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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Patriarchen im Sorgenstuhl, ich glaube, die internationalen Neckereien hörten
nicht auf, und es käme zu diplomatischen Noten. Die Reibung der Gegensätze
beginnt in der Nesindestube und pflanzt sich sort bis in den Salon. Miß Wink,
die Gouvernante, hält es sonst unter ihrer Würde, mit Sally, dem Stubenmäd-
chen, ein unnöthiges Wort zu sprechen, aber das nngenirte Benehmen Johann's ist
so sImcKinL-! Wenn er früh die Kleider seines Wiener Herrn ausklopft, trällert
und jodelt er, das; man's bis in den ersten Stock hinauf hören kann; darum
stecken Miß Wink und Sally zischelnd die Köpfe zusammen und suche", wenn sie
dein kreuzfidelen Burschen ans der Treppe begegnen, ihn dnrch geisterstarre Blicke
ans der Fassung zu bringen, der leichtherzige Wiener aber bricht darob in schallen¬
des Gelächter aus. Wie machten sie erst später große Angen, als Mr. Joseph
in London einen Cad nahm, sich und Johann und der alten Dienerin Lisette
hineinsetzte und sie nach dem Eollosseum, dem Wachssigureneabinet von Mine. Tus-
sand und dein Tunnel fuhr -- er hatte das längst mit uns Andern gesehen --
damit auch Johann und Lisette sagen könnten, daß sie von den Herrlichkeiten
London's ihren Theil genossen haben! Während Joseph, der eine starke kosmo¬
politisch-philanthropische Ader hat, tausend englische Eigenheiten ""gemüthlich und
inhuman findet, schlägt Mr. Edouard ans Paris, einem Bonhomme mit dünnem,
grauen Backenbärtchen und schlan blinzelnden Augen, fortwährend der Franzose in
in den Nacken; er ist unerschöpflich in britenfeindlichen Sarkasmen und Calembourgs,
die er sich wohl hütet, lant werden zu lassen, sondern nnr mit graciöser Verbeugung
und geheimnißvollem Lächeln seiner kleinen Wiener Schwägerin Henriette in's Ohr
flüstert. Besucht dagegen Mr. John Double-^)on, den Erstgeborenen des Patri¬
archen, im Bureau seiner Buchdruckerei oder an der heimischen Fenerseite, --
und wenn ich euch nicht vorher in die Geschichte seiner Abstammung einweihe, so wird
euch schwerlich ein Zweifel daran einfallen, daß die Vorfahren dieses Gentlemans
gute Angelsachsen oder stolze Normannen waren, Mr. John ist ein Gentleman
im echtem Sinne des Wortes: bestimmt und praktisch in seiner politischen Auf¬
klärung, gebildet, aber ungesucht in seiner Ausdrucksweise, warm, doch maßvoll
und parlamentarisch in der ernstern Unterhaltung, selbst wenn die Spöttereien des
Pariser Verwandten seinen Patriotismus in Harnisch jagen. Auch die Gastlichkeit,
mit der er als Cicerone, und die Galanterie, mit der er als Beschützer der Damen
auftritt, hat das solide englische Gepräge. Welch wichtiges und uuchsameö Ge¬
schäft macht er sich aus der Vorbereitung ihrer täglichen Vergnügungen, wie ängst¬
lich sorgt er im Stillen für ihre Bequemlichkeit auf Reisen und Landpartien! Er
lebt auf, wenn sie vom Anblick Westmiusters überrascht sind, und wird zum Auf¬
hängen melancholisch, wenn die Windsorterrasse ihre Erwartungen nicht überflügelt,
allein er ist im Stande, ihnen Shawl und Mantille von den Schultern zu
reißen, ohne um Erlaubniß zu fragen, reicht thuen "eins ta?on den linken Arm
statt des rechten, und hat Mine. Henriette binnen drei Wochen nicht eine einige


Gu-nzboic". I. I8.-.0. 9

Patriarchen im Sorgenstuhl, ich glaube, die internationalen Neckereien hörten
nicht auf, und es käme zu diplomatischen Noten. Die Reibung der Gegensätze
beginnt in der Nesindestube und pflanzt sich sort bis in den Salon. Miß Wink,
die Gouvernante, hält es sonst unter ihrer Würde, mit Sally, dem Stubenmäd-
chen, ein unnöthiges Wort zu sprechen, aber das nngenirte Benehmen Johann's ist
so sImcKinL-! Wenn er früh die Kleider seines Wiener Herrn ausklopft, trällert
und jodelt er, das; man's bis in den ersten Stock hinauf hören kann; darum
stecken Miß Wink und Sally zischelnd die Köpfe zusammen und suche», wenn sie
dein kreuzfidelen Burschen ans der Treppe begegnen, ihn dnrch geisterstarre Blicke
ans der Fassung zu bringen, der leichtherzige Wiener aber bricht darob in schallen¬
des Gelächter aus. Wie machten sie erst später große Angen, als Mr. Joseph
in London einen Cad nahm, sich und Johann und der alten Dienerin Lisette
hineinsetzte und sie nach dem Eollosseum, dem Wachssigureneabinet von Mine. Tus-
sand und dein Tunnel fuhr — er hatte das längst mit uns Andern gesehen —
damit auch Johann und Lisette sagen könnten, daß sie von den Herrlichkeiten
London's ihren Theil genossen haben! Während Joseph, der eine starke kosmo¬
politisch-philanthropische Ader hat, tausend englische Eigenheiten «»gemüthlich und
inhuman findet, schlägt Mr. Edouard ans Paris, einem Bonhomme mit dünnem,
grauen Backenbärtchen und schlan blinzelnden Augen, fortwährend der Franzose in
in den Nacken; er ist unerschöpflich in britenfeindlichen Sarkasmen und Calembourgs,
die er sich wohl hütet, lant werden zu lassen, sondern nnr mit graciöser Verbeugung
und geheimnißvollem Lächeln seiner kleinen Wiener Schwägerin Henriette in's Ohr
flüstert. Besucht dagegen Mr. John Double-^)on, den Erstgeborenen des Patri¬
archen, im Bureau seiner Buchdruckerei oder an der heimischen Fenerseite, —
und wenn ich euch nicht vorher in die Geschichte seiner Abstammung einweihe, so wird
euch schwerlich ein Zweifel daran einfallen, daß die Vorfahren dieses Gentlemans
gute Angelsachsen oder stolze Normannen waren, Mr. John ist ein Gentleman
im echtem Sinne des Wortes: bestimmt und praktisch in seiner politischen Auf¬
klärung, gebildet, aber ungesucht in seiner Ausdrucksweise, warm, doch maßvoll
und parlamentarisch in der ernstern Unterhaltung, selbst wenn die Spöttereien des
Pariser Verwandten seinen Patriotismus in Harnisch jagen. Auch die Gastlichkeit,
mit der er als Cicerone, und die Galanterie, mit der er als Beschützer der Damen
auftritt, hat das solide englische Gepräge. Welch wichtiges und uuchsameö Ge¬
schäft macht er sich aus der Vorbereitung ihrer täglichen Vergnügungen, wie ängst¬
lich sorgt er im Stillen für ihre Bequemlichkeit auf Reisen und Landpartien! Er
lebt auf, wenn sie vom Anblick Westmiusters überrascht sind, und wird zum Auf¬
hängen melancholisch, wenn die Windsorterrasse ihre Erwartungen nicht überflügelt,
allein er ist im Stande, ihnen Shawl und Mantille von den Schultern zu
reißen, ohne um Erlaubniß zu fragen, reicht thuen «eins ta?on den linken Arm
statt des rechten, und hat Mine. Henriette binnen drei Wochen nicht eine einige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/73>, abgerufen am 22.07.2024.