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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Volk von Kriegern und Geschäftsmännern." "Die Lust der Eroberung ist der
Vorwand zu unsern Kriegen, und wir lassen uns selber davon täuschen. Der
tiefere Grund liegt in unserm PrvselytiSmus. Der Franzose will dem Besiegten
seine Persönlichkeit ausprägen, nicht als die seinige, sondern als Typus des
Guten und Schönen: das ist sein naiver Glaube. Kr glaubt, der West kei¬
nen größern Gewinn bereiten zu können, als wenn er ihr seiue Ideen, seiue
Sitten und seiue Moden überliefert. Mit dem Schwert wird er die andern Völ¬
ker bekehren, und nach dem Kampfe wird er ihnen auseinandersetzen, wie viel sie
gewinnen, wenn sie Franzosen werden. Man lache nicht darüber: wer unab¬
lässig darnach trachtet, die Welt nach seinem Bilde umzuformen, wird endlich sein
Ziel erreichen." "Wir haben das Privilegium, in das Laster zu treten, ohne
uns darin zu verlieren. Auch in der Freude am Uebel kommt es uus uur dar¬
auf an, zu handeln, uns durch deu Mißbrauch der Freiheit zu erweise", daß
wir frei siud. Durch deu gesunden Menschenverstand, den wir nie verlieren,
kommen wir bald zur Idee der Ordnung zurück." -- Es ist etwas Wahres darau.

Diese Begeisterung für Frankreich hat ihn auch in den spätern Phasen seiner
Entwickelung, in seinen demokratisch - socialistischen Träumen nicht verlassen. In
dem wunderlichen Buch: /'e,/^/<? (I^ni), ans dessen Zusammenhang mit deu da¬
mals auftauchenden Tendenzen einer neuen Religion der Freiheit wir noch ein¬
mal zurückkommen, wird zum Schluß der Gott, an den man glauben soll, ge¬
radezu mit dem Vaterlande, der Glaube selbst mit dem Nationalgefühl identificirt.
Der wahre Repräsentant des französischen Volks ist das französische Heer, wel¬
ches durch das militärische Gefühl das Volk adelt, und ihm jene auf persönlicher
Ehre basircnde Gleichheit einflößt, ohne die eine echte Demokratie nicht bestehn
kann. Dieses echte Volk ist nur dnrch das Zwitterwesen der Bourgeoisie in sei¬
nem wahren Beruf aufgehalten worden: nur die zu große Nachsicht gegen die
Industrie hat 25 Millionen Krieger abgehalten, deu Rhein wieder zu erobern.

Die größte Verirrung Michelet's ist seine Geschichte der Revolution (18M,
die gleichzeitig mit deu ähnlichen Werken von Lamartine und L. Blanc herauskam.
Sturmvögel, die den kommenden Orkan anzeigten. Er war damals verbittert
durch seinen Streit mit dem Uuterrichtsiuiuisterium, das seiue und QuiuetS Vor¬
lesungen geschlossen hatte, weil sie ihre wissenschaftlichen Gegenstände mißbrauchten,
um den Kampf gegen die Jesuiten und deu falschen Constitutionalismus zu pre¬
digen. -- Es ist dieses Buch, was die Form betrifft, die reine Phrase, eine
Bildersprache, die in ihrer Verwirrung so weit geht, daß man kaum mehr ahnt,
was für reale Anschauungen diese" wüsten Ausbrüchen des Rausches zu Grunde
liegen mögen. Was Victor Hugo und seiue Genossen geleistet, ist nichts gegen
diese tollgewordcne Prosa, die so wenig ihrer selbst Herr ist, daß sie sich in be¬
ständigen Apostrophen erschöpft. Noch schlimmer ist es aber mit dein Inhalt. Die
Revolution ist dem Verfasser der Anfang aller eigentlichen Geschichte, die Quelle alles


Volk von Kriegern und Geschäftsmännern." „Die Lust der Eroberung ist der
Vorwand zu unsern Kriegen, und wir lassen uns selber davon täuschen. Der
tiefere Grund liegt in unserm PrvselytiSmus. Der Franzose will dem Besiegten
seine Persönlichkeit ausprägen, nicht als die seinige, sondern als Typus des
Guten und Schönen: das ist sein naiver Glaube. Kr glaubt, der West kei¬
nen größern Gewinn bereiten zu können, als wenn er ihr seiue Ideen, seiue
Sitten und seiue Moden überliefert. Mit dem Schwert wird er die andern Völ¬
ker bekehren, und nach dem Kampfe wird er ihnen auseinandersetzen, wie viel sie
gewinnen, wenn sie Franzosen werden. Man lache nicht darüber: wer unab¬
lässig darnach trachtet, die Welt nach seinem Bilde umzuformen, wird endlich sein
Ziel erreichen." „Wir haben das Privilegium, in das Laster zu treten, ohne
uns darin zu verlieren. Auch in der Freude am Uebel kommt es uus uur dar¬
auf an, zu handeln, uns durch deu Mißbrauch der Freiheit zu erweise«, daß
wir frei siud. Durch deu gesunden Menschenverstand, den wir nie verlieren,
kommen wir bald zur Idee der Ordnung zurück." — Es ist etwas Wahres darau.

Diese Begeisterung für Frankreich hat ihn auch in den spätern Phasen seiner
Entwickelung, in seinen demokratisch - socialistischen Träumen nicht verlassen. In
dem wunderlichen Buch: /'e,/^/<? (I^ni), ans dessen Zusammenhang mit deu da¬
mals auftauchenden Tendenzen einer neuen Religion der Freiheit wir noch ein¬
mal zurückkommen, wird zum Schluß der Gott, an den man glauben soll, ge¬
radezu mit dem Vaterlande, der Glaube selbst mit dem Nationalgefühl identificirt.
Der wahre Repräsentant des französischen Volks ist das französische Heer, wel¬
ches durch das militärische Gefühl das Volk adelt, und ihm jene auf persönlicher
Ehre basircnde Gleichheit einflößt, ohne die eine echte Demokratie nicht bestehn
kann. Dieses echte Volk ist nur dnrch das Zwitterwesen der Bourgeoisie in sei¬
nem wahren Beruf aufgehalten worden: nur die zu große Nachsicht gegen die
Industrie hat 25 Millionen Krieger abgehalten, deu Rhein wieder zu erobern.

Die größte Verirrung Michelet's ist seine Geschichte der Revolution (18M,
die gleichzeitig mit deu ähnlichen Werken von Lamartine und L. Blanc herauskam.
Sturmvögel, die den kommenden Orkan anzeigten. Er war damals verbittert
durch seinen Streit mit dem Uuterrichtsiuiuisterium, das seiue und QuiuetS Vor¬
lesungen geschlossen hatte, weil sie ihre wissenschaftlichen Gegenstände mißbrauchten,
um den Kampf gegen die Jesuiten und deu falschen Constitutionalismus zu pre¬
digen. — Es ist dieses Buch, was die Form betrifft, die reine Phrase, eine
Bildersprache, die in ihrer Verwirrung so weit geht, daß man kaum mehr ahnt,
was für reale Anschauungen diese» wüsten Ausbrüchen des Rausches zu Grunde
liegen mögen. Was Victor Hugo und seiue Genossen geleistet, ist nichts gegen
diese tollgewordcne Prosa, die so wenig ihrer selbst Herr ist, daß sie sich in be¬
ständigen Apostrophen erschöpft. Noch schlimmer ist es aber mit dein Inhalt. Die
Revolution ist dem Verfasser der Anfang aller eigentlichen Geschichte, die Quelle alles


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/310>, abgerufen am 22.07.2024.