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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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nige Gelehrte und Literaten dachten freilich auch dort kühner. Man hatte mit
der Sprache experimentirt, eine einige slavische Orthographie construirt, man
gewöhnte sich ezechische und polnische Bücher zu verstehen, hoffte den serbischen
Dialekt mit den übrigen slavischen Sprachen in kurzer Zeit zu identificiren und
rin der neuen Sprache auch einen neuen Held Marko zu erzeugen, der von der
save ans die Welt belehren werde, wie stark der Serbe sei.

Aber als man in der Revolution gemerkt hatte, daß der Serbe nicht stärker
sei, als z. B. der Nüsse, oder selbst der Oestreicher, da sing man an ein anderes
Erperiment für Vergrößerung der Volkskraft zu versuchen. Was eine südslavische
Zeitung in diesen Wochen ernsthaft empfahl, ist zwar sehr absurd, aber es charcck-
terisirt die Stimmungen einer großen Partei: so lange wir Slaven in fünf oder
mehr Sprachen unsere Literatur entwickeln, werden wir weder eine literarische noch
eine politische Einheit und Größe erlangen; wir müssen uns alle auf eine Sprache
werfen, und da die russische die größte politische Aussicht und die größte räumliche
Ausdehnung hat, so sollen wir Slaven alle anfangen, russisch zu schreiben. Es
ist nicht nöthig ans das Abgeschmackte dieses Vorschlags hinzuweisen. So lange
die Literatur eines Volkes nicht aus der Bildung und deu Bedürfnissen der Ge¬
sammtheit hervor quillt, sondern von einzelnen Gelehrten künstlich gemacht werden
soll, hat sie gar keine Aussicht etwas Anderes zu erzeuge", als Mittelmäßiges
und Verschrobenes und erlangt nimmer die Kraft das Volk zu cultiviren, zu
heben und auf die Dauer in eine bestimmte Richtung zu bringe". Wichtig ist
dieser Vorschlag aber iusoferu, weil er zeigt, daß die Südslaven die Hoffnung
aufgegeben haben, in der Gegenwart durch sich selbst groß zu werden, sie träumen,
jetzt von Größe, wohl gar von Freiheit unter russischer Herrschaft.

Die große Partei aber, welche jetzt so oder ähnlich urtheilt, besteht aus zwei
verschiedenen Klassen von Unzufriedenen, welche wohl zu unterscheide!!, siud. Die
Einen sind nnr Hassende, sie hassen das Deutschthum und Oestreich und wollen
etwas Anderes haben, was ihnen imponirt, weil es mächtig auftritt und dein.
Einzelnen größeren Einfluß und größere Ehren verspricht; die Anderen sind in¬
sofern ehrliche Schwärmer, als sie mit ihrem Ideal von Slaventhum noch die
Sehnsucht uach politischer Freiheit verbinden; sie wissen wohl, daß das jetzige
Nußland ihnen keine Freiheit geben tan", aber sie überschätzen ihre eigene Bil¬
dung und ihre geistige Kraft so sehr, daß sie sich der süßen Täuschung hingebe",
ihrerseits, sobald sie vo" Rußland verschlungen sind, das Czareuthum von innen
heraus auskehren zu können. Zu dieser Klasse der Panslavisten gehörten auch die
besseren Apostel bei deu Slovat'en"), wo dieselben Tendenzen, wo möglich noch



DciS nächste Heft der Grcnzl'oder wird in de" Bildern alles dem Ssovakenlmidc Wei¬
teres darüber bringen.

nige Gelehrte und Literaten dachten freilich auch dort kühner. Man hatte mit
der Sprache experimentirt, eine einige slavische Orthographie construirt, man
gewöhnte sich ezechische und polnische Bücher zu verstehen, hoffte den serbischen
Dialekt mit den übrigen slavischen Sprachen in kurzer Zeit zu identificiren und
rin der neuen Sprache auch einen neuen Held Marko zu erzeugen, der von der
save ans die Welt belehren werde, wie stark der Serbe sei.

Aber als man in der Revolution gemerkt hatte, daß der Serbe nicht stärker
sei, als z. B. der Nüsse, oder selbst der Oestreicher, da sing man an ein anderes
Erperiment für Vergrößerung der Volkskraft zu versuchen. Was eine südslavische
Zeitung in diesen Wochen ernsthaft empfahl, ist zwar sehr absurd, aber es charcck-
terisirt die Stimmungen einer großen Partei: so lange wir Slaven in fünf oder
mehr Sprachen unsere Literatur entwickeln, werden wir weder eine literarische noch
eine politische Einheit und Größe erlangen; wir müssen uns alle auf eine Sprache
werfen, und da die russische die größte politische Aussicht und die größte räumliche
Ausdehnung hat, so sollen wir Slaven alle anfangen, russisch zu schreiben. Es
ist nicht nöthig ans das Abgeschmackte dieses Vorschlags hinzuweisen. So lange
die Literatur eines Volkes nicht aus der Bildung und deu Bedürfnissen der Ge¬
sammtheit hervor quillt, sondern von einzelnen Gelehrten künstlich gemacht werden
soll, hat sie gar keine Aussicht etwas Anderes zu erzeuge», als Mittelmäßiges
und Verschrobenes und erlangt nimmer die Kraft das Volk zu cultiviren, zu
heben und auf die Dauer in eine bestimmte Richtung zu bringe». Wichtig ist
dieser Vorschlag aber iusoferu, weil er zeigt, daß die Südslaven die Hoffnung
aufgegeben haben, in der Gegenwart durch sich selbst groß zu werden, sie träumen,
jetzt von Größe, wohl gar von Freiheit unter russischer Herrschaft.

Die große Partei aber, welche jetzt so oder ähnlich urtheilt, besteht aus zwei
verschiedenen Klassen von Unzufriedenen, welche wohl zu unterscheide!!, siud. Die
Einen sind nnr Hassende, sie hassen das Deutschthum und Oestreich und wollen
etwas Anderes haben, was ihnen imponirt, weil es mächtig auftritt und dein.
Einzelnen größeren Einfluß und größere Ehren verspricht; die Anderen sind in¬
sofern ehrliche Schwärmer, als sie mit ihrem Ideal von Slaventhum noch die
Sehnsucht uach politischer Freiheit verbinden; sie wissen wohl, daß das jetzige
Nußland ihnen keine Freiheit geben tan», aber sie überschätzen ihre eigene Bil¬
dung und ihre geistige Kraft so sehr, daß sie sich der süßen Täuschung hingebe»,
ihrerseits, sobald sie vo» Rußland verschlungen sind, das Czareuthum von innen
heraus auskehren zu können. Zu dieser Klasse der Panslavisten gehörten auch die
besseren Apostel bei deu Slovat'en"), wo dieselben Tendenzen, wo möglich noch



DciS nächste Heft der Grcnzl'oder wird in de» Bildern alles dem Ssovakenlmidc Wei¬
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[0084] nige Gelehrte und Literaten dachten freilich auch dort kühner. Man hatte mit der Sprache experimentirt, eine einige slavische Orthographie construirt, man gewöhnte sich ezechische und polnische Bücher zu verstehen, hoffte den serbischen Dialekt mit den übrigen slavischen Sprachen in kurzer Zeit zu identificiren und rin der neuen Sprache auch einen neuen Held Marko zu erzeugen, der von der save ans die Welt belehren werde, wie stark der Serbe sei. Aber als man in der Revolution gemerkt hatte, daß der Serbe nicht stärker sei, als z. B. der Nüsse, oder selbst der Oestreicher, da sing man an ein anderes Erperiment für Vergrößerung der Volkskraft zu versuchen. Was eine südslavische Zeitung in diesen Wochen ernsthaft empfahl, ist zwar sehr absurd, aber es charcck- terisirt die Stimmungen einer großen Partei: so lange wir Slaven in fünf oder mehr Sprachen unsere Literatur entwickeln, werden wir weder eine literarische noch eine politische Einheit und Größe erlangen; wir müssen uns alle auf eine Sprache werfen, und da die russische die größte politische Aussicht und die größte räumliche Ausdehnung hat, so sollen wir Slaven alle anfangen, russisch zu schreiben. Es ist nicht nöthig ans das Abgeschmackte dieses Vorschlags hinzuweisen. So lange die Literatur eines Volkes nicht aus der Bildung und deu Bedürfnissen der Ge¬ sammtheit hervor quillt, sondern von einzelnen Gelehrten künstlich gemacht werden soll, hat sie gar keine Aussicht etwas Anderes zu erzeuge», als Mittelmäßiges und Verschrobenes und erlangt nimmer die Kraft das Volk zu cultiviren, zu heben und auf die Dauer in eine bestimmte Richtung zu bringe». Wichtig ist dieser Vorschlag aber iusoferu, weil er zeigt, daß die Südslaven die Hoffnung aufgegeben haben, in der Gegenwart durch sich selbst groß zu werden, sie träumen, jetzt von Größe, wohl gar von Freiheit unter russischer Herrschaft. Die große Partei aber, welche jetzt so oder ähnlich urtheilt, besteht aus zwei verschiedenen Klassen von Unzufriedenen, welche wohl zu unterscheide!!, siud. Die Einen sind nnr Hassende, sie hassen das Deutschthum und Oestreich und wollen etwas Anderes haben, was ihnen imponirt, weil es mächtig auftritt und dein. Einzelnen größeren Einfluß und größere Ehren verspricht; die Anderen sind in¬ sofern ehrliche Schwärmer, als sie mit ihrem Ideal von Slaventhum noch die Sehnsucht uach politischer Freiheit verbinden; sie wissen wohl, daß das jetzige Nußland ihnen keine Freiheit geben tan», aber sie überschätzen ihre eigene Bil¬ dung und ihre geistige Kraft so sehr, daß sie sich der süßen Täuschung hingebe», ihrerseits, sobald sie vo» Rußland verschlungen sind, das Czareuthum von innen heraus auskehren zu können. Zu dieser Klasse der Panslavisten gehörten auch die besseren Apostel bei deu Slovat'en"), wo dieselben Tendenzen, wo möglich noch DciS nächste Heft der Grcnzl'oder wird in de» Bildern alles dem Ssovakenlmidc Wei¬ teres darüber bringen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/84>, abgerufen am 22.07.2024.