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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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liehen Stimmungen ihrer Volker zu verwirren, als gegen die zwingenden mate¬
riellen Interessen Front zu macheu.

Von drei zu drei Jahren sind die Tarifverträge zwischen den Staaten
des Zollvereins abgeschlossen worden. Bereits mit dein ersten Januar 18-49 hatte
eine neue Convention ins Leben treten sollen, die Zeitverhältnisse haben den
Regierungen wünschenswert!) gemacht, vorläufig an dem bestehenden Zolltarif fest-
zuhalten und eine Geucralcouferenz in Zvllverciuöangelegeicheiteu für den Juli
dieses Jahres in Kassel zusammentreten zu lassen. Die preußische Negierung ver¬
stand vollständig die Wichtigkeit des Augenblicks. Es gilt für sie zunächst die
süddeutschen Staaten, Baiern, Württemberg in dem Verein zu erhalten, ferner
die zum Theil entgegengesetzte" Interessen der Nordseestaatcn mit dem Zollverein
zu versöhnen und endlich drittens nöthigenfalls in dem Zollverein ein Zwangs¬
mittel zu finden, um Baiern, Württemberg und Sachsen von ihrer undeutschen
Politik abzubringen. Die preußische Negierung hat sich deshalb bei einem Kon¬
greß ihrer Industriellen Rath erholt und diese Zollconserenz, welche am 1l).
Mai 1850. in Berlin unter dem Vorsitz des Handelsministers von der Heydt
eröffnet wurde, hat auf Grundlage der Ncgiernngsvvrschläge die Veränderungen
berathen, welche ans den angeführten und aus Culturgründen in dem Tarif des Zoll¬
vereins wünschenswerth wurden. Die Resultate dieser Conferenz sind die Vorschläge,
welche Preußen in Kassel machen wird. Eine spätere Conferenz mit den Ver¬
tretern der preußischen Agriculturinteressen hat einige Modificationen herein ge¬
bracht, welche zwar nicht gerade eine Verbesserung waren, auf das Hauptresultat
keine" großen Einfluß ausübe". Da Preußen durch seiue geographische Lage
fast alle divergirende" Interessen des Handels und der Industrie in seinem Ge¬
biet vereinigt, so werden die Resultate der Berliner Conserenz aller Wahrschein¬
lichkeit nach ans die Entscheidung in Kassel den größten Einfluß ausüben.

Um diese Resultate zu würdige", "löge" unsere Leser einen schnellen Blick
auf die bisherige Politik des Zollvereins werfen. Als der Zollverein mit dem
Tarif von: 26. Mai 1818 ins Leben trat, war seine Politik nach allen Seite"
hin eine sehr schüchterne und rücksichtsvolle. Die Einführung von Nahrungsstoffen,
Getreide und Vieh war sehr niedrig besteuert, für fremde Manufactur- und
Fabrikwaare" war eine Vcrbrauchsteuer projectirt, welche 10 p. C. des Werthes
in der Regel "icht übersteigen, aber geringer sein sollte, wo dies ohne Schaden
für die Gewerbthätigkeit des Inlandes möglich sei. Gegen diese fast freie Ein¬
fuhr der Nahrungsstoffe aber, sowie gege" den sehr ungenügenden Schutz deut¬
scher Gewerbthätigkeit erhob sich seit dem Jahre 1818 eine Menge von Bedenke".
Durch hohe Schutzzölle begünstigt erwuchs die englische, belgische u"d. fran¬
zösische Industrie so mächtig, daß sie die des Zollvereins zu ersticken drohte.
Fremde Linnen-, Baumwollen- und Wollenwaaren und die Bergwerksproducte des
Auslandes singen an, den deutschen Markt zu überschemmen, und die Capitalien,


liehen Stimmungen ihrer Volker zu verwirren, als gegen die zwingenden mate¬
riellen Interessen Front zu macheu.

Von drei zu drei Jahren sind die Tarifverträge zwischen den Staaten
des Zollvereins abgeschlossen worden. Bereits mit dein ersten Januar 18-49 hatte
eine neue Convention ins Leben treten sollen, die Zeitverhältnisse haben den
Regierungen wünschenswert!) gemacht, vorläufig an dem bestehenden Zolltarif fest-
zuhalten und eine Geucralcouferenz in Zvllverciuöangelegeicheiteu für den Juli
dieses Jahres in Kassel zusammentreten zu lassen. Die preußische Negierung ver¬
stand vollständig die Wichtigkeit des Augenblicks. Es gilt für sie zunächst die
süddeutschen Staaten, Baiern, Württemberg in dem Verein zu erhalten, ferner
die zum Theil entgegengesetzte» Interessen der Nordseestaatcn mit dem Zollverein
zu versöhnen und endlich drittens nöthigenfalls in dem Zollverein ein Zwangs¬
mittel zu finden, um Baiern, Württemberg und Sachsen von ihrer undeutschen
Politik abzubringen. Die preußische Negierung hat sich deshalb bei einem Kon¬
greß ihrer Industriellen Rath erholt und diese Zollconserenz, welche am 1l).
Mai 1850. in Berlin unter dem Vorsitz des Handelsministers von der Heydt
eröffnet wurde, hat auf Grundlage der Ncgiernngsvvrschläge die Veränderungen
berathen, welche ans den angeführten und aus Culturgründen in dem Tarif des Zoll¬
vereins wünschenswerth wurden. Die Resultate dieser Conferenz sind die Vorschläge,
welche Preußen in Kassel machen wird. Eine spätere Conferenz mit den Ver¬
tretern der preußischen Agriculturinteressen hat einige Modificationen herein ge¬
bracht, welche zwar nicht gerade eine Verbesserung waren, auf das Hauptresultat
keine» großen Einfluß ausübe». Da Preußen durch seiue geographische Lage
fast alle divergirende» Interessen des Handels und der Industrie in seinem Ge¬
biet vereinigt, so werden die Resultate der Berliner Conserenz aller Wahrschein¬
lichkeit nach ans die Entscheidung in Kassel den größten Einfluß ausüben.

Um diese Resultate zu würdige», »löge» unsere Leser einen schnellen Blick
auf die bisherige Politik des Zollvereins werfen. Als der Zollverein mit dem
Tarif von: 26. Mai 1818 ins Leben trat, war seine Politik nach allen Seite»
hin eine sehr schüchterne und rücksichtsvolle. Die Einführung von Nahrungsstoffen,
Getreide und Vieh war sehr niedrig besteuert, für fremde Manufactur- und
Fabrikwaare» war eine Vcrbrauchsteuer projectirt, welche 10 p. C. des Werthes
in der Regel »icht übersteigen, aber geringer sein sollte, wo dies ohne Schaden
für die Gewerbthätigkeit des Inlandes möglich sei. Gegen diese fast freie Ein¬
fuhr der Nahrungsstoffe aber, sowie gege» den sehr ungenügenden Schutz deut¬
scher Gewerbthätigkeit erhob sich seit dem Jahre 1818 eine Menge von Bedenke».
Durch hohe Schutzzölle begünstigt erwuchs die englische, belgische u»d. fran¬
zösische Industrie so mächtig, daß sie die des Zollvereins zu ersticken drohte.
Fremde Linnen-, Baumwollen- und Wollenwaaren und die Bergwerksproducte des
Auslandes singen an, den deutschen Markt zu überschemmen, und die Capitalien,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/10>, abgerufen am 27.07.2024.