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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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ihrer Natur nach gegen den preußischen Staat gerichtet. Sobald der Staat nur
irgend in die Lage kommt, der augenblicklichen äußern Noth überhoben zu sein,
wird er seinen Einfluß gegen die katholische .Kirche anwenden, deren Macht, ja
deren Existenz seinem Wesen widerspricht. Die Kirche weiß das sehr wohl, und
wird unter Umständen, wie sie eS zu allen Zeiten und in allen Ländern
gethan hat, die blutrothe Demokratie gegen den Staat aufbieten. Sie wird
niemals aufrichtig ans Seiten der constitutionellen Partei stehn, denn die Oeffent-
lichkeit, die von der parlamentarischen Regierung unzertrennlich ist, droht ihr
größere Gefahr, alö die Herrschsucht der Verwaltungaber sie wird, je nach der
Sachlage, die eine gegen die andere benutzen: um so leichter, da sie die schöne
Phrase "Freiheit" in der närrischen Zusammensetzung "Freiheit der Kirche" ihren
demokratischen Freunden als Köder Hinhalten kann.

In einer eigenen Lage befindet sich die protestantisch-kirchliche Partei. Im
Protestantismus kreuzen sich, abgesehen von seinem theologischen Inhalt, auf den
eS hier weniger ankommt, zwei verschiedene Richtungen: die Neigung, sich mit
dem Staat zu identificiren, im Landesherrn auch das kirchliche Oberhaupt anzu¬
erkennen, nud die Neigung zur Autonomie der Gemeinde", oder eigentlich zur
Decentralisation. Gegen die lichtfreundlichcn Unruhen wird die Staatskirche
aufgeboten, gegen die rationalistische Verwaltung die Freiheit der Kirche. Man
hat beides auf die Weise zu combiniren versucht, daß man der lediglich auf den
Staat basirten evangelischen Kirche eine vom Staat unabhängige Organisation
geben wollte. Die Synoden sind gescheitert, und werden stets scheitern, so¬
bald sie sich nicht zu einer vom Staat abhängigen Function herabsetzen lassen
wollen. Damit würden sie aber ihren Zweck aufgeben. -- Die Vorkämpfer der
Kirche tonnen also den Verdruß nicht verhehlen, daß dieselbe nicht ans einen
festeren Fels gegründet ist, als der Staat, mit andern Worten, daß sie nicht
katholisch find; sie kommen auch wohl von Zeit zu Zeit auf deu Gedanken, ob
es nicht, thunlich sei, die beiden Kirchen, die jetzt schon in dem gemeinsamen
Kampf gegen die Aufklärung und deren Consequenzen sich genähert haben, wiederum
zu verschmelzen, und sie begrüßen mit großer Frende einzelne Erscheinungen, in
denen etwas Nehnliehes angestrebt wird, z. B. das Auftreten der Jrvingianer in
England; aber einerseits ist der protestantische Geist, den sie nicht verleugnen
können, denn doch zu stark, als daß dergleichen Tendenzen über eine augenblick¬
liche Coguetterie hinausreichen könnten, andererseits sind die vornehmsten Träger
der Richtung -- einzelne Generale, Geheimeräthe, Professoren, Grafen und Ba¬
rone, die eigentlich die christliche Gesinnung wie ein Prärogativ ihres Standes
der vulgären Aufklärung gegenüber betrachten, zu sehr an das Königthum ge¬
bunden, zu treu deu Traditionen ihrer Ahnen, als daß sie sich in ihrer Nach¬
giebigkeit zu weit nach Rom verirren sollten.

Die beiden Richtungen haben sich schon zur Zeit der Demaqogeuriccherei mit


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ihrer Natur nach gegen den preußischen Staat gerichtet. Sobald der Staat nur
irgend in die Lage kommt, der augenblicklichen äußern Noth überhoben zu sein,
wird er seinen Einfluß gegen die katholische .Kirche anwenden, deren Macht, ja
deren Existenz seinem Wesen widerspricht. Die Kirche weiß das sehr wohl, und
wird unter Umständen, wie sie eS zu allen Zeiten und in allen Ländern
gethan hat, die blutrothe Demokratie gegen den Staat aufbieten. Sie wird
niemals aufrichtig ans Seiten der constitutionellen Partei stehn, denn die Oeffent-
lichkeit, die von der parlamentarischen Regierung unzertrennlich ist, droht ihr
größere Gefahr, alö die Herrschsucht der Verwaltungaber sie wird, je nach der
Sachlage, die eine gegen die andere benutzen: um so leichter, da sie die schöne
Phrase „Freiheit" in der närrischen Zusammensetzung „Freiheit der Kirche" ihren
demokratischen Freunden als Köder Hinhalten kann.

In einer eigenen Lage befindet sich die protestantisch-kirchliche Partei. Im
Protestantismus kreuzen sich, abgesehen von seinem theologischen Inhalt, auf den
eS hier weniger ankommt, zwei verschiedene Richtungen: die Neigung, sich mit
dem Staat zu identificiren, im Landesherrn auch das kirchliche Oberhaupt anzu¬
erkennen, nud die Neigung zur Autonomie der Gemeinde», oder eigentlich zur
Decentralisation. Gegen die lichtfreundlichcn Unruhen wird die Staatskirche
aufgeboten, gegen die rationalistische Verwaltung die Freiheit der Kirche. Man
hat beides auf die Weise zu combiniren versucht, daß man der lediglich auf den
Staat basirten evangelischen Kirche eine vom Staat unabhängige Organisation
geben wollte. Die Synoden sind gescheitert, und werden stets scheitern, so¬
bald sie sich nicht zu einer vom Staat abhängigen Function herabsetzen lassen
wollen. Damit würden sie aber ihren Zweck aufgeben. — Die Vorkämpfer der
Kirche tonnen also den Verdruß nicht verhehlen, daß dieselbe nicht ans einen
festeren Fels gegründet ist, als der Staat, mit andern Worten, daß sie nicht
katholisch find; sie kommen auch wohl von Zeit zu Zeit auf deu Gedanken, ob
es nicht, thunlich sei, die beiden Kirchen, die jetzt schon in dem gemeinsamen
Kampf gegen die Aufklärung und deren Consequenzen sich genähert haben, wiederum
zu verschmelzen, und sie begrüßen mit großer Frende einzelne Erscheinungen, in
denen etwas Nehnliehes angestrebt wird, z. B. das Auftreten der Jrvingianer in
England; aber einerseits ist der protestantische Geist, den sie nicht verleugnen
können, denn doch zu stark, als daß dergleichen Tendenzen über eine augenblick¬
liche Coguetterie hinausreichen könnten, andererseits sind die vornehmsten Träger
der Richtung — einzelne Generale, Geheimeräthe, Professoren, Grafen und Ba¬
rone, die eigentlich die christliche Gesinnung wie ein Prärogativ ihres Standes
der vulgären Aufklärung gegenüber betrachten, zu sehr an das Königthum ge¬
bunden, zu treu deu Traditionen ihrer Ahnen, als daß sie sich in ihrer Nach¬
giebigkeit zu weit nach Rom verirren sollten.

Die beiden Richtungen haben sich schon zur Zeit der Demaqogeuriccherei mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/451>, abgerufen am 22.07.2024.