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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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war eine deutsche Nachtigall, die ihre süßesten Lante in dem Hercynischen Walde
anschlug. Die Völker lauschten ihrer Zauberstimme; sie fühlten in ihr den Ver¬
lornen Glauben, die Poesie der alte" Tage wiederkehren. Da kommt eine
Schlange u. s. w.

"Seit der Mensch sich an Gottes Stelle gesetzt, ist er finster geworden und
sich selber zur. Last. Die Regierung der Welt macht ihm Sorge und ttnnche, er
war dazu nicht geboren. Auf seinem stolzen Thron verwirren sich seine Gedanken,
seine Laune wird bitter. Keine Verse, keine Gesänge mehr; er lästert sich selber.
Von den Göttern hat er nur den umwölkten Blick, den schweren Amboß und den
Dreizack genommen; die Ambrosia und deu sorglosen Schlaf hat er ihnen gelassen.
Ich rathe diesem hochfahrenden Parvenü, sein angemaßtes Reich zu lassen, und
in seine frühere Lage zurückzukehren. -- Nach deu großen Entdeckungen unserer
Zeit spielt die Menschheit mit deu schrecklichen Kräften, die sie gefunden hat; sie
fühlt sich durch Gewalten, die sie nicht mißt, nicht leitet, nicht begreift, einer
unbekannten Zukunft entgegengeführt. 1leberwältigt durch ihre eigenen Erfindn"-
gen, wirst sie sich vor ihnen in den Staub, und noch einmal betet Pygmalion
das Werk seiner Hände an. -- Aber dieser Sieg der Materie ist nur scheinbar.
Ihr Mut durch eure Industrie kein neues Resultat gewinnen, ohne durch dasselbe
eine neue Idee hervorzurufen. Das Jahrhundert mag die Erde durchwühlen, deu
Dampf beflügeln, diese Beschäftigungen werden es nie vollständig beherrschen. Der
Mensch auf der Erde ist wie Robinson ans seiner Insel: seiner Hände Arbeit dient
ihm nur dazu, den Nachen zu zimmern, ans welchem er ihr entflieht."

Diese Wiederkehr des Idealismus wird auch zu der Form führen, die ihm
allein angemessen ist, zu einer neuen Religion. Der Gang der Religionen ist
nicht blos eine sittliche Entwickelung, sondern auch eine kosmische. Sie geht vom
Orient aus, immer weiter nach Westen. Die neue Religion ist für Amerika be¬
stimmt. "Denn die Idee Gottes, so wie die Erde sie hervorbringen kann, wird
erst dann vollendet sein, wenn alle menschlichen Traditionen sich einander ergänzt
haben, so daß dieses Pantheon deu Typus für jeden Punkt deö Universums ent¬
hält, wenn jede Jusel, jedes Klima, jeder Berg, durch das Organ eines Volkes
wird sagen tonnen: die Erde hat den Ewigen begriffen. Wenn die Frucht reif
lst, möge sie in die Scheuer"."

Diese zweite Auflage der Tendenzen von 1799 läßt sich erst dann vollständig
übersehen, wenn wir sie in ihrer Verbindung mit den socialen Propheten verfolgen.
Bei Lamennais werden wir sie näher in's Auge fassen. Gleich ihrem alten
Meister Robespierre fühlen die modernen Demokraten bei ihren überspannten un¬
klaren Forderungen das Bedürfniß, dnrch eine jenseitige Gerechtigkeit die Mängel
ihrer eignen zu verstecken, die sie fühlen, ohne sie zuzugeben. Hier nur soviel.

Die Sehnsucht nach einer überirdischen Welt, das moderne Christenthum
bei den Franzosen athmet ebenso den Geist deö Katholicismus, als ihre Polemik


Grenzboten. I, I8S0. 7

war eine deutsche Nachtigall, die ihre süßesten Lante in dem Hercynischen Walde
anschlug. Die Völker lauschten ihrer Zauberstimme; sie fühlten in ihr den Ver¬
lornen Glauben, die Poesie der alte» Tage wiederkehren. Da kommt eine
Schlange u. s. w.

„Seit der Mensch sich an Gottes Stelle gesetzt, ist er finster geworden und
sich selber zur. Last. Die Regierung der Welt macht ihm Sorge und ttnnche, er
war dazu nicht geboren. Auf seinem stolzen Thron verwirren sich seine Gedanken,
seine Laune wird bitter. Keine Verse, keine Gesänge mehr; er lästert sich selber.
Von den Göttern hat er nur den umwölkten Blick, den schweren Amboß und den
Dreizack genommen; die Ambrosia und deu sorglosen Schlaf hat er ihnen gelassen.
Ich rathe diesem hochfahrenden Parvenü, sein angemaßtes Reich zu lassen, und
in seine frühere Lage zurückzukehren. — Nach deu großen Entdeckungen unserer
Zeit spielt die Menschheit mit deu schrecklichen Kräften, die sie gefunden hat; sie
fühlt sich durch Gewalten, die sie nicht mißt, nicht leitet, nicht begreift, einer
unbekannten Zukunft entgegengeführt. 1leberwältigt durch ihre eigenen Erfindn»-
gen, wirst sie sich vor ihnen in den Staub, und noch einmal betet Pygmalion
das Werk seiner Hände an. — Aber dieser Sieg der Materie ist nur scheinbar.
Ihr Mut durch eure Industrie kein neues Resultat gewinnen, ohne durch dasselbe
eine neue Idee hervorzurufen. Das Jahrhundert mag die Erde durchwühlen, deu
Dampf beflügeln, diese Beschäftigungen werden es nie vollständig beherrschen. Der
Mensch auf der Erde ist wie Robinson ans seiner Insel: seiner Hände Arbeit dient
ihm nur dazu, den Nachen zu zimmern, ans welchem er ihr entflieht."

Diese Wiederkehr des Idealismus wird auch zu der Form führen, die ihm
allein angemessen ist, zu einer neuen Religion. Der Gang der Religionen ist
nicht blos eine sittliche Entwickelung, sondern auch eine kosmische. Sie geht vom
Orient aus, immer weiter nach Westen. Die neue Religion ist für Amerika be¬
stimmt. „Denn die Idee Gottes, so wie die Erde sie hervorbringen kann, wird
erst dann vollendet sein, wenn alle menschlichen Traditionen sich einander ergänzt
haben, so daß dieses Pantheon deu Typus für jeden Punkt deö Universums ent¬
hält, wenn jede Jusel, jedes Klima, jeder Berg, durch das Organ eines Volkes
wird sagen tonnen: die Erde hat den Ewigen begriffen. Wenn die Frucht reif
lst, möge sie in die Scheuer»."

Diese zweite Auflage der Tendenzen von 1799 läßt sich erst dann vollständig
übersehen, wenn wir sie in ihrer Verbindung mit den socialen Propheten verfolgen.
Bei Lamennais werden wir sie näher in's Auge fassen. Gleich ihrem alten
Meister Robespierre fühlen die modernen Demokraten bei ihren überspannten un¬
klaren Forderungen das Bedürfniß, dnrch eine jenseitige Gerechtigkeit die Mängel
ihrer eignen zu verstecken, die sie fühlen, ohne sie zuzugeben. Hier nur soviel.

Die Sehnsucht nach einer überirdischen Welt, das moderne Christenthum
bei den Franzosen athmet ebenso den Geist deö Katholicismus, als ihre Polemik


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[0057] war eine deutsche Nachtigall, die ihre süßesten Lante in dem Hercynischen Walde anschlug. Die Völker lauschten ihrer Zauberstimme; sie fühlten in ihr den Ver¬ lornen Glauben, die Poesie der alte» Tage wiederkehren. Da kommt eine Schlange u. s. w. „Seit der Mensch sich an Gottes Stelle gesetzt, ist er finster geworden und sich selber zur. Last. Die Regierung der Welt macht ihm Sorge und ttnnche, er war dazu nicht geboren. Auf seinem stolzen Thron verwirren sich seine Gedanken, seine Laune wird bitter. Keine Verse, keine Gesänge mehr; er lästert sich selber. Von den Göttern hat er nur den umwölkten Blick, den schweren Amboß und den Dreizack genommen; die Ambrosia und deu sorglosen Schlaf hat er ihnen gelassen. Ich rathe diesem hochfahrenden Parvenü, sein angemaßtes Reich zu lassen, und in seine frühere Lage zurückzukehren. — Nach deu großen Entdeckungen unserer Zeit spielt die Menschheit mit deu schrecklichen Kräften, die sie gefunden hat; sie fühlt sich durch Gewalten, die sie nicht mißt, nicht leitet, nicht begreift, einer unbekannten Zukunft entgegengeführt. 1leberwältigt durch ihre eigenen Erfindn»- gen, wirst sie sich vor ihnen in den Staub, und noch einmal betet Pygmalion das Werk seiner Hände an. — Aber dieser Sieg der Materie ist nur scheinbar. Ihr Mut durch eure Industrie kein neues Resultat gewinnen, ohne durch dasselbe eine neue Idee hervorzurufen. Das Jahrhundert mag die Erde durchwühlen, deu Dampf beflügeln, diese Beschäftigungen werden es nie vollständig beherrschen. Der Mensch auf der Erde ist wie Robinson ans seiner Insel: seiner Hände Arbeit dient ihm nur dazu, den Nachen zu zimmern, ans welchem er ihr entflieht." Diese Wiederkehr des Idealismus wird auch zu der Form führen, die ihm allein angemessen ist, zu einer neuen Religion. Der Gang der Religionen ist nicht blos eine sittliche Entwickelung, sondern auch eine kosmische. Sie geht vom Orient aus, immer weiter nach Westen. Die neue Religion ist für Amerika be¬ stimmt. „Denn die Idee Gottes, so wie die Erde sie hervorbringen kann, wird erst dann vollendet sein, wenn alle menschlichen Traditionen sich einander ergänzt haben, so daß dieses Pantheon deu Typus für jeden Punkt deö Universums ent¬ hält, wenn jede Jusel, jedes Klima, jeder Berg, durch das Organ eines Volkes wird sagen tonnen: die Erde hat den Ewigen begriffen. Wenn die Frucht reif lst, möge sie in die Scheuer»." Diese zweite Auflage der Tendenzen von 1799 läßt sich erst dann vollständig übersehen, wenn wir sie in ihrer Verbindung mit den socialen Propheten verfolgen. Bei Lamennais werden wir sie näher in's Auge fassen. Gleich ihrem alten Meister Robespierre fühlen die modernen Demokraten bei ihren überspannten un¬ klaren Forderungen das Bedürfniß, dnrch eine jenseitige Gerechtigkeit die Mängel ihrer eignen zu verstecken, die sie fühlen, ohne sie zuzugeben. Hier nur soviel. Die Sehnsucht nach einer überirdischen Welt, das moderne Christenthum bei den Franzosen athmet ebenso den Geist deö Katholicismus, als ihre Polemik Grenzboten. I, I8S0. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/57>, abgerufen am 22.07.2024.