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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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der specifisch conservativen Partei, mit den Fanatikern der Ruhe um jeden Preis
verbunden, nur gemeinsam gegen den JacobiniSnuiö zu reagiren; die neueste Re¬
volution und die Bildung der conservativen Partei in Paris hat sie darin bestärkt.
Aber sie haben in diese conservative Partei ein eigenthümliches Moment hinein¬
getragen, das nach Unabhängigkeit strebt, daS Moment der Doctrin. Sie
wollen von einer Idee ausgehen, nicht von einem augenblicklichen Bedürfniß; sie
wollen nicht bloß conserviren, sondern organisiren.

Die Doctrin hat die schwierige Aufgabe, widersprechende Momente zu ver¬
söhnen. Wie sie das anfängt, lehrt am Besten ein Beispiel: ihr religiöses Com-
promiß. Sie lassen jede Religion gelten, welche eine historische, legitime Form
hat, ohne auf ihren Inhalt Rücksicht zu nehmen; jede Religion, welche sich ans
Autorität gründet, und verwerfen jede religiöse Ansicht, die sich der Autorität
entziehen will und nach einer loseren Form strebt. Sie machen nicht nnr die
Apologeten der römischen Kirche, der Hochkirche, der Puritaner, der Altlntheraner,
der Mennoniten u. s. w., sondern auch die Apologeten des specifischen Judenthums.
Allerdings wollen sie die Juden ins Ghetto werfen, sie gelegentlich anspeien und
mit Füßen treten, wie Antonio den Shylock; aber sie wollen auch alle Mittel des
Staats aufbieten, um diesen legitimen Juden das Recht zu verschaffen, ihre eigenen
Ketzer anznspeien und mit Füßen zu treten, wie der Sauhednn von Amsterdam
den Ketzer Uriel Akosta.

Ich darf wohl kaum daran erinnern, daß diese Doctrin einer alten litterari¬
schen Richtung angehört, der Reaction gegen den Geist der Aufklärung, der
Alles nivelliren und uniformiren wollte, und dem zum Trotz man alles Besondere
und Jrratiouclle in Spiritus aufbewahrte. Sehr aufgeklärte Männer, wie Lessing
(im Nathan),.Herder, Jacobi, Schleiermacher, gehörten dieser Richtung an, ob¬
gleich ihre Humanität und Bildung zu groß war, um die absurden Consequenzen
zu ziehen, welche die spätern Romantiker mit großem Behagen ausgebeutet haben,
wie z. B. noch neuerdings Hr. v. Florencvurt, der ganz ernsthaft versicherte, er hätte
mit den Mexikanern und ihren historischen, legitimen Menschenopfern sympathisiren
und sich daran erbauen können, aber nicht mit den formlosen, unhistorischen
Lichtfrenndcn.

Aehnlich verfährt die Doctrin mit dem Unterschied der Stände. Sie will,
wenigstens in ihren besseren Organen, keineswegs die übrigen Stände zu Gunsten
des Adels und der Geistlichkeit ausrotten, nicht einmal sie zu Sklaven machen;
im Gegentheil, sie will sie erst in ihr aKeS historischen Recht wieder einsetzen.
Sie will den Pariser Frack abschaffen, und dem Adel seinen spanischen Mantel,
dem in Zünften eingepferchten Handwerker seine Aufzüge, dem Professor und
Richter seinen Talar, dem Bauer seine Jacke wieder octroyiren. Bunt soll es
sein im Staatsleben, wie in der Natur.

In einem Puukt uur ist sie in einem gefährlichen Widerspruch mit sich selbst.


der specifisch conservativen Partei, mit den Fanatikern der Ruhe um jeden Preis
verbunden, nur gemeinsam gegen den JacobiniSnuiö zu reagiren; die neueste Re¬
volution und die Bildung der conservativen Partei in Paris hat sie darin bestärkt.
Aber sie haben in diese conservative Partei ein eigenthümliches Moment hinein¬
getragen, das nach Unabhängigkeit strebt, daS Moment der Doctrin. Sie
wollen von einer Idee ausgehen, nicht von einem augenblicklichen Bedürfniß; sie
wollen nicht bloß conserviren, sondern organisiren.

Die Doctrin hat die schwierige Aufgabe, widersprechende Momente zu ver¬
söhnen. Wie sie das anfängt, lehrt am Besten ein Beispiel: ihr religiöses Com-
promiß. Sie lassen jede Religion gelten, welche eine historische, legitime Form
hat, ohne auf ihren Inhalt Rücksicht zu nehmen; jede Religion, welche sich ans
Autorität gründet, und verwerfen jede religiöse Ansicht, die sich der Autorität
entziehen will und nach einer loseren Form strebt. Sie machen nicht nnr die
Apologeten der römischen Kirche, der Hochkirche, der Puritaner, der Altlntheraner,
der Mennoniten u. s. w., sondern auch die Apologeten des specifischen Judenthums.
Allerdings wollen sie die Juden ins Ghetto werfen, sie gelegentlich anspeien und
mit Füßen treten, wie Antonio den Shylock; aber sie wollen auch alle Mittel des
Staats aufbieten, um diesen legitimen Juden das Recht zu verschaffen, ihre eigenen
Ketzer anznspeien und mit Füßen zu treten, wie der Sauhednn von Amsterdam
den Ketzer Uriel Akosta.

Ich darf wohl kaum daran erinnern, daß diese Doctrin einer alten litterari¬
schen Richtung angehört, der Reaction gegen den Geist der Aufklärung, der
Alles nivelliren und uniformiren wollte, und dem zum Trotz man alles Besondere
und Jrratiouclle in Spiritus aufbewahrte. Sehr aufgeklärte Männer, wie Lessing
(im Nathan),.Herder, Jacobi, Schleiermacher, gehörten dieser Richtung an, ob¬
gleich ihre Humanität und Bildung zu groß war, um die absurden Consequenzen
zu ziehen, welche die spätern Romantiker mit großem Behagen ausgebeutet haben,
wie z. B. noch neuerdings Hr. v. Florencvurt, der ganz ernsthaft versicherte, er hätte
mit den Mexikanern und ihren historischen, legitimen Menschenopfern sympathisiren
und sich daran erbauen können, aber nicht mit den formlosen, unhistorischen
Lichtfrenndcn.

Aehnlich verfährt die Doctrin mit dem Unterschied der Stände. Sie will,
wenigstens in ihren besseren Organen, keineswegs die übrigen Stände zu Gunsten
des Adels und der Geistlichkeit ausrotten, nicht einmal sie zu Sklaven machen;
im Gegentheil, sie will sie erst in ihr aKeS historischen Recht wieder einsetzen.
Sie will den Pariser Frack abschaffen, und dem Adel seinen spanischen Mantel,
dem in Zünften eingepferchten Handwerker seine Aufzüge, dem Professor und
Richter seinen Talar, dem Bauer seine Jacke wieder octroyiren. Bunt soll es
sein im Staatsleben, wie in der Natur.

In einem Puukt uur ist sie in einem gefährlichen Widerspruch mit sich selbst.


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[0452] der specifisch conservativen Partei, mit den Fanatikern der Ruhe um jeden Preis verbunden, nur gemeinsam gegen den JacobiniSnuiö zu reagiren; die neueste Re¬ volution und die Bildung der conservativen Partei in Paris hat sie darin bestärkt. Aber sie haben in diese conservative Partei ein eigenthümliches Moment hinein¬ getragen, das nach Unabhängigkeit strebt, daS Moment der Doctrin. Sie wollen von einer Idee ausgehen, nicht von einem augenblicklichen Bedürfniß; sie wollen nicht bloß conserviren, sondern organisiren. Die Doctrin hat die schwierige Aufgabe, widersprechende Momente zu ver¬ söhnen. Wie sie das anfängt, lehrt am Besten ein Beispiel: ihr religiöses Com- promiß. Sie lassen jede Religion gelten, welche eine historische, legitime Form hat, ohne auf ihren Inhalt Rücksicht zu nehmen; jede Religion, welche sich ans Autorität gründet, und verwerfen jede religiöse Ansicht, die sich der Autorität entziehen will und nach einer loseren Form strebt. Sie machen nicht nnr die Apologeten der römischen Kirche, der Hochkirche, der Puritaner, der Altlntheraner, der Mennoniten u. s. w., sondern auch die Apologeten des specifischen Judenthums. Allerdings wollen sie die Juden ins Ghetto werfen, sie gelegentlich anspeien und mit Füßen treten, wie Antonio den Shylock; aber sie wollen auch alle Mittel des Staats aufbieten, um diesen legitimen Juden das Recht zu verschaffen, ihre eigenen Ketzer anznspeien und mit Füßen zu treten, wie der Sauhednn von Amsterdam den Ketzer Uriel Akosta. Ich darf wohl kaum daran erinnern, daß diese Doctrin einer alten litterari¬ schen Richtung angehört, der Reaction gegen den Geist der Aufklärung, der Alles nivelliren und uniformiren wollte, und dem zum Trotz man alles Besondere und Jrratiouclle in Spiritus aufbewahrte. Sehr aufgeklärte Männer, wie Lessing (im Nathan),.Herder, Jacobi, Schleiermacher, gehörten dieser Richtung an, ob¬ gleich ihre Humanität und Bildung zu groß war, um die absurden Consequenzen zu ziehen, welche die spätern Romantiker mit großem Behagen ausgebeutet haben, wie z. B. noch neuerdings Hr. v. Florencvurt, der ganz ernsthaft versicherte, er hätte mit den Mexikanern und ihren historischen, legitimen Menschenopfern sympathisiren und sich daran erbauen können, aber nicht mit den formlosen, unhistorischen Lichtfrenndcn. Aehnlich verfährt die Doctrin mit dem Unterschied der Stände. Sie will, wenigstens in ihren besseren Organen, keineswegs die übrigen Stände zu Gunsten des Adels und der Geistlichkeit ausrotten, nicht einmal sie zu Sklaven machen; im Gegentheil, sie will sie erst in ihr aKeS historischen Recht wieder einsetzen. Sie will den Pariser Frack abschaffen, und dem Adel seinen spanischen Mantel, dem in Zünften eingepferchten Handwerker seine Aufzüge, dem Professor und Richter seinen Talar, dem Bauer seine Jacke wieder octroyiren. Bunt soll es sein im Staatsleben, wie in der Natur. In einem Puukt uur ist sie in einem gefährlichen Widerspruch mit sich selbst.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/452>, abgerufen am 22.07.2024.