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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Bei uns in Sachsen ist es aber anders. Wir haben keine NevvlMion gehabt,
sondern die Modificationen d^r Verfassung von 18^1 sind ans vollkommen gesetz¬
liche Weise durch die Uebereinstiunnnng sämmtlicher legislativer Factoren beschlossen
)vordem. Der Staatsstreich deS Ministeriums rüttelt also an den alten, historischen
Grundvesten deö Staats. Wollte die Regierung einwenden, daß jene Veränderung
der Verfassung im Jahre 1848 nnter dem Einfluß der damals herrschenden Stim¬
mung zu Stande gekommen und darum ungültig sei, so mare auf diese Weise
jede Verfassung ungültig, denn jede kommt unter dem Einfluß irgend einer Stim¬
mung zu Stande.

Das Ministerium! hat wahrscheinlich geglaubt, durch das Zurückgehen auf den
alten Landtag von 1831 die NechiMaßigkeit ihres Verfahrens zu ergänzen. Es
hofft, weil sie das Personal des im Jahre 1858 aufgelöste". Landtags und seine
conservative Richtung kennt, von demselben unterstützt zu werden. Sie wird sich
darin irren, denn gerade dieser Landtag, dessen Mandat feierlich als erloschen
erklärt war, kann am wenigsten die Veränderung eines Grundgesetzes sanctioniren,
für das er mit seiner eignen Ehre einstehen muß. Ueberhaupt wird diesmal die
Opposition vou der conservativen Partei ausgehen, von der Partei, welche über¬
zeugt ist, daß das materielle Gedeihen eines Staates vou seiner sittlichen Integrität,
von seineu Rechtsverhältnissen abhängt.

Der demokratischen Partei gegenüber war der Zeitpunkt der Ordonnanzen
gut gewählt. Denn diese hat in ihrem Pessimismus so vollständig allen Halt und
alle Richtung verloren, und ist außerdem so entmuthigt, daß mit Ausnahme eines
unbestimmten Mnrreuö von dieser Seite nichts geschehen wird.

Die eonservaiive Partei ist mit der Negierung vollkommen darin einig, daß
das Wahlgesetz von 1858 schlecht ist; sie hätte ihr gern die Hand dazu geboten,
es auf gesetzlichem Wege zu verbessern. Wenn die Regierung die beiden
letzten Kammern als Grund anführt, daß ans gesetzlichem Wege keine Verbesserung
der Verfassung in conservativen Sinn zu erreichen war, so vergißt sie dabei, daß
die letzte Kammer bereits um 59 Procent conservativer war, als die erste, und daß
eine neue Wahl noch viel conservativer ausgefallen wäre, theils, weil die Abnei¬
gung gegen alles revolutionäre Wesen im Steigen ist, theils weil diejenige Frage,
die den Aosel der Zwietracht ins eonservaiive Lager warf -- die Frage über
das Maibüttduiß -- durch die letzten Ereignisse an Bedeutung wenigstens unend¬
lich verloren hat.

Die Regierung konnte also auf ganz gesetzlichem Wege das Ziel erreichen,
welches sie nun dnrch ihre Ungeduld verscherzen wird. Denn selbst wenn sich wider
Erwarten die in dem Landtag vou 1858 versammelten Individuen dazu ver-
stehn sollten, den Rechtsboden ebenso aufzugeben wie das Ministerium, so ist da¬
mit das Rechtsbewußtsein deS Volks, welches in Sachsen, trotz aller demokra¬
tischen Wühlereien, größer war als in irgend einem deutschen Staat, ans immer


Bei uns in Sachsen ist es aber anders. Wir haben keine NevvlMion gehabt,
sondern die Modificationen d^r Verfassung von 18^1 sind ans vollkommen gesetz¬
liche Weise durch die Uebereinstiunnnng sämmtlicher legislativer Factoren beschlossen
)vordem. Der Staatsstreich deS Ministeriums rüttelt also an den alten, historischen
Grundvesten deö Staats. Wollte die Regierung einwenden, daß jene Veränderung
der Verfassung im Jahre 1848 nnter dem Einfluß der damals herrschenden Stim¬
mung zu Stande gekommen und darum ungültig sei, so mare auf diese Weise
jede Verfassung ungültig, denn jede kommt unter dem Einfluß irgend einer Stim¬
mung zu Stande.

Das Ministerium! hat wahrscheinlich geglaubt, durch das Zurückgehen auf den
alten Landtag von 1831 die NechiMaßigkeit ihres Verfahrens zu ergänzen. Es
hofft, weil sie das Personal des im Jahre 1858 aufgelöste». Landtags und seine
conservative Richtung kennt, von demselben unterstützt zu werden. Sie wird sich
darin irren, denn gerade dieser Landtag, dessen Mandat feierlich als erloschen
erklärt war, kann am wenigsten die Veränderung eines Grundgesetzes sanctioniren,
für das er mit seiner eignen Ehre einstehen muß. Ueberhaupt wird diesmal die
Opposition vou der conservativen Partei ausgehen, von der Partei, welche über¬
zeugt ist, daß das materielle Gedeihen eines Staates vou seiner sittlichen Integrität,
von seineu Rechtsverhältnissen abhängt.

Der demokratischen Partei gegenüber war der Zeitpunkt der Ordonnanzen
gut gewählt. Denn diese hat in ihrem Pessimismus so vollständig allen Halt und
alle Richtung verloren, und ist außerdem so entmuthigt, daß mit Ausnahme eines
unbestimmten Mnrreuö von dieser Seite nichts geschehen wird.

Die eonservaiive Partei ist mit der Negierung vollkommen darin einig, daß
das Wahlgesetz von 1858 schlecht ist; sie hätte ihr gern die Hand dazu geboten,
es auf gesetzlichem Wege zu verbessern. Wenn die Regierung die beiden
letzten Kammern als Grund anführt, daß ans gesetzlichem Wege keine Verbesserung
der Verfassung in conservativen Sinn zu erreichen war, so vergißt sie dabei, daß
die letzte Kammer bereits um 59 Procent conservativer war, als die erste, und daß
eine neue Wahl noch viel conservativer ausgefallen wäre, theils, weil die Abnei¬
gung gegen alles revolutionäre Wesen im Steigen ist, theils weil diejenige Frage,
die den Aosel der Zwietracht ins eonservaiive Lager warf — die Frage über
das Maibüttduiß — durch die letzten Ereignisse an Bedeutung wenigstens unend¬
lich verloren hat.

Die Regierung konnte also auf ganz gesetzlichem Wege das Ziel erreichen,
welches sie nun dnrch ihre Ungeduld verscherzen wird. Denn selbst wenn sich wider
Erwarten die in dem Landtag vou 1858 versammelten Individuen dazu ver-
stehn sollten, den Rechtsboden ebenso aufzugeben wie das Ministerium, so ist da¬
mit das Rechtsbewußtsein deS Volks, welches in Sachsen, trotz aller demokra¬
tischen Wühlereien, größer war als in irgend einem deutschen Staat, ans immer


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[0410] Bei uns in Sachsen ist es aber anders. Wir haben keine NevvlMion gehabt, sondern die Modificationen d^r Verfassung von 18^1 sind ans vollkommen gesetz¬ liche Weise durch die Uebereinstiunnnng sämmtlicher legislativer Factoren beschlossen )vordem. Der Staatsstreich deS Ministeriums rüttelt also an den alten, historischen Grundvesten deö Staats. Wollte die Regierung einwenden, daß jene Veränderung der Verfassung im Jahre 1848 nnter dem Einfluß der damals herrschenden Stim¬ mung zu Stande gekommen und darum ungültig sei, so mare auf diese Weise jede Verfassung ungültig, denn jede kommt unter dem Einfluß irgend einer Stim¬ mung zu Stande. Das Ministerium! hat wahrscheinlich geglaubt, durch das Zurückgehen auf den alten Landtag von 1831 die NechiMaßigkeit ihres Verfahrens zu ergänzen. Es hofft, weil sie das Personal des im Jahre 1858 aufgelöste». Landtags und seine conservative Richtung kennt, von demselben unterstützt zu werden. Sie wird sich darin irren, denn gerade dieser Landtag, dessen Mandat feierlich als erloschen erklärt war, kann am wenigsten die Veränderung eines Grundgesetzes sanctioniren, für das er mit seiner eignen Ehre einstehen muß. Ueberhaupt wird diesmal die Opposition vou der conservativen Partei ausgehen, von der Partei, welche über¬ zeugt ist, daß das materielle Gedeihen eines Staates vou seiner sittlichen Integrität, von seineu Rechtsverhältnissen abhängt. Der demokratischen Partei gegenüber war der Zeitpunkt der Ordonnanzen gut gewählt. Denn diese hat in ihrem Pessimismus so vollständig allen Halt und alle Richtung verloren, und ist außerdem so entmuthigt, daß mit Ausnahme eines unbestimmten Mnrreuö von dieser Seite nichts geschehen wird. Die eonservaiive Partei ist mit der Negierung vollkommen darin einig, daß das Wahlgesetz von 1858 schlecht ist; sie hätte ihr gern die Hand dazu geboten, es auf gesetzlichem Wege zu verbessern. Wenn die Regierung die beiden letzten Kammern als Grund anführt, daß ans gesetzlichem Wege keine Verbesserung der Verfassung in conservativen Sinn zu erreichen war, so vergißt sie dabei, daß die letzte Kammer bereits um 59 Procent conservativer war, als die erste, und daß eine neue Wahl noch viel conservativer ausgefallen wäre, theils, weil die Abnei¬ gung gegen alles revolutionäre Wesen im Steigen ist, theils weil diejenige Frage, die den Aosel der Zwietracht ins eonservaiive Lager warf — die Frage über das Maibüttduiß — durch die letzten Ereignisse an Bedeutung wenigstens unend¬ lich verloren hat. Die Regierung konnte also auf ganz gesetzlichem Wege das Ziel erreichen, welches sie nun dnrch ihre Ungeduld verscherzen wird. Denn selbst wenn sich wider Erwarten die in dem Landtag vou 1858 versammelten Individuen dazu ver- stehn sollten, den Rechtsboden ebenso aufzugeben wie das Ministerium, so ist da¬ mit das Rechtsbewußtsein deS Volks, welches in Sachsen, trotz aller demokra¬ tischen Wühlereien, größer war als in irgend einem deutschen Staat, ans immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/410>, abgerufen am 25.08.2024.