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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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hinter den unbestimmten Phrasen der Demokratie eine Drohung suchen will, so
ist es die eiuer neuen Jnsurrection. -- Ferner sind die Angriffe gegen einzelne
Personen in den letzten Jahren so stark und allgemein geworden, daß die Mörder
viel zu thun hätten, wenn sie alle angeblichen Feinde des Volles umbringen
wollten. Gegen Windischgrätz, Haynan, Manteuffel n. s. w., die wenigstens
mit demselben Haß verfolgt wurden, alö König Friedrich Wilhelm, ist kein Mord?
versuch unternommen. --

Wenn ich also die Beschuldigung, die Demokratie sei der intellectuelle Ur¬
heber jenes Verbrechens, als völlig unbegründet zurückweisen muß, so sällt es
mir doch nicht ein, jene That isoliren, sie von einer höchst verderblichen Richtung
der Zeit trennen zu wollen. Das politische Verbrechen ist darum schlimmer, als
das Privatverbrechcn, weil eS die Begriffe des Guten und Bösen vermischt, weil
es im Namen Gottes den Teufel anruft. Go ist der Ausdruck einer Zeit, in
deren sittlichen Begriffen eine Zersetzung vorgeht.

Diese verderbliche Richtung finde ich in zwei Umstanden: einmal in der Unter¬
drückung des NechtögcfüblS dnrch Gründe politischer Zweckmäßigkeit; sodann in
der grob materiellen Weise, wie man das Königthum auffaßt. -- In beiden ist
die Demokratie mitschuldig, aber um nichts mehr, als die Reaction.

Wer hat den jesuitischen Grundsatz: der Zweck heiligt die Mittel; in kriti¬
schen Zeiten hilft nur eine rettende That, die sich über das positive Recht
hinwegsetzt, wer hat diesen Grundsatz lauter gepredigt und zur Anwendung ge¬
bracht? die Demokratie oder die Reaction? -- Wer hat die Blutgier des fana-
tisirten, bewaffneten oder unbewaffneten Pöbels gegen den politischen Gegner
boshafter geschart? Die neue Rheinische oder die neue Preußische? -- Wer hat
die Rechtlosigkeit des politischen Gegners, und damit seiue Nothwendigkeit, sich
in der Sphäre des Unrechts, des Verbrechens zu bewegen, brutaler proclamirt?
das Organ Robert Blum'ö oder das Organ des Herrn vou Gerlach?

Allerdings gibt die deutsche Presse seit drei Jahren ein klägliches Bild
sittlicher Deprvvation. Aber in der gall'.en Presse gibt es kein Blatt, das an
qnalisieirter Gemeinheit mit der Verfechterin des christlichen Staats und der Le¬
gitimität wetteifern könnte. Aehnlich wie tilgen Sue, bewegt sich der Zuschauer
der Kreu^ eitnng nur in Bordellen, Diebsherbergen, Spelunken nächtlicher Un¬
that, schlechte Kneipen; er redet ihre Sprache, denkt in ihrem Gesichtskreise,
empfindet in ihren Vorstellungen; angeblich, "in seiue Geguer darin zu suchen,
in der That aber aus innerer Neigung und Sympathie.

Die 'Aristokratie, deren Hauptlectüre dieses Blatt bildet, hat keinen Grund,
sich über die Zoten, die Unflätigkeiten und die Verruchtheit der französischen Ro¬
mantik zu beschweren. An dem schmutzigsten Ort von Paris würde man ihr Or¬
gan mit Ekel und Verachtung nnter die Füße werfen.

So lange unsere sittliche Bildung nicht höher steht, darf uns anch das nner-


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hinter den unbestimmten Phrasen der Demokratie eine Drohung suchen will, so
ist es die eiuer neuen Jnsurrection. — Ferner sind die Angriffe gegen einzelne
Personen in den letzten Jahren so stark und allgemein geworden, daß die Mörder
viel zu thun hätten, wenn sie alle angeblichen Feinde des Volles umbringen
wollten. Gegen Windischgrätz, Haynan, Manteuffel n. s. w., die wenigstens
mit demselben Haß verfolgt wurden, alö König Friedrich Wilhelm, ist kein Mord?
versuch unternommen. —

Wenn ich also die Beschuldigung, die Demokratie sei der intellectuelle Ur¬
heber jenes Verbrechens, als völlig unbegründet zurückweisen muß, so sällt es
mir doch nicht ein, jene That isoliren, sie von einer höchst verderblichen Richtung
der Zeit trennen zu wollen. Das politische Verbrechen ist darum schlimmer, als
das Privatverbrechcn, weil eS die Begriffe des Guten und Bösen vermischt, weil
es im Namen Gottes den Teufel anruft. Go ist der Ausdruck einer Zeit, in
deren sittlichen Begriffen eine Zersetzung vorgeht.

Diese verderbliche Richtung finde ich in zwei Umstanden: einmal in der Unter¬
drückung des NechtögcfüblS dnrch Gründe politischer Zweckmäßigkeit; sodann in
der grob materiellen Weise, wie man das Königthum auffaßt. — In beiden ist
die Demokratie mitschuldig, aber um nichts mehr, als die Reaction.

Wer hat den jesuitischen Grundsatz: der Zweck heiligt die Mittel; in kriti¬
schen Zeiten hilft nur eine rettende That, die sich über das positive Recht
hinwegsetzt, wer hat diesen Grundsatz lauter gepredigt und zur Anwendung ge¬
bracht? die Demokratie oder die Reaction? — Wer hat die Blutgier des fana-
tisirten, bewaffneten oder unbewaffneten Pöbels gegen den politischen Gegner
boshafter geschart? Die neue Rheinische oder die neue Preußische? — Wer hat
die Rechtlosigkeit des politischen Gegners, und damit seiue Nothwendigkeit, sich
in der Sphäre des Unrechts, des Verbrechens zu bewegen, brutaler proclamirt?
das Organ Robert Blum'ö oder das Organ des Herrn vou Gerlach?

Allerdings gibt die deutsche Presse seit drei Jahren ein klägliches Bild
sittlicher Deprvvation. Aber in der gall'.en Presse gibt es kein Blatt, das an
qnalisieirter Gemeinheit mit der Verfechterin des christlichen Staats und der Le¬
gitimität wetteifern könnte. Aehnlich wie tilgen Sue, bewegt sich der Zuschauer
der Kreu^ eitnng nur in Bordellen, Diebsherbergen, Spelunken nächtlicher Un¬
that, schlechte Kneipen; er redet ihre Sprache, denkt in ihrem Gesichtskreise,
empfindet in ihren Vorstellungen; angeblich, »in seiue Geguer darin zu suchen,
in der That aber aus innerer Neigung und Sympathie.

Die 'Aristokratie, deren Hauptlectüre dieses Blatt bildet, hat keinen Grund,
sich über die Zoten, die Unflätigkeiten und die Verruchtheit der französischen Ro¬
mantik zu beschweren. An dem schmutzigsten Ort von Paris würde man ihr Or¬
gan mit Ekel und Verachtung nnter die Füße werfen.

So lange unsere sittliche Bildung nicht höher steht, darf uns anch das nner-


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[0371] hinter den unbestimmten Phrasen der Demokratie eine Drohung suchen will, so ist es die eiuer neuen Jnsurrection. — Ferner sind die Angriffe gegen einzelne Personen in den letzten Jahren so stark und allgemein geworden, daß die Mörder viel zu thun hätten, wenn sie alle angeblichen Feinde des Volles umbringen wollten. Gegen Windischgrätz, Haynan, Manteuffel n. s. w., die wenigstens mit demselben Haß verfolgt wurden, alö König Friedrich Wilhelm, ist kein Mord? versuch unternommen. — Wenn ich also die Beschuldigung, die Demokratie sei der intellectuelle Ur¬ heber jenes Verbrechens, als völlig unbegründet zurückweisen muß, so sällt es mir doch nicht ein, jene That isoliren, sie von einer höchst verderblichen Richtung der Zeit trennen zu wollen. Das politische Verbrechen ist darum schlimmer, als das Privatverbrechcn, weil eS die Begriffe des Guten und Bösen vermischt, weil es im Namen Gottes den Teufel anruft. Go ist der Ausdruck einer Zeit, in deren sittlichen Begriffen eine Zersetzung vorgeht. Diese verderbliche Richtung finde ich in zwei Umstanden: einmal in der Unter¬ drückung des NechtögcfüblS dnrch Gründe politischer Zweckmäßigkeit; sodann in der grob materiellen Weise, wie man das Königthum auffaßt. — In beiden ist die Demokratie mitschuldig, aber um nichts mehr, als die Reaction. Wer hat den jesuitischen Grundsatz: der Zweck heiligt die Mittel; in kriti¬ schen Zeiten hilft nur eine rettende That, die sich über das positive Recht hinwegsetzt, wer hat diesen Grundsatz lauter gepredigt und zur Anwendung ge¬ bracht? die Demokratie oder die Reaction? — Wer hat die Blutgier des fana- tisirten, bewaffneten oder unbewaffneten Pöbels gegen den politischen Gegner boshafter geschart? Die neue Rheinische oder die neue Preußische? — Wer hat die Rechtlosigkeit des politischen Gegners, und damit seiue Nothwendigkeit, sich in der Sphäre des Unrechts, des Verbrechens zu bewegen, brutaler proclamirt? das Organ Robert Blum'ö oder das Organ des Herrn vou Gerlach? Allerdings gibt die deutsche Presse seit drei Jahren ein klägliches Bild sittlicher Deprvvation. Aber in der gall'.en Presse gibt es kein Blatt, das an qnalisieirter Gemeinheit mit der Verfechterin des christlichen Staats und der Le¬ gitimität wetteifern könnte. Aehnlich wie tilgen Sue, bewegt sich der Zuschauer der Kreu^ eitnng nur in Bordellen, Diebsherbergen, Spelunken nächtlicher Un¬ that, schlechte Kneipen; er redet ihre Sprache, denkt in ihrem Gesichtskreise, empfindet in ihren Vorstellungen; angeblich, »in seiue Geguer darin zu suchen, in der That aber aus innerer Neigung und Sympathie. Die 'Aristokratie, deren Hauptlectüre dieses Blatt bildet, hat keinen Grund, sich über die Zoten, die Unflätigkeiten und die Verruchtheit der französischen Ro¬ mantik zu beschweren. An dem schmutzigsten Ort von Paris würde man ihr Or¬ gan mit Ekel und Verachtung nnter die Füße werfen. So lange unsere sittliche Bildung nicht höher steht, darf uns anch das nner- 46*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/371>, abgerufen am 22.07.2024.