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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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rischeu Erscheinung. Vor Allen: nicht selber den Schleier über das ernste, ver¬
steinernde Medusenhaupt werfen, um die Gefahr nicht zu sehen, die ihr droht.
Sonst konnte ihr der Ausruf Julian's des Apostaten: Dn hast gesiegt Gali-
,
^. .8. läer! in anderer Weise wahr werden, als sie meint.




Don In an Tenorio.



Religiös-phantastisches Drama von Don Jose- Zorrilla. Aus dem Spanischen
von H. de Wilde. Leipzig, Brockhaus.

Ehe wir an das Werk selbst gehen, eine Bemerkung über die Uebersetzung
spanischer Dramen. Herr de Wilde hat sich größere Freiheiten genommen, als
unsere Musterübersetzer Schlegel, Gries n. s, w., namentlich in Beziehung ans
den Neun nud die Assonanz. Mit Recht, nur ist er noch nicht weit genug ge-
gangen. Nimmt man dem vierfüßigen Trochäus die Assonanz, so verliert er
vollends alle Haltung. -- Die Assonanzen selbst sind aber darum im Deutschen
uicht anzuwenden, weil sie, namentlich die zweisylbigen, unsers abgeschwächten No-
caliömuö wegen, affectirt klingen, wenn mau sie überhaupt hören soll. Dieses
Versmaß ist einmal für uns Deutsche uicht gemacht, namentlich uicht im Dialog.
Der Trochäus herrscht bei unsern Wortfüßen vor, darum eben muß ihn der Bers
verbannen. Wenn man sich uicht entschließen will, was ich für das Beste hatte^
die wechselnden Rhytmen der spanischen Tragödie in unsern fünffüßigen Jambus
zu übertragen, so sollte man wenigstens die Lustspielsprachc der eingelegten Tro¬
chäen in Prosa geben. -- Wir gehn zu unserm Drama über.

Es ist interessant, zu beobachten, wie wenig sich im Wesen der Sache der
Geist der spanischen Poesie seit Calderon geändert hat, trotz des äußerlichen
Einflusses, den die französische Noniautik und mittelbar die deutsche darauf
ausgeübt haben. Die nächste Quelle des vorliegenden Stückes ist der Von ^uari
l>L von Alexander Dumas und dieser ist ebenso von E. T. A. Hoffmann

inspirirt worden, wie z. B. unser Grabbe. In einem Aussatz über die modernen
CharaktermaSteu (Grenzboten Heft 4t>) habe ich mich über diese romantische

Verbindung der zügellosen Genußsucht und des überspannten Idealismus näher aus¬
gelassen. Doch muß ich dabei bemerken, daß die romanischen Dichter, ihrer sinn-
lichen Natur wegen, nie den Idealismus so ins Unbestimmte, Universelle und My¬
stische treiben, wie wir es zu thun gewohnt find.

In dem Don Juan des Alexander Dumas wird der liebenswürdige Wüstling
durch eine Reihe schrecklicher, übersinnlicher Erscheinungen zu der Ueberzeugung
geführt, daß es eine Ewigkeit gebe, und daß er daher ans sein Seelenheil Bedacht
nehmen müsse. Er will Buße thun, wird Trappist, und erleidet voll Demuth


rischeu Erscheinung. Vor Allen: nicht selber den Schleier über das ernste, ver¬
steinernde Medusenhaupt werfen, um die Gefahr nicht zu sehen, die ihr droht.
Sonst konnte ihr der Ausruf Julian's des Apostaten: Dn hast gesiegt Gali-
,
^. .8. läer! in anderer Weise wahr werden, als sie meint.




Don In an Tenorio.



Religiös-phantastisches Drama von Don Jose- Zorrilla. Aus dem Spanischen
von H. de Wilde. Leipzig, Brockhaus.

Ehe wir an das Werk selbst gehen, eine Bemerkung über die Uebersetzung
spanischer Dramen. Herr de Wilde hat sich größere Freiheiten genommen, als
unsere Musterübersetzer Schlegel, Gries n. s, w., namentlich in Beziehung ans
den Neun nud die Assonanz. Mit Recht, nur ist er noch nicht weit genug ge-
gangen. Nimmt man dem vierfüßigen Trochäus die Assonanz, so verliert er
vollends alle Haltung. — Die Assonanzen selbst sind aber darum im Deutschen
uicht anzuwenden, weil sie, namentlich die zweisylbigen, unsers abgeschwächten No-
caliömuö wegen, affectirt klingen, wenn mau sie überhaupt hören soll. Dieses
Versmaß ist einmal für uns Deutsche uicht gemacht, namentlich uicht im Dialog.
Der Trochäus herrscht bei unsern Wortfüßen vor, darum eben muß ihn der Bers
verbannen. Wenn man sich uicht entschließen will, was ich für das Beste hatte^
die wechselnden Rhytmen der spanischen Tragödie in unsern fünffüßigen Jambus
zu übertragen, so sollte man wenigstens die Lustspielsprachc der eingelegten Tro¬
chäen in Prosa geben. — Wir gehn zu unserm Drama über.

Es ist interessant, zu beobachten, wie wenig sich im Wesen der Sache der
Geist der spanischen Poesie seit Calderon geändert hat, trotz des äußerlichen
Einflusses, den die französische Noniautik und mittelbar die deutsche darauf
ausgeübt haben. Die nächste Quelle des vorliegenden Stückes ist der Von ^uari
l>L von Alexander Dumas und dieser ist ebenso von E. T. A. Hoffmann

inspirirt worden, wie z. B. unser Grabbe. In einem Aussatz über die modernen
CharaktermaSteu (Grenzboten Heft 4t>) habe ich mich über diese romantische

Verbindung der zügellosen Genußsucht und des überspannten Idealismus näher aus¬
gelassen. Doch muß ich dabei bemerken, daß die romanischen Dichter, ihrer sinn-
lichen Natur wegen, nie den Idealismus so ins Unbestimmte, Universelle und My¬
stische treiben, wie wir es zu thun gewohnt find.

In dem Don Juan des Alexander Dumas wird der liebenswürdige Wüstling
durch eine Reihe schrecklicher, übersinnlicher Erscheinungen zu der Ueberzeugung
geführt, daß es eine Ewigkeit gebe, und daß er daher ans sein Seelenheil Bedacht
nehmen müsse. Er will Buße thun, wird Trappist, und erleidet voll Demuth


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[0421] rischeu Erscheinung. Vor Allen: nicht selber den Schleier über das ernste, ver¬ steinernde Medusenhaupt werfen, um die Gefahr nicht zu sehen, die ihr droht. Sonst konnte ihr der Ausruf Julian's des Apostaten: Dn hast gesiegt Gali- , ^. .8. läer! in anderer Weise wahr werden, als sie meint. Don In an Tenorio. Religiös-phantastisches Drama von Don Jose- Zorrilla. Aus dem Spanischen von H. de Wilde. Leipzig, Brockhaus. Ehe wir an das Werk selbst gehen, eine Bemerkung über die Uebersetzung spanischer Dramen. Herr de Wilde hat sich größere Freiheiten genommen, als unsere Musterübersetzer Schlegel, Gries n. s, w., namentlich in Beziehung ans den Neun nud die Assonanz. Mit Recht, nur ist er noch nicht weit genug ge- gangen. Nimmt man dem vierfüßigen Trochäus die Assonanz, so verliert er vollends alle Haltung. — Die Assonanzen selbst sind aber darum im Deutschen uicht anzuwenden, weil sie, namentlich die zweisylbigen, unsers abgeschwächten No- caliömuö wegen, affectirt klingen, wenn mau sie überhaupt hören soll. Dieses Versmaß ist einmal für uns Deutsche uicht gemacht, namentlich uicht im Dialog. Der Trochäus herrscht bei unsern Wortfüßen vor, darum eben muß ihn der Bers verbannen. Wenn man sich uicht entschließen will, was ich für das Beste hatte^ die wechselnden Rhytmen der spanischen Tragödie in unsern fünffüßigen Jambus zu übertragen, so sollte man wenigstens die Lustspielsprachc der eingelegten Tro¬ chäen in Prosa geben. — Wir gehn zu unserm Drama über. Es ist interessant, zu beobachten, wie wenig sich im Wesen der Sache der Geist der spanischen Poesie seit Calderon geändert hat, trotz des äußerlichen Einflusses, den die französische Noniautik und mittelbar die deutsche darauf ausgeübt haben. Die nächste Quelle des vorliegenden Stückes ist der Von ^uari l>L von Alexander Dumas und dieser ist ebenso von E. T. A. Hoffmann inspirirt worden, wie z. B. unser Grabbe. In einem Aussatz über die modernen CharaktermaSteu (Grenzboten Heft 4t>) habe ich mich über diese romantische Verbindung der zügellosen Genußsucht und des überspannten Idealismus näher aus¬ gelassen. Doch muß ich dabei bemerken, daß die romanischen Dichter, ihrer sinn- lichen Natur wegen, nie den Idealismus so ins Unbestimmte, Universelle und My¬ stische treiben, wie wir es zu thun gewohnt find. In dem Don Juan des Alexander Dumas wird der liebenswürdige Wüstling durch eine Reihe schrecklicher, übersinnlicher Erscheinungen zu der Ueberzeugung geführt, daß es eine Ewigkeit gebe, und daß er daher ans sein Seelenheil Bedacht nehmen müsse. Er will Buße thun, wird Trappist, und erleidet voll Demuth

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/421>, abgerufen am 22.07.2024.