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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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geläufigen Küchenlatein seine Thesis und die dazu gehörigen ^cklmoreulia mit der
Grazie und eingeschulten Mimik eines "goldenen Jungen". Seine Argumente
wurden zwar von einem aufgestellten Geguer heftig angegriffen, aber von
dem wohlgewaffneten Defcndcnten mit noch größerer Heftigkeit vertheidigt,
und auch hier, wie demdraclüi, bewährte sich das alte "boati possulvules"
vollkounnen, denn der "Defendent" ging immer siegreich ans dem Kampfe her¬
vor und wurde in der Elafsification unter die ""uüruzntl)8 v i'oimis" gesetzt.
Merkwürdig ist noch bei dieser Affaire die Divinationsgabe der Herren Professoren,
die schon zu Anfang des Semesters den künftigen Defendcnten von den übrigen
Studenten wie die Perle ans dem Sande herauszufinden und mit ihrer besondern
Huld zu beschenken wußten.

Werfen nur einen Blick auf die philosophischen Lehranstalten der Protestanten
in Ungarn, so finden wir zwar keinen befriedigenden, aber im Vergleich zu dein
obenbeschriebenen einen höchst erfreulichen Zustand; und sind es hauptsachlich diese
Lehranstalten, welche deu größten Einfluß auf die Geistesrichtung der ungarischen
Protestanten überhaupt üben und den Hauptmaßstab zur Beurtheilung jeuer Ideen
und Leidenschaften geben, welche in neuerer Zeit sich so stürmisch manifestirten, und
trotz des unglücklichen Ausganges dieser Manifestation und der seither angewandten
ErtödtuugSversuche uoch lange in diesem Lande herrschen dürften.

Die Protestanten Ungarns genossen bisher einer von Oestreich in blutigen
Kämpfen abgernngenen, und durch zahlreiche Tractate und Reichsgesetze garan-
tirten vollkommenen Unabhängigkeit ihrer Kirche nud Schule vom Staate. -- In
der Revolutionszeit, wo man glaubte, daß die Nothwendigkeit dieser Sonderstellung
mit der Errungenschaft eiuer nationalen, von den Einflüssen des Metternich'schen
Systems befreiten Regierung aufgehört habe, und man es sogar mit dem Princip
eines verantwortlichen Ministeriums für unverträglich erachtete, daß ein Theil der
Bevölkerung sein Schulwesen uach eigenem Gefallen einrichte und leite, wollte die
radicale Partei dieses alte Privilegium der Protestanten aufgehoben und für den
ganzen Staat ein gleiches ans liberale Principien gegründetes Schulwesen ein¬
geführt wissen; allein die Protestanten betrachteten die Unabhängigkeit ihrer Schule
selbst dem Ministerium Bathyani-Kossuth gegenüber als das uoli ins wngerk ihres
staatsbürgerlichen Lebens, und Baron Eötvös, der vielleicht schon damals an einer
glücklichen Lösung der ungarischen Verhältnisse verzweifelte, war nicht abgeneigt,
den Protestanten diese Concession zu macheu, und in dein Untcrrichtögesetz, welches
im Herbst 1.848 in der Nationalversammlung berathen wurde, wußte er, trotz dem
heftigen Widerstände der Linken, von dem historischen Rechte der Protestanten
soviel als möglich zu retten. Dieser Umstand dürfte auch für die Zukunft sehr
maßgebend sein, denn was die Protestanten in ihrer höchsten Begeisterung dem
Vaterlande verweigerten, dürfte selbst einem Haynan schwer werden, ihnen zu
entreißen. --


geläufigen Küchenlatein seine Thesis und die dazu gehörigen ^cklmoreulia mit der
Grazie und eingeschulten Mimik eines „goldenen Jungen". Seine Argumente
wurden zwar von einem aufgestellten Geguer heftig angegriffen, aber von
dem wohlgewaffneten Defcndcnten mit noch größerer Heftigkeit vertheidigt,
und auch hier, wie demdraclüi, bewährte sich das alte „boati possulvules"
vollkounnen, denn der „Defendent" ging immer siegreich ans dem Kampfe her¬
vor und wurde in der Elafsification unter die „«uüruzntl)8 v i'oimis" gesetzt.
Merkwürdig ist noch bei dieser Affaire die Divinationsgabe der Herren Professoren,
die schon zu Anfang des Semesters den künftigen Defendcnten von den übrigen
Studenten wie die Perle ans dem Sande herauszufinden und mit ihrer besondern
Huld zu beschenken wußten.

Werfen nur einen Blick auf die philosophischen Lehranstalten der Protestanten
in Ungarn, so finden wir zwar keinen befriedigenden, aber im Vergleich zu dein
obenbeschriebenen einen höchst erfreulichen Zustand; und sind es hauptsachlich diese
Lehranstalten, welche deu größten Einfluß auf die Geistesrichtung der ungarischen
Protestanten überhaupt üben und den Hauptmaßstab zur Beurtheilung jeuer Ideen
und Leidenschaften geben, welche in neuerer Zeit sich so stürmisch manifestirten, und
trotz des unglücklichen Ausganges dieser Manifestation und der seither angewandten
ErtödtuugSversuche uoch lange in diesem Lande herrschen dürften.

Die Protestanten Ungarns genossen bisher einer von Oestreich in blutigen
Kämpfen abgernngenen, und durch zahlreiche Tractate und Reichsgesetze garan-
tirten vollkommenen Unabhängigkeit ihrer Kirche nud Schule vom Staate. — In
der Revolutionszeit, wo man glaubte, daß die Nothwendigkeit dieser Sonderstellung
mit der Errungenschaft eiuer nationalen, von den Einflüssen des Metternich'schen
Systems befreiten Regierung aufgehört habe, und man es sogar mit dem Princip
eines verantwortlichen Ministeriums für unverträglich erachtete, daß ein Theil der
Bevölkerung sein Schulwesen uach eigenem Gefallen einrichte und leite, wollte die
radicale Partei dieses alte Privilegium der Protestanten aufgehoben und für den
ganzen Staat ein gleiches ans liberale Principien gegründetes Schulwesen ein¬
geführt wissen; allein die Protestanten betrachteten die Unabhängigkeit ihrer Schule
selbst dem Ministerium Bathyani-Kossuth gegenüber als das uoli ins wngerk ihres
staatsbürgerlichen Lebens, und Baron Eötvös, der vielleicht schon damals an einer
glücklichen Lösung der ungarischen Verhältnisse verzweifelte, war nicht abgeneigt,
den Protestanten diese Concession zu macheu, und in dein Untcrrichtögesetz, welches
im Herbst 1.848 in der Nationalversammlung berathen wurde, wußte er, trotz dem
heftigen Widerstände der Linken, von dem historischen Rechte der Protestanten
soviel als möglich zu retten. Dieser Umstand dürfte auch für die Zukunft sehr
maßgebend sein, denn was die Protestanten in ihrer höchsten Begeisterung dem
Vaterlande verweigerten, dürfte selbst einem Haynan schwer werden, ihnen zu
entreißen. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/428>, abgerufen am 22.07.2024.