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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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fortwährend den östreichischen Kaufleuten, allein sie forderten, daß die Wechsel nicht
mehr in Wien oder Trieft, sondern in einer Stadt zahlbar gemacht würden, wo
zwischen Papier und Münze kein Differenzcours existirt. Die östreichischen Kauf-
leute mußten die Vermittlung von Pariser, Frankfurter, Augsburger oder Hamburger
Bankiers in Anspruch nehmen, und daß dies nicht ohne Kosteuentschädigung, also
Waarenvertheuernng, geschehen kann, versteht sich von selbst. Der gesammte Handels-
verkehr, insoweit er das Creditpapier betrifft, mußte neue Cvmmnnieationsstraßen auf¬
suchen und bauen, und mit welchen Schwierigkeiten dies verbunden ist, weiß jeder
Kaufmann.

Allein kaum ist diese Bahn geebnet, so ergibt sich ein neues, und zwar kaum
zu bewältigendes Hinderniß. Der zahlende östreichische Handelsmann entspricht
der gerechten Forderung des englischen Darleihers; gegen den östreichischen Handels¬
mann jedoch, der seine Zahlungsverpflichtung nicht einhalten kann, ist der englische
Gläubiger im Nachtheil, wie jeder Nichtöstreicher. Falls die Masse des Failliten
auch vollständig die Summe der Schuld gibt, so verliert der Gläubiger, welcher
effective Münze vorstreckte, durch die Coursdiffereuz. Der Wechsel, welcher mit
100 si., 3 Stück Zwanziger ü, Ist., in Frankfurt zahlbar, ausgestellt wurde, wird
als vollständig bezahlt betrachtet, wenn das Gericht in Oestreich 100si. in
Papiergeld dafür aus der Cvnconrsmasse erlegen kann. Aber 100 si. Papier sind
doch nur beiläufig 80 bis 85 si., 3 Stück Zwanziger ü, I si., und der Gläubiger ver¬
liert daher jeden weitem Anspruch auf Ersatz des Verlustes von 15 bis 20 Pro-
cent, und der Schuldner ist jeder Verpflichtung enthoben, obwohl der Bankerott
unzweifelhaft ist.

Da keine Gewißheit vorhanden ist, daß der Silberconrs nicht noch höher
steigt, so ist der etwaige Verlust selbst bei reellen Kaufleuten gar uicht zu ermessen.
Die Papiere, welche die östreichische Regierung mit Zwangöcours ausgibt, können
noch tiefer sinken, als die Banknoten, und die Creditoren müssen sich stets damit
begnügen, so wie die Bank Cassenanweisungeu an Zahluugöstatt annehmen mußte,
weil man diesen ungeachtet der 3procentigen Verzinsung weniger Vertrauen schenkte,
.als den Banknoten.

In solcher Weise leidet Handel und Verkehr durch die Finanzzustände und
die solidesten Kaufleute werden in Mitleidenschaft gezogen, weil der Finanzminister
ein konstitutionelles Verfahren nicht eingehen kann und, statt einer Ausführung im
Großen, zu Börseutajzbalgereien seine Zuflucht nimmt.




fortwährend den östreichischen Kaufleuten, allein sie forderten, daß die Wechsel nicht
mehr in Wien oder Trieft, sondern in einer Stadt zahlbar gemacht würden, wo
zwischen Papier und Münze kein Differenzcours existirt. Die östreichischen Kauf-
leute mußten die Vermittlung von Pariser, Frankfurter, Augsburger oder Hamburger
Bankiers in Anspruch nehmen, und daß dies nicht ohne Kosteuentschädigung, also
Waarenvertheuernng, geschehen kann, versteht sich von selbst. Der gesammte Handels-
verkehr, insoweit er das Creditpapier betrifft, mußte neue Cvmmnnieationsstraßen auf¬
suchen und bauen, und mit welchen Schwierigkeiten dies verbunden ist, weiß jeder
Kaufmann.

Allein kaum ist diese Bahn geebnet, so ergibt sich ein neues, und zwar kaum
zu bewältigendes Hinderniß. Der zahlende östreichische Handelsmann entspricht
der gerechten Forderung des englischen Darleihers; gegen den östreichischen Handels¬
mann jedoch, der seine Zahlungsverpflichtung nicht einhalten kann, ist der englische
Gläubiger im Nachtheil, wie jeder Nichtöstreicher. Falls die Masse des Failliten
auch vollständig die Summe der Schuld gibt, so verliert der Gläubiger, welcher
effective Münze vorstreckte, durch die Coursdiffereuz. Der Wechsel, welcher mit
100 si., 3 Stück Zwanziger ü, Ist., in Frankfurt zahlbar, ausgestellt wurde, wird
als vollständig bezahlt betrachtet, wenn das Gericht in Oestreich 100si. in
Papiergeld dafür aus der Cvnconrsmasse erlegen kann. Aber 100 si. Papier sind
doch nur beiläufig 80 bis 85 si., 3 Stück Zwanziger ü, I si., und der Gläubiger ver¬
liert daher jeden weitem Anspruch auf Ersatz des Verlustes von 15 bis 20 Pro-
cent, und der Schuldner ist jeder Verpflichtung enthoben, obwohl der Bankerott
unzweifelhaft ist.

Da keine Gewißheit vorhanden ist, daß der Silberconrs nicht noch höher
steigt, so ist der etwaige Verlust selbst bei reellen Kaufleuten gar uicht zu ermessen.
Die Papiere, welche die östreichische Regierung mit Zwangöcours ausgibt, können
noch tiefer sinken, als die Banknoten, und die Creditoren müssen sich stets damit
begnügen, so wie die Bank Cassenanweisungeu an Zahluugöstatt annehmen mußte,
weil man diesen ungeachtet der 3procentigen Verzinsung weniger Vertrauen schenkte,
.als den Banknoten.

In solcher Weise leidet Handel und Verkehr durch die Finanzzustände und
die solidesten Kaufleute werden in Mitleidenschaft gezogen, weil der Finanzminister
ein konstitutionelles Verfahren nicht eingehen kann und, statt einer Ausführung im
Großen, zu Börseutajzbalgereien seine Zuflucht nimmt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/270>, abgerufen am 22.07.2024.