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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Das Attentat auf den König von Preußen.



Als es in England vorkam, daß ein hirnverbranntes Individuum einen
Mordanfall gegen die Königin unternahm, freute man sich über die Rettung der
Fürstin und überlieferte den blenden so schnell als möglich den Gerichten, resp,
dem Irrenhaus, an sich den Gedanken an die widerliche Begebenheit so schnell
als möglich aus dem Sinn zu schlage". Dagegen verfehlte man in Frankreich
uicht, bei jedem neuen Attentat auf Louis Philipp ein Zetergeschrei gegen die
Verderbnis; der Zeit zu erheben, und das Verbrechen eines Einzelnen zu Ma߬
regeln gegen die Freiheit der Nation zu benutzen.

Unsere conservative Partei versichert, eine große Vorliebe für England und
eine große Verachtung gegen Frankreich zu hegen. In der Praxis macht sich
diese Stimmung uicht sonderlich geltend. Wir sind nur zu geneigt, die schlechten,
jesuitischen Maßregeln der französischen Politik blindlings nachzuahmen, -sobald
sie uur deu Anschein einer gewissen Energie haben. So haben bei dem neulichen
Mordanfall auf deu König unsere reactwuäreu Blätter nicht verfehlt, mit wahr¬
haft französischen Declinationen das Verbrechen eines Einzelnen dem Zeitgeiste
zu impntiren.

Bei einer abnormen That liegt es eigentlich in der Natur der Sache, in
der abnormen Geistesrichtung deö Thäters die Erklärung zu suche". Es ist vor¬
gekommen, daß el" Vater seine sämmtlichen Kinder umgebracht, daß der Sohn
seinen Vater erstochen hat; in solchen Fällen hat sich Niemand einfallen lassen,
den Zeitgeist deö Vatermvrdeö zu bezüchtigen.

Jetzt soll die Demokratie die Schuld deö Köuigsmordes tragen. Als ein¬
ziger Beweis wird angeführt, daß der Tlmler ausgerufen haben soll: Es lebe
die Freiheit! -- Als ob die Idee der Freiheit eine Erfindung der Demokratie
wäre!

Die demokratischen Blätter und die demokratischen Clubs haben allerdings
viel schädliche Doctrinen verbreitet, namentlich in den Zeiten, wo sie eine Macht
im Staate waren -- im Sommer 1848. Die Septemberscenen in Frankfurt
konnte ,nan mit Recht der Demokratie im '>tirer, denn damals hatten die demo-


Grcnzbotcn II, 185". 46
Das Attentat auf den König von Preußen.



Als es in England vorkam, daß ein hirnverbranntes Individuum einen
Mordanfall gegen die Königin unternahm, freute man sich über die Rettung der
Fürstin und überlieferte den blenden so schnell als möglich den Gerichten, resp,
dem Irrenhaus, an sich den Gedanken an die widerliche Begebenheit so schnell
als möglich aus dem Sinn zu schlage». Dagegen verfehlte man in Frankreich
uicht, bei jedem neuen Attentat auf Louis Philipp ein Zetergeschrei gegen die
Verderbnis; der Zeit zu erheben, und das Verbrechen eines Einzelnen zu Ma߬
regeln gegen die Freiheit der Nation zu benutzen.

Unsere conservative Partei versichert, eine große Vorliebe für England und
eine große Verachtung gegen Frankreich zu hegen. In der Praxis macht sich
diese Stimmung uicht sonderlich geltend. Wir sind nur zu geneigt, die schlechten,
jesuitischen Maßregeln der französischen Politik blindlings nachzuahmen, -sobald
sie uur deu Anschein einer gewissen Energie haben. So haben bei dem neulichen
Mordanfall auf deu König unsere reactwuäreu Blätter nicht verfehlt, mit wahr¬
haft französischen Declinationen das Verbrechen eines Einzelnen dem Zeitgeiste
zu impntiren.

Bei einer abnormen That liegt es eigentlich in der Natur der Sache, in
der abnormen Geistesrichtung deö Thäters die Erklärung zu suche». Es ist vor¬
gekommen, daß el» Vater seine sämmtlichen Kinder umgebracht, daß der Sohn
seinen Vater erstochen hat; in solchen Fällen hat sich Niemand einfallen lassen,
den Zeitgeist deö Vatermvrdeö zu bezüchtigen.

Jetzt soll die Demokratie die Schuld deö Köuigsmordes tragen. Als ein¬
ziger Beweis wird angeführt, daß der Tlmler ausgerufen haben soll: Es lebe
die Freiheit! — Als ob die Idee der Freiheit eine Erfindung der Demokratie
wäre!

Die demokratischen Blätter und die demokratischen Clubs haben allerdings
viel schädliche Doctrinen verbreitet, namentlich in den Zeiten, wo sie eine Macht
im Staate waren — im Sommer 1848. Die Septemberscenen in Frankfurt
konnte ,nan mit Recht der Demokratie im '>tirer, denn damals hatten die demo-


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[0369] Das Attentat auf den König von Preußen. Als es in England vorkam, daß ein hirnverbranntes Individuum einen Mordanfall gegen die Königin unternahm, freute man sich über die Rettung der Fürstin und überlieferte den blenden so schnell als möglich den Gerichten, resp, dem Irrenhaus, an sich den Gedanken an die widerliche Begebenheit so schnell als möglich aus dem Sinn zu schlage». Dagegen verfehlte man in Frankreich uicht, bei jedem neuen Attentat auf Louis Philipp ein Zetergeschrei gegen die Verderbnis; der Zeit zu erheben, und das Verbrechen eines Einzelnen zu Ma߬ regeln gegen die Freiheit der Nation zu benutzen. Unsere conservative Partei versichert, eine große Vorliebe für England und eine große Verachtung gegen Frankreich zu hegen. In der Praxis macht sich diese Stimmung uicht sonderlich geltend. Wir sind nur zu geneigt, die schlechten, jesuitischen Maßregeln der französischen Politik blindlings nachzuahmen, -sobald sie uur deu Anschein einer gewissen Energie haben. So haben bei dem neulichen Mordanfall auf deu König unsere reactwuäreu Blätter nicht verfehlt, mit wahr¬ haft französischen Declinationen das Verbrechen eines Einzelnen dem Zeitgeiste zu impntiren. Bei einer abnormen That liegt es eigentlich in der Natur der Sache, in der abnormen Geistesrichtung deö Thäters die Erklärung zu suche». Es ist vor¬ gekommen, daß el» Vater seine sämmtlichen Kinder umgebracht, daß der Sohn seinen Vater erstochen hat; in solchen Fällen hat sich Niemand einfallen lassen, den Zeitgeist deö Vatermvrdeö zu bezüchtigen. Jetzt soll die Demokratie die Schuld deö Köuigsmordes tragen. Als ein¬ ziger Beweis wird angeführt, daß der Tlmler ausgerufen haben soll: Es lebe die Freiheit! — Als ob die Idee der Freiheit eine Erfindung der Demokratie wäre! Die demokratischen Blätter und die demokratischen Clubs haben allerdings viel schädliche Doctrinen verbreitet, namentlich in den Zeiten, wo sie eine Macht im Staate waren — im Sommer 1848. Die Septemberscenen in Frankfurt konnte ,nan mit Recht der Demokratie im '>tirer, denn damals hatten die demo- Grcnzbotcn II, 185». 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/369>, abgerufen am 22.07.2024.