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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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endend. -- Darum ist das Christenthum wesentlich und im wahren Sinne des
Worts romantisch. Die wahre Romantik ist nämlich der Zug des Herzens nach
dein Jenseits; der Drang und Trieb des Geistes nach der Zukunft, nach dein
Unendlichen des Ideals." --

Dieser Grundgedanke ist mit Geist durchgeführt "ud sowohl ans die Evan¬
gelien, insoweit sich in denselben die ursprünglichen Intentionen Jesu abspiegeln,
wie auf die christliche Geschichte angewendet worden.

Von meinem Standpunkt aus muß ich gegen diesen voreiligen Versuch
einer Versöhnung Protest einlegen. -- Hegel und seine nächsten Schüler haben
sich dadurch ein großes Verdienst erworben, daß sie in der großen welihistorischen
Erscheinung des Christenthums, welche die einseitige Aufklärung des 18. Jahr¬
hunderts mit unreifem Spott abzufertigen glaubte, deu ewig gegenwärtigen Geist
des menschlichen Gedankens wiedergefunden, und so die geistige Continuität der
Weltgeschichte wiederhergestellt haben. Aber darum ist das Verdienst der jüngeren
Philosophen, namentlich Strauß und Feuerbach, uicht geringer, daß sie ausgehend
von dem Gedanken der Einheit des Geistes, den Widerspruch in demselben, den
Widerspruch zwischen seiner ältern, naiven, religiösen Form, und seiner neuen,
autonomen, uoch viel scharfer aus Licht gestellt haben, als die französischen En¬
cyklopädisten; schärfer, weil sie sich nicht aus Einzelheiten einließen, sondern dem
Princip zu Leibe gingen.

Wie die Sachen jeht stehn, scheint es mir nöthiger, daß die Philosophie
kritisch verfährt -- d. h. daß sie den Widerspruch zwischen demjenigen. Geist, der
sich im Christenthum, und zwar in seinen sämmtlichen Metamorphosen, von Chri¬
stus an bis ans die neueste Theologie, geltend gemacht hat, und ihrem eigenen
Geist so scharf als möglich accentuirt, als daß sie sich auf Apologien einläßt.

Eine Apologie des Christenthums in dem Sinne, daß die christliche Idee
der "Sauerteig" der neuen Geschichte gewesen ist -- wobei man freilich nicht ver¬
gessen darf, daß die eigentlichen Stoffe der modernen Bildung, die germa¬
nischen. Nationalitäten und das restamirte heidnische Alterthum, uicht aus der
Messias>Jdee herzuleiten sind -- eine solche Apologie ist nicht mehr nöthig. Die
welthistorische Bedeutung des Christenthums kennt jetzt jedes Kind.

Eine Apologie aber des ChristeuihumS in, dem Sinne, daß wir in der
christlichen Idee unsere eigene Idee wiederfinden sollen, so wiederfinden, wie
sie in uns lebt, -- für wen soll sie sein? oder um mich krasser und wahrer aus-
zudrücken: wen wollen wir damit täuschen?

Allerdings ist das Wesen des Christenthums die Vorstellung eines unend¬
lichen Ideals und der Glaube an dasselbe. DaS ist in der vorliegende" Schrift
sehr schön im Einzelnen durchgeführt. Aber mit der bloßen formalen Kategorie
des Idealismus ist es uicht abgethan; es kommt daraus an, was man sich für
ieu Ideal vorstellt, und in welcher Art man daran glaubt.


endend. — Darum ist das Christenthum wesentlich und im wahren Sinne des
Worts romantisch. Die wahre Romantik ist nämlich der Zug des Herzens nach
dein Jenseits; der Drang und Trieb des Geistes nach der Zukunft, nach dein
Unendlichen des Ideals." —

Dieser Grundgedanke ist mit Geist durchgeführt »ud sowohl ans die Evan¬
gelien, insoweit sich in denselben die ursprünglichen Intentionen Jesu abspiegeln,
wie auf die christliche Geschichte angewendet worden.

Von meinem Standpunkt aus muß ich gegen diesen voreiligen Versuch
einer Versöhnung Protest einlegen. — Hegel und seine nächsten Schüler haben
sich dadurch ein großes Verdienst erworben, daß sie in der großen welihistorischen
Erscheinung des Christenthums, welche die einseitige Aufklärung des 18. Jahr¬
hunderts mit unreifem Spott abzufertigen glaubte, deu ewig gegenwärtigen Geist
des menschlichen Gedankens wiedergefunden, und so die geistige Continuität der
Weltgeschichte wiederhergestellt haben. Aber darum ist das Verdienst der jüngeren
Philosophen, namentlich Strauß und Feuerbach, uicht geringer, daß sie ausgehend
von dem Gedanken der Einheit des Geistes, den Widerspruch in demselben, den
Widerspruch zwischen seiner ältern, naiven, religiösen Form, und seiner neuen,
autonomen, uoch viel scharfer aus Licht gestellt haben, als die französischen En¬
cyklopädisten; schärfer, weil sie sich nicht aus Einzelheiten einließen, sondern dem
Princip zu Leibe gingen.

Wie die Sachen jeht stehn, scheint es mir nöthiger, daß die Philosophie
kritisch verfährt — d. h. daß sie den Widerspruch zwischen demjenigen. Geist, der
sich im Christenthum, und zwar in seinen sämmtlichen Metamorphosen, von Chri¬
stus an bis ans die neueste Theologie, geltend gemacht hat, und ihrem eigenen
Geist so scharf als möglich accentuirt, als daß sie sich auf Apologien einläßt.

Eine Apologie des Christenthums in dem Sinne, daß die christliche Idee
der „Sauerteig" der neuen Geschichte gewesen ist — wobei man freilich nicht ver¬
gessen darf, daß die eigentlichen Stoffe der modernen Bildung, die germa¬
nischen. Nationalitäten und das restamirte heidnische Alterthum, uicht aus der
Messias>Jdee herzuleiten sind — eine solche Apologie ist nicht mehr nöthig. Die
welthistorische Bedeutung des Christenthums kennt jetzt jedes Kind.

Eine Apologie aber des ChristeuihumS in, dem Sinne, daß wir in der
christlichen Idee unsere eigene Idee wiederfinden sollen, so wiederfinden, wie
sie in uns lebt, — für wen soll sie sein? oder um mich krasser und wahrer aus-
zudrücken: wen wollen wir damit täuschen?

Allerdings ist das Wesen des Christenthums die Vorstellung eines unend¬
lichen Ideals und der Glaube an dasselbe. DaS ist in der vorliegende» Schrift
sehr schön im Einzelnen durchgeführt. Aber mit der bloßen formalen Kategorie
des Idealismus ist es uicht abgethan; es kommt daraus an, was man sich für
ieu Ideal vorstellt, und in welcher Art man daran glaubt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/418>, abgerufen am 22.07.2024.