Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Rußlands hat eine sehr scheckische Haut. Jlnn sitze" auf dem Maul die wackern
Germanen von Kurland mit schwarz-roth-goldenem Gemüth und hinten ans der
Schwanzspitze wieder Leute, von denen kein Historiker dieser Erde anzugeben weiß,
aus welchen Farben die nationale Cocarde besteht, die sie von Rechtswegen tragen
müßten. Jedes Bein Rußlands ist von andern Völkern bewohnt, und eins so¬
gar zur Ehre Mahomeds mit einem türkischen Hufeisen beschlagen, nur der Magen
ist russisch. -- Was ist dieser Panslavismus? DaS Gespinnst einiger dentschen
Gelehrten, die sich etwas darauf zu that guten, keine Deutschen zu sein; es ist eine
Phrase, eine Pedanterie, ungefähr wie jene alte: "Deutschland soll gedenken, daß
die 'gewaltigen Teutonen sich mit einem harten T geschrieben haben, und deßhalb
sich und seine Anfangsbuchstaben nicht verweichlichen" u> f. w. Und deßhalb
sagte Nesselrode zu dein vom Panslavismus der deutschen Zeitungen affizirte" Fürsten
Urnsow im vorigen Jahre: ,, Es kann Nußland ganz egal sein, ob es durch
türkische oder slavische Volksstämme sein Wachsthum fordert; auch die Türken, finden
bei uns einen hübschen. Haufen von Anverwandten." -- Noch mehr, in dein langen
Register derjenigen Wörter, welche ans den Theatern in Polen nicht gesprochen
werden dürfen, befinden sich auch die in Böhmen und Kroatien so hoch gefeierten.
ES ist den Bühncnhelden verwehrt: Freiheit, Revolution, Reformation, National¬
stolz, Racheschwert und viele andere auszusprechen; es ist ihnen ebenso verwehrt,
von ihrem Lippe" die Worte "Slave" nud "slavisch" schalten zu lassen. Diese
Anordnung siel allerdings in eine frühere Zeit (1832), aber die beiden Wörter
sind uoch nicht von dem Bannflüche entbunden, und es sieht anch nicht aus, als
sollte ihnen je das Glück "'erden, vom Kaiser auf seiner Fahne geschwenkt zu
werden, wie es den deutschen Farbe" endlich zu Berlin und Wien geschah. Noch immer
behandelt die Regierung in ihrem Staat diese Ideale mit schnöder Verachtung.
Es ist natürlich, daß in Polen, wo ein so großer Mangel an historischer Bildung
nicht vorhanden ist, die Idee deö Panslavismus wenigstens bekannter wurde, als
im Innern Rußlands. Einige der an der schlesischen Grenze stationirten jungen
russischen Officiere meinten ähnlich wie manche Czechen und die Deutschen, daß
die Sache dem Cabinet Sr. Majestät ausnehmend vortheilhaft und begünstigeuS-
werth erscheinen müsse. Da sie nun wegen des Avancement Gr""d hatten,
sich in Petersburg angenehm zu machen, so nahm: vor Kurzem ihr Patriotismus
die gewichtige Idee der Schule SchafarikS kühnlich auf seine Flügel. Die jungen
Herren, zehn oder elf an der Zahl, stifteten eine Art Panslavistenverein, der seinen
Hauptsitz im Gouvernement KaliSz hatte, und an dessen Spitze ein phantastischer
Herr Lieutenant v. D. aus Liefland, natürlich ans einer deutsche" Familie, stand.
Man beeilte sich, das große Unternehmen höchsten Orts anzuzeigen. Aber die
Hoffnungen wurden bitter getäuscht, Rußland britschte seine politischen Wohlthäter.
Statt der Patente oder Orden kam ein tüchtiger Verweis und der Befehl zu einer
genanen Untersuchung, denn hinter dem Panslavismus der patriotischen Zöglinge


Rußlands hat eine sehr scheckische Haut. Jlnn sitze» auf dem Maul die wackern
Germanen von Kurland mit schwarz-roth-goldenem Gemüth und hinten ans der
Schwanzspitze wieder Leute, von denen kein Historiker dieser Erde anzugeben weiß,
aus welchen Farben die nationale Cocarde besteht, die sie von Rechtswegen tragen
müßten. Jedes Bein Rußlands ist von andern Völkern bewohnt, und eins so¬
gar zur Ehre Mahomeds mit einem türkischen Hufeisen beschlagen, nur der Magen
ist russisch. — Was ist dieser Panslavismus? DaS Gespinnst einiger dentschen
Gelehrten, die sich etwas darauf zu that guten, keine Deutschen zu sein; es ist eine
Phrase, eine Pedanterie, ungefähr wie jene alte: „Deutschland soll gedenken, daß
die 'gewaltigen Teutonen sich mit einem harten T geschrieben haben, und deßhalb
sich und seine Anfangsbuchstaben nicht verweichlichen" u> f. w. Und deßhalb
sagte Nesselrode zu dein vom Panslavismus der deutschen Zeitungen affizirte» Fürsten
Urnsow im vorigen Jahre: ,, Es kann Nußland ganz egal sein, ob es durch
türkische oder slavische Volksstämme sein Wachsthum fordert; auch die Türken, finden
bei uns einen hübschen. Haufen von Anverwandten." — Noch mehr, in dein langen
Register derjenigen Wörter, welche ans den Theatern in Polen nicht gesprochen
werden dürfen, befinden sich auch die in Böhmen und Kroatien so hoch gefeierten.
ES ist den Bühncnhelden verwehrt: Freiheit, Revolution, Reformation, National¬
stolz, Racheschwert und viele andere auszusprechen; es ist ihnen ebenso verwehrt,
von ihrem Lippe» die Worte „Slave" nud „slavisch" schalten zu lassen. Diese
Anordnung siel allerdings in eine frühere Zeit (1832), aber die beiden Wörter
sind uoch nicht von dem Bannflüche entbunden, und es sieht anch nicht aus, als
sollte ihnen je das Glück »'erden, vom Kaiser auf seiner Fahne geschwenkt zu
werden, wie es den deutschen Farbe» endlich zu Berlin und Wien geschah. Noch immer
behandelt die Regierung in ihrem Staat diese Ideale mit schnöder Verachtung.
Es ist natürlich, daß in Polen, wo ein so großer Mangel an historischer Bildung
nicht vorhanden ist, die Idee deö Panslavismus wenigstens bekannter wurde, als
im Innern Rußlands. Einige der an der schlesischen Grenze stationirten jungen
russischen Officiere meinten ähnlich wie manche Czechen und die Deutschen, daß
die Sache dem Cabinet Sr. Majestät ausnehmend vortheilhaft und begünstigeuS-
werth erscheinen müsse. Da sie nun wegen des Avancement Gr»»d hatten,
sich in Petersburg angenehm zu machen, so nahm: vor Kurzem ihr Patriotismus
die gewichtige Idee der Schule SchafarikS kühnlich auf seine Flügel. Die jungen
Herren, zehn oder elf an der Zahl, stifteten eine Art Panslavistenverein, der seinen
Hauptsitz im Gouvernement KaliSz hatte, und an dessen Spitze ein phantastischer
Herr Lieutenant v. D. aus Liefland, natürlich ans einer deutsche» Familie, stand.
Man beeilte sich, das große Unternehmen höchsten Orts anzuzeigen. Aber die
Hoffnungen wurden bitter getäuscht, Rußland britschte seine politischen Wohlthäter.
Statt der Patente oder Orden kam ein tüchtiger Verweis und der Befehl zu einer
genanen Untersuchung, denn hinter dem Panslavismus der patriotischen Zöglinge


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0082" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185418"/>
          <p xml:id="ID_234" prev="#ID_233" next="#ID_235"> Rußlands hat eine sehr scheckische Haut. Jlnn sitze» auf dem Maul die wackern<lb/>
Germanen von Kurland mit schwarz-roth-goldenem Gemüth und hinten ans der<lb/>
Schwanzspitze wieder Leute, von denen kein Historiker dieser Erde anzugeben weiß,<lb/>
aus welchen Farben die nationale Cocarde besteht, die sie von Rechtswegen tragen<lb/>
müßten. Jedes Bein Rußlands ist von andern Völkern bewohnt, und eins so¬<lb/>
gar zur Ehre Mahomeds mit einem türkischen Hufeisen beschlagen, nur der Magen<lb/>
ist russisch. &#x2014; Was ist dieser Panslavismus? DaS Gespinnst einiger dentschen<lb/>
Gelehrten, die sich etwas darauf zu that guten, keine Deutschen zu sein; es ist eine<lb/>
Phrase, eine Pedanterie, ungefähr wie jene alte: &#x201E;Deutschland soll gedenken, daß<lb/>
die 'gewaltigen Teutonen sich mit einem harten T geschrieben haben, und deßhalb<lb/>
sich und seine Anfangsbuchstaben nicht verweichlichen" u&gt; f. w. Und deßhalb<lb/>
sagte Nesselrode zu dein vom Panslavismus der deutschen Zeitungen affizirte» Fürsten<lb/>
Urnsow im vorigen Jahre: ,, Es kann Nußland ganz egal sein, ob es durch<lb/>
türkische oder slavische Volksstämme sein Wachsthum fordert; auch die Türken, finden<lb/>
bei uns einen hübschen. Haufen von Anverwandten." &#x2014; Noch mehr, in dein langen<lb/>
Register derjenigen Wörter, welche ans den Theatern in Polen nicht gesprochen<lb/>
werden dürfen, befinden sich auch die in Böhmen und Kroatien so hoch gefeierten.<lb/>
ES ist den Bühncnhelden verwehrt: Freiheit, Revolution, Reformation, National¬<lb/>
stolz, Racheschwert und viele andere auszusprechen; es ist ihnen ebenso verwehrt,<lb/>
von ihrem Lippe» die Worte &#x201E;Slave" nud &#x201E;slavisch" schalten zu lassen. Diese<lb/>
Anordnung siel allerdings in eine frühere Zeit (1832), aber die beiden Wörter<lb/>
sind uoch nicht von dem Bannflüche entbunden, und es sieht anch nicht aus, als<lb/>
sollte ihnen je das Glück »'erden, vom Kaiser auf seiner Fahne geschwenkt zu<lb/>
werden, wie es den deutschen Farbe» endlich zu Berlin und Wien geschah. Noch immer<lb/>
behandelt die Regierung in ihrem Staat diese Ideale mit schnöder Verachtung.<lb/>
Es ist natürlich, daß in Polen, wo ein so großer Mangel an historischer Bildung<lb/>
nicht vorhanden ist, die Idee deö Panslavismus wenigstens bekannter wurde, als<lb/>
im Innern Rußlands. Einige der an der schlesischen Grenze stationirten jungen<lb/>
russischen Officiere meinten ähnlich wie manche Czechen und die Deutschen, daß<lb/>
die Sache dem Cabinet Sr. Majestät ausnehmend vortheilhaft und begünstigeuS-<lb/>
werth erscheinen müsse. Da sie nun wegen des Avancement Gr»»d hatten,<lb/>
sich in Petersburg angenehm zu machen, so nahm: vor Kurzem ihr Patriotismus<lb/>
die gewichtige Idee der Schule SchafarikS kühnlich auf seine Flügel. Die jungen<lb/>
Herren, zehn oder elf an der Zahl, stifteten eine Art Panslavistenverein, der seinen<lb/>
Hauptsitz im Gouvernement KaliSz hatte, und an dessen Spitze ein phantastischer<lb/>
Herr Lieutenant v. D. aus Liefland, natürlich ans einer deutsche» Familie, stand.<lb/>
Man beeilte sich, das große Unternehmen höchsten Orts anzuzeigen. Aber die<lb/>
Hoffnungen wurden bitter getäuscht, Rußland britschte seine politischen Wohlthäter.<lb/>
Statt der Patente oder Orden kam ein tüchtiger Verweis und der Befehl zu einer<lb/>
genanen Untersuchung, denn hinter dem Panslavismus der patriotischen Zöglinge</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0082] Rußlands hat eine sehr scheckische Haut. Jlnn sitze» auf dem Maul die wackern Germanen von Kurland mit schwarz-roth-goldenem Gemüth und hinten ans der Schwanzspitze wieder Leute, von denen kein Historiker dieser Erde anzugeben weiß, aus welchen Farben die nationale Cocarde besteht, die sie von Rechtswegen tragen müßten. Jedes Bein Rußlands ist von andern Völkern bewohnt, und eins so¬ gar zur Ehre Mahomeds mit einem türkischen Hufeisen beschlagen, nur der Magen ist russisch. — Was ist dieser Panslavismus? DaS Gespinnst einiger dentschen Gelehrten, die sich etwas darauf zu that guten, keine Deutschen zu sein; es ist eine Phrase, eine Pedanterie, ungefähr wie jene alte: „Deutschland soll gedenken, daß die 'gewaltigen Teutonen sich mit einem harten T geschrieben haben, und deßhalb sich und seine Anfangsbuchstaben nicht verweichlichen" u> f. w. Und deßhalb sagte Nesselrode zu dein vom Panslavismus der deutschen Zeitungen affizirte» Fürsten Urnsow im vorigen Jahre: ,, Es kann Nußland ganz egal sein, ob es durch türkische oder slavische Volksstämme sein Wachsthum fordert; auch die Türken, finden bei uns einen hübschen. Haufen von Anverwandten." — Noch mehr, in dein langen Register derjenigen Wörter, welche ans den Theatern in Polen nicht gesprochen werden dürfen, befinden sich auch die in Böhmen und Kroatien so hoch gefeierten. ES ist den Bühncnhelden verwehrt: Freiheit, Revolution, Reformation, National¬ stolz, Racheschwert und viele andere auszusprechen; es ist ihnen ebenso verwehrt, von ihrem Lippe» die Worte „Slave" nud „slavisch" schalten zu lassen. Diese Anordnung siel allerdings in eine frühere Zeit (1832), aber die beiden Wörter sind uoch nicht von dem Bannflüche entbunden, und es sieht anch nicht aus, als sollte ihnen je das Glück »'erden, vom Kaiser auf seiner Fahne geschwenkt zu werden, wie es den deutschen Farbe» endlich zu Berlin und Wien geschah. Noch immer behandelt die Regierung in ihrem Staat diese Ideale mit schnöder Verachtung. Es ist natürlich, daß in Polen, wo ein so großer Mangel an historischer Bildung nicht vorhanden ist, die Idee deö Panslavismus wenigstens bekannter wurde, als im Innern Rußlands. Einige der an der schlesischen Grenze stationirten jungen russischen Officiere meinten ähnlich wie manche Czechen und die Deutschen, daß die Sache dem Cabinet Sr. Majestät ausnehmend vortheilhaft und begünstigeuS- werth erscheinen müsse. Da sie nun wegen des Avancement Gr»»d hatten, sich in Petersburg angenehm zu machen, so nahm: vor Kurzem ihr Patriotismus die gewichtige Idee der Schule SchafarikS kühnlich auf seine Flügel. Die jungen Herren, zehn oder elf an der Zahl, stifteten eine Art Panslavistenverein, der seinen Hauptsitz im Gouvernement KaliSz hatte, und an dessen Spitze ein phantastischer Herr Lieutenant v. D. aus Liefland, natürlich ans einer deutsche» Familie, stand. Man beeilte sich, das große Unternehmen höchsten Orts anzuzeigen. Aber die Hoffnungen wurden bitter getäuscht, Rußland britschte seine politischen Wohlthäter. Statt der Patente oder Orden kam ein tüchtiger Verweis und der Befehl zu einer genanen Untersuchung, denn hinter dem Panslavismus der patriotischen Zöglinge

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/82
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/82>, abgerufen am 22.07.2024.