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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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"O ja," antwortete Miearcscu. "Aber ich hatte Alles dem Oberanführer
erzählt, und weil ich in meinem Tribus Ansehen genoß, fürchtete er meine Macht
mehr, als diejenige des Präfecten. So blieb ich unangetastet. Aber seither ver¬
dächtigen sie mich überall als Magyarenfrcnnd, und warten nur ans eine Ge¬
legenheit, mich festzunehmen ohne Aussehen zu erregen."

Unterdeß waren die Reisenden in der Nähe Enyedö angekommen. Bald
rollte der Wagen langsam über das schlechte Pflaster der Vorstadt. Vor einem
Wirthshause ward angehalten. Die Männer wünschten sich gegenseitig gute Nacht.
Miearescn versprach, im Laufe des folgenden Tages seinen Schützling zu besuchen,
und dieser schlug den wohlbekannten Weg, neben den Weinbergen vorbei über
den Bach in den Karten der Wittwe ein. Vorsichtig trat er in den Hof, wo der
weiße zottige Wolfshund ihn erkannte und liebkosend an ihm aufsprang. Dann
weckte er den Knecht AndriS im Stalle, bedeutete ihn zu schweigen, und als er
hörte, daß beide Frauen zwar gesund, das Fräulein aber sehr niedergeschlagen
sei, wagte er fast nicht, sie wecken zu lassen, um nicht dnrch zu plötzliche Freude
das arme Kind zu erschrecken. Er wählte daher ein stilles Plätzchen in einer
Kammer des Hofgesindes, hüllte sich in seinen Mantel und schlief bald fest ein.

In der Frühe des andern Tages war der treue Andris vor die Matrone
getreten und hatte sie von der Anwesenheit Oedöns unterrichtet. Der bald wei¬
nende , bald lachende Knecht mußte den Wegweiser machen und die Stätte zeigen,
wo Oedön schlief. Hinter einem Wagen, in dunkler verschwiegener Ecke lag er.
Der Knecht wies mit dem Finger hin und schlich sich davon. Ilona lief eilig
voran ans den Zehen, beugte sich nieder und küßte den Jüngling. Da glitt ein
Lächeln über seine Züge, aber er erwachte noch nicht. "Oedön, mein lieber Sohn!"
rief die Matrone. Der Bergmann sprang ans, rieb sich die Augen und stürzte
in die Arme seiner Braut. --


l>.

Viel gab eS zu erzählen von beiden Seiten. Die Erlebnisse der beiden
Frauen waren einfacher, obwohl nicht weniger ernst. Sie hatten von den zwei
Offizieren nach Oedöns Flucht manches harte Wort hören müssen, und es fehlte
auch nicht an Drohungen gegen die Matrone, deren essriger Sinn sich nie ver¬
leugnete.

An Hab und Gut hatten die Frauen viel verloren. War doch von den einzie¬
henden Feinden hart geplündert worden, wobei sich die Sachsen ans dem Her-
mannstädter und Mühlbacher Kreise durch umsichtige" Fleiß und Gründlichkeit
auszeichneten. In Voraussicht der Erlaubniß, oder wenigstens des Nichtverbotcs
der Plünderung hatten die bedächtigen Sachsen viele Wagen voll Hanse mitge¬
bracht, auf welche sie das Geraubte, besonders Bettzeug und Möbel, Wäsche,
Wein, Viktualien ?c. luden und wie gekaufte Waare mit beruhigten Gewissen


„O ja," antwortete Miearcscu. „Aber ich hatte Alles dem Oberanführer
erzählt, und weil ich in meinem Tribus Ansehen genoß, fürchtete er meine Macht
mehr, als diejenige des Präfecten. So blieb ich unangetastet. Aber seither ver¬
dächtigen sie mich überall als Magyarenfrcnnd, und warten nur ans eine Ge¬
legenheit, mich festzunehmen ohne Aussehen zu erregen."

Unterdeß waren die Reisenden in der Nähe Enyedö angekommen. Bald
rollte der Wagen langsam über das schlechte Pflaster der Vorstadt. Vor einem
Wirthshause ward angehalten. Die Männer wünschten sich gegenseitig gute Nacht.
Miearescn versprach, im Laufe des folgenden Tages seinen Schützling zu besuchen,
und dieser schlug den wohlbekannten Weg, neben den Weinbergen vorbei über
den Bach in den Karten der Wittwe ein. Vorsichtig trat er in den Hof, wo der
weiße zottige Wolfshund ihn erkannte und liebkosend an ihm aufsprang. Dann
weckte er den Knecht AndriS im Stalle, bedeutete ihn zu schweigen, und als er
hörte, daß beide Frauen zwar gesund, das Fräulein aber sehr niedergeschlagen
sei, wagte er fast nicht, sie wecken zu lassen, um nicht dnrch zu plötzliche Freude
das arme Kind zu erschrecken. Er wählte daher ein stilles Plätzchen in einer
Kammer des Hofgesindes, hüllte sich in seinen Mantel und schlief bald fest ein.

In der Frühe des andern Tages war der treue Andris vor die Matrone
getreten und hatte sie von der Anwesenheit Oedöns unterrichtet. Der bald wei¬
nende , bald lachende Knecht mußte den Wegweiser machen und die Stätte zeigen,
wo Oedön schlief. Hinter einem Wagen, in dunkler verschwiegener Ecke lag er.
Der Knecht wies mit dem Finger hin und schlich sich davon. Ilona lief eilig
voran ans den Zehen, beugte sich nieder und küßte den Jüngling. Da glitt ein
Lächeln über seine Züge, aber er erwachte noch nicht. „Oedön, mein lieber Sohn!"
rief die Matrone. Der Bergmann sprang ans, rieb sich die Augen und stürzte
in die Arme seiner Braut. —


l>.

Viel gab eS zu erzählen von beiden Seiten. Die Erlebnisse der beiden
Frauen waren einfacher, obwohl nicht weniger ernst. Sie hatten von den zwei
Offizieren nach Oedöns Flucht manches harte Wort hören müssen, und es fehlte
auch nicht an Drohungen gegen die Matrone, deren essriger Sinn sich nie ver¬
leugnete.

An Hab und Gut hatten die Frauen viel verloren. War doch von den einzie¬
henden Feinden hart geplündert worden, wobei sich die Sachsen ans dem Her-
mannstädter und Mühlbacher Kreise durch umsichtige» Fleiß und Gründlichkeit
auszeichneten. In Voraussicht der Erlaubniß, oder wenigstens des Nichtverbotcs
der Plünderung hatten die bedächtigen Sachsen viele Wagen voll Hanse mitge¬
bracht, auf welche sie das Geraubte, besonders Bettzeug und Möbel, Wäsche,
Wein, Viktualien ?c. luden und wie gekaufte Waare mit beruhigten Gewissen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/317>, abgerufen am 22.07.2024.