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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Conflict zwischen Schulpflicht'und Liebe. Kr gibt sich Neala zu erkennen:
llachdem hier das erste Braminen-Vorurtheil überuniudeu ist, was ziemlich schnell
geschieht, fordert er sie auf, mit ihm zu entfliehen: auch hier Conflict zwischen
Tochterpflicht und Liebe. Endlich gibt sich der alte Paria als Mitglied eines
verfluchten Stammes zu ert'enner; er soll getödtet werden, da ruft Idamor: es
ist mein Vater! Nun wird über thu Gericht gehalten, nud er wird zum Tode
verurtheilt, eigentlich uicht ans religiösen Gründen, sondern weil der ehrgeizige
Priester sich eines gefährlichen Nebenbuhlers entledigen will. Er wird denn auch
wirtlich gesteinigt, aber die poetische Gerechtigkeit bleibt nicht ans: Neala erklärt
vor allein Volt, daß sie, obgleich eine Braminin, den Paria geliebt habe; sie
verläßt ihren Vater nud folgt dein Vater ihres Geliebten in die Wildniß. -- Die
Eharaktere sind höchst rationalistisch gehalten; weder der Vramine noch der
Paria hat ein specifisches Vranium- oder Pariagefühl, der eine ist der ehrgeizige
Heuchler, der Andere leidet unter einem lediglich äußern Conflict. Die ganze
Trennung der Racen wird uns als We, ac.coal>U vctrvyirt; wir erleben sie nicht,
wir empfinden sie nicht, es ist ein Rechenexempel mit gleichgültiger Voraussetzung.
Höchstens im Charakter der Neala ist der schwache Versuch gemacht, den äußer¬
lichen Widerspruch auch im Innern nachzubilden. Im Uebrigen ist die ganze
Handlung nur Ereignis).

Die Prinzessin Aurelie (1828) ist eine Conivaia elc- oiiM ? LSMdc,.,
wie die spanischen. Eine junge Fürstin liebt einen jungen Cavalier, ihren Unter¬
than; um ihn zu heirathen, bedarf sie mich dem Testament ihres Vaters der
Einwilligung ihrer drei Vormünder. Sie weiß diese dadurch zu erschleichen, daß
sie sich stellt, sie wolle eiuen voll ihnen mit ihrer Hand beglücken. -- Die drei
Vormünder sind drei altfranzösische Lustspielftgnreu, Personificationen einer be¬
stimmten lächerlichen Eigenschaft lind ganz earrieirt gehalten, dagegen würden die
Prinzessin und ihr Liebhaber unter die besseren Figuren der Calderon'schen Jntri-
guenstncke gezählt werdeii können, und in einigem Nebenpersonen, z. V. der Bea¬
trix, weht sogar schon hiu und wieder eiwas von der neufranzösischen Frivolität.
Es ist. eine Salousigur, die sich so wenig an die gewöhnlichen Regeln der Sen¬
timentalität bindet, daß sie fast naiv zu nennen ist. --

Marino Falieri (1829) ist unter dem entschiednen Einfluß deö Byron-
sehen Stückes geschrieben, er ist aber in jeder Beziehung eine Ve>schlechterung.
Es gehörte alle Kraft und Jntensivität des Byron'scheu Empfindens dazu, um
diesen bis zur Lächerlichkeit ekelhaften Stoff genießbar zu machen. Ein alter Fürst,
der über eine Beleidigung so außer sich geräth, daß er sich mit dem Pöbel in eine
Verschwörung einläßt, um den gesamniten Adel umzubringen, ist kein Held für
das Drama. Ware er nicht ein so gefährlicher Staatsverbrecher, so gehörte er
ins Irrenhaus. Bei Byron vergißt man das während der Lektüre, so wird man
von der leidenschaftlichen Spannung hingerissen. -- Delavigne hat mehrere Züge


Gvcnzbotcn. II, I"so. 48

Conflict zwischen Schulpflicht'und Liebe. Kr gibt sich Neala zu erkennen:
llachdem hier das erste Braminen-Vorurtheil überuniudeu ist, was ziemlich schnell
geschieht, fordert er sie auf, mit ihm zu entfliehen: auch hier Conflict zwischen
Tochterpflicht und Liebe. Endlich gibt sich der alte Paria als Mitglied eines
verfluchten Stammes zu ert'enner; er soll getödtet werden, da ruft Idamor: es
ist mein Vater! Nun wird über thu Gericht gehalten, nud er wird zum Tode
verurtheilt, eigentlich uicht ans religiösen Gründen, sondern weil der ehrgeizige
Priester sich eines gefährlichen Nebenbuhlers entledigen will. Er wird denn auch
wirtlich gesteinigt, aber die poetische Gerechtigkeit bleibt nicht ans: Neala erklärt
vor allein Volt, daß sie, obgleich eine Braminin, den Paria geliebt habe; sie
verläßt ihren Vater nud folgt dein Vater ihres Geliebten in die Wildniß. — Die
Eharaktere sind höchst rationalistisch gehalten; weder der Vramine noch der
Paria hat ein specifisches Vranium- oder Pariagefühl, der eine ist der ehrgeizige
Heuchler, der Andere leidet unter einem lediglich äußern Conflict. Die ganze
Trennung der Racen wird uns als We, ac.coal>U vctrvyirt; wir erleben sie nicht,
wir empfinden sie nicht, es ist ein Rechenexempel mit gleichgültiger Voraussetzung.
Höchstens im Charakter der Neala ist der schwache Versuch gemacht, den äußer¬
lichen Widerspruch auch im Innern nachzubilden. Im Uebrigen ist die ganze
Handlung nur Ereignis).

Die Prinzessin Aurelie (1828) ist eine Conivaia elc- oiiM ? LSMdc,.,
wie die spanischen. Eine junge Fürstin liebt einen jungen Cavalier, ihren Unter¬
than; um ihn zu heirathen, bedarf sie mich dem Testament ihres Vaters der
Einwilligung ihrer drei Vormünder. Sie weiß diese dadurch zu erschleichen, daß
sie sich stellt, sie wolle eiuen voll ihnen mit ihrer Hand beglücken. — Die drei
Vormünder sind drei altfranzösische Lustspielftgnreu, Personificationen einer be¬
stimmten lächerlichen Eigenschaft lind ganz earrieirt gehalten, dagegen würden die
Prinzessin und ihr Liebhaber unter die besseren Figuren der Calderon'schen Jntri-
guenstncke gezählt werdeii können, und in einigem Nebenpersonen, z. V. der Bea¬
trix, weht sogar schon hiu und wieder eiwas von der neufranzösischen Frivolität.
Es ist. eine Salousigur, die sich so wenig an die gewöhnlichen Regeln der Sen¬
timentalität bindet, daß sie fast naiv zu nennen ist. —

Marino Falieri (1829) ist unter dem entschiednen Einfluß deö Byron-
sehen Stückes geschrieben, er ist aber in jeder Beziehung eine Ve>schlechterung.
Es gehörte alle Kraft und Jntensivität des Byron'scheu Empfindens dazu, um
diesen bis zur Lächerlichkeit ekelhaften Stoff genießbar zu machen. Ein alter Fürst,
der über eine Beleidigung so außer sich geräth, daß er sich mit dem Pöbel in eine
Verschwörung einläßt, um den gesamniten Adel umzubringen, ist kein Held für
das Drama. Ware er nicht ein so gefährlicher Staatsverbrecher, so gehörte er
ins Irrenhaus. Bei Byron vergißt man das während der Lektüre, so wird man
von der leidenschaftlichen Spannung hingerissen. — Delavigne hat mehrere Züge


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[0385] Conflict zwischen Schulpflicht'und Liebe. Kr gibt sich Neala zu erkennen: llachdem hier das erste Braminen-Vorurtheil überuniudeu ist, was ziemlich schnell geschieht, fordert er sie auf, mit ihm zu entfliehen: auch hier Conflict zwischen Tochterpflicht und Liebe. Endlich gibt sich der alte Paria als Mitglied eines verfluchten Stammes zu ert'enner; er soll getödtet werden, da ruft Idamor: es ist mein Vater! Nun wird über thu Gericht gehalten, nud er wird zum Tode verurtheilt, eigentlich uicht ans religiösen Gründen, sondern weil der ehrgeizige Priester sich eines gefährlichen Nebenbuhlers entledigen will. Er wird denn auch wirtlich gesteinigt, aber die poetische Gerechtigkeit bleibt nicht ans: Neala erklärt vor allein Volt, daß sie, obgleich eine Braminin, den Paria geliebt habe; sie verläßt ihren Vater nud folgt dein Vater ihres Geliebten in die Wildniß. — Die Eharaktere sind höchst rationalistisch gehalten; weder der Vramine noch der Paria hat ein specifisches Vranium- oder Pariagefühl, der eine ist der ehrgeizige Heuchler, der Andere leidet unter einem lediglich äußern Conflict. Die ganze Trennung der Racen wird uns als We, ac.coal>U vctrvyirt; wir erleben sie nicht, wir empfinden sie nicht, es ist ein Rechenexempel mit gleichgültiger Voraussetzung. Höchstens im Charakter der Neala ist der schwache Versuch gemacht, den äußer¬ lichen Widerspruch auch im Innern nachzubilden. Im Uebrigen ist die ganze Handlung nur Ereignis). Die Prinzessin Aurelie (1828) ist eine Conivaia elc- oiiM ? LSMdc,., wie die spanischen. Eine junge Fürstin liebt einen jungen Cavalier, ihren Unter¬ than; um ihn zu heirathen, bedarf sie mich dem Testament ihres Vaters der Einwilligung ihrer drei Vormünder. Sie weiß diese dadurch zu erschleichen, daß sie sich stellt, sie wolle eiuen voll ihnen mit ihrer Hand beglücken. — Die drei Vormünder sind drei altfranzösische Lustspielftgnreu, Personificationen einer be¬ stimmten lächerlichen Eigenschaft lind ganz earrieirt gehalten, dagegen würden die Prinzessin und ihr Liebhaber unter die besseren Figuren der Calderon'schen Jntri- guenstncke gezählt werdeii können, und in einigem Nebenpersonen, z. V. der Bea¬ trix, weht sogar schon hiu und wieder eiwas von der neufranzösischen Frivolität. Es ist. eine Salousigur, die sich so wenig an die gewöhnlichen Regeln der Sen¬ timentalität bindet, daß sie fast naiv zu nennen ist. — Marino Falieri (1829) ist unter dem entschiednen Einfluß deö Byron- sehen Stückes geschrieben, er ist aber in jeder Beziehung eine Ve>schlechterung. Es gehörte alle Kraft und Jntensivität des Byron'scheu Empfindens dazu, um diesen bis zur Lächerlichkeit ekelhaften Stoff genießbar zu machen. Ein alter Fürst, der über eine Beleidigung so außer sich geräth, daß er sich mit dem Pöbel in eine Verschwörung einläßt, um den gesamniten Adel umzubringen, ist kein Held für das Drama. Ware er nicht ein so gefährlicher Staatsverbrecher, so gehörte er ins Irrenhaus. Bei Byron vergißt man das während der Lektüre, so wird man von der leidenschaftlichen Spannung hingerissen. — Delavigne hat mehrere Züge Gvcnzbotcn. II, I»so. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/385>, abgerufen am 03.07.2024.