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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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das Gesetz. Als Marinelli in Gegenwart des Prinzen ans die Trennung Emilia's
von ihrem Vater ans dem Grunde drängt, weil das Gericht sie über die Ermor-
dung ihres Bräutigams vernehmen muß, weil es einen Nebenbuhler in Verdacht
hat -- da war die natürliche Antwort Odvardo's: Allerdings ist dieser Verdacht
gegründet; meine Tochter ist heute früh von einem Wüstling angefallen worden,
und die und die ttmstäude spreche" dafür, daß die That von seinen Helfershelfern
ausgegangen ist. --- Dies Verhalten hätte nicht allein dem Zweck besser entsprochen,
denn der feige Fürst mußte zittern und nachgeben, er konnte wenigstens seine
wollüstige Absicht nicht mehr frei verfolgen, es wäre auch würdiger gewesen.
Odvardo beugt sieh vor dem Mörder, er bittet um die Gnade, sein Kind noch
einmal zu sprechen, um ihn dadurch zu überlisten. -- Warum? Der isolirte Tugend¬
hafte ist eigentlich feige, der schlechte" Realität gegenüber, der er bisher nnr durch
die Flucht zu begegnen gewohnt war. In dieser beständigen Flucht hat er ein
gedrücktes Wesen angenommen, er wagt nicht, mit seinem Zorn frei hervor¬
zutreten, er ruft sich beständig zu: Ruhig, alter Knabe! und doch muß er sich erst
in eine künstliche Exaltation versetzen, um frei und offen zu reden; -- er stichelt.

Zuletzt kommt seine That doch wieder aus eine Rache heraus. Er will durch
das Gespenst Emiliens die Nächte des Tyrannen heimsuchen lassen, er will auch
diese Blutschuld ihm ausladen, auch uoch die zweite Schuld, für sein eignes Ver¬
brechen den Thäter verurtheilen zu müssen, um droben ihn vor einem strengeren
Richter zu erwarten.

Ein christlicher Ausweg, aber kein dramatischer. Wenn wir die sittliche Er¬
gänzung unserer Thaten, die poetische Gerechtigkeit, die Aufhebung des Deficit
im Jenseits suchen, so hat es der Dichter freilich bequem; er kann geschehen
lassen, was er Lust hat, die Rechnung stimmt stets.

Aber auch wieder unchristlich, stoisch, heidnisch. Der Christ hat kein Recht
zu einer autonomen That, zu einem Verbrechen. Aber selbst der Römer hat bei
seiner That doch einen Zweck vor Augen. Virginiuö tödtet seine Tochter ans dem
Forum, vor allem Volk, und das blutige Messer ist das Signal zur Empörung,
zum Sturz der Tyrannen, deren Maß voll ist. Odoardo'ö That ist eine Ca-
binctsjustiz.

Mau vergesse nicht, daß sich der Dichter mit dem Thäter identificirt. Odvar¬
do's That wird nicht wie die Othello'S als ein Verbrechen aufgefaßt, als eine
Verirrung der Leidenschaft; sie wird vou Emilien selbst, und im Grnnde anch
von dem Prinzen gebilligt. Die Unvollkommenheit der sittlichen Motive trifft also
nicht bloß den Charakter Odoardo'ö, sondern den Dichter.

Noch schlimmer wird die Sache, wenn mau die Wendung in Betracht zieht,
die ihr Emilie zu geben weiß. Hier kommt es geradezu auf eine Präventivma߬
regel heraus, die physische Unschuld zu bewahren. Erwürgt den Säugling, denn
wenn er Manu wird, verfällt er in Sünde!


das Gesetz. Als Marinelli in Gegenwart des Prinzen ans die Trennung Emilia's
von ihrem Vater ans dem Grunde drängt, weil das Gericht sie über die Ermor-
dung ihres Bräutigams vernehmen muß, weil es einen Nebenbuhler in Verdacht
hat — da war die natürliche Antwort Odvardo's: Allerdings ist dieser Verdacht
gegründet; meine Tochter ist heute früh von einem Wüstling angefallen worden,
und die und die ttmstäude spreche» dafür, daß die That von seinen Helfershelfern
ausgegangen ist. —- Dies Verhalten hätte nicht allein dem Zweck besser entsprochen,
denn der feige Fürst mußte zittern und nachgeben, er konnte wenigstens seine
wollüstige Absicht nicht mehr frei verfolgen, es wäre auch würdiger gewesen.
Odvardo beugt sieh vor dem Mörder, er bittet um die Gnade, sein Kind noch
einmal zu sprechen, um ihn dadurch zu überlisten. — Warum? Der isolirte Tugend¬
hafte ist eigentlich feige, der schlechte» Realität gegenüber, der er bisher nnr durch
die Flucht zu begegnen gewohnt war. In dieser beständigen Flucht hat er ein
gedrücktes Wesen angenommen, er wagt nicht, mit seinem Zorn frei hervor¬
zutreten, er ruft sich beständig zu: Ruhig, alter Knabe! und doch muß er sich erst
in eine künstliche Exaltation versetzen, um frei und offen zu reden; — er stichelt.

Zuletzt kommt seine That doch wieder aus eine Rache heraus. Er will durch
das Gespenst Emiliens die Nächte des Tyrannen heimsuchen lassen, er will auch
diese Blutschuld ihm ausladen, auch uoch die zweite Schuld, für sein eignes Ver¬
brechen den Thäter verurtheilen zu müssen, um droben ihn vor einem strengeren
Richter zu erwarten.

Ein christlicher Ausweg, aber kein dramatischer. Wenn wir die sittliche Er¬
gänzung unserer Thaten, die poetische Gerechtigkeit, die Aufhebung des Deficit
im Jenseits suchen, so hat es der Dichter freilich bequem; er kann geschehen
lassen, was er Lust hat, die Rechnung stimmt stets.

Aber auch wieder unchristlich, stoisch, heidnisch. Der Christ hat kein Recht
zu einer autonomen That, zu einem Verbrechen. Aber selbst der Römer hat bei
seiner That doch einen Zweck vor Augen. Virginiuö tödtet seine Tochter ans dem
Forum, vor allem Volk, und das blutige Messer ist das Signal zur Empörung,
zum Sturz der Tyrannen, deren Maß voll ist. Odoardo'ö That ist eine Ca-
binctsjustiz.

Mau vergesse nicht, daß sich der Dichter mit dem Thäter identificirt. Odvar¬
do's That wird nicht wie die Othello'S als ein Verbrechen aufgefaßt, als eine
Verirrung der Leidenschaft; sie wird vou Emilien selbst, und im Grnnde anch
von dem Prinzen gebilligt. Die Unvollkommenheit der sittlichen Motive trifft also
nicht bloß den Charakter Odoardo'ö, sondern den Dichter.

Noch schlimmer wird die Sache, wenn mau die Wendung in Betracht zieht,
die ihr Emilie zu geben weiß. Hier kommt es geradezu auf eine Präventivma߬
regel heraus, die physische Unschuld zu bewahren. Erwürgt den Säugling, denn
wenn er Manu wird, verfällt er in Sünde!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/474>, abgerufen am 25.08.2024.