Freude
auf die Tüchtigkeit zu blicken, welche sich unter den Beamten sowohl, als unter
den Intelligenzen der Industrie- und Handelswelt zeigte. Die Majorität der
Deputirten trat mit genügen Modifikationen den Vorschlägen der Negierung bei.
Es wurde beschlossen, den Einfuhrzoll auf Nahrungsstoffe: Getreide, Butter,
Reis, Vieh bedeutend herabzusetzen, sie zum Theil fast frei zu mache», ferner
Fabrikmaterialicn: die Farbestoffe, Bruchsteine, Talg, Harze, Flachs, Brennholz
beim Wassertransport n. s. w. mit wenigen Ausnahmen ganz frei zu geben, die
Transitvabgaben bedeutend zu ermäßigen, deu Einfuhrzoll für fremde Garne und
Gewebe dagegen zu erhöhen und als nothwendige Folge davon, den fertigen
Fabrikaten, welche dadurch vertheucrt werden, bei der Ausfuhr einen entsprechen-
den Nückzvll zu gewähren, damit unsere Industrie im Ausland ihren Markt nicht
verliere.

Die Prinzipien, welche das Ministerium bei seinen Vorschlägen geleitet haben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/11>, abgerufen am 27.07.2024.