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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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"Zalathna ist heute ein Aschenhaufen, denn die Walachen sind dort gewesen,"
erwiederte die Frau mit bitterm Witze.

Die Matrone erbleichte. Ihr Ange schielte nach einem Fenster, ob dort die
Tochter sitze. Ihre Ahnung betrog sie nicht. Leichenblaß stand diese da, mit der
einen Hand krampfhaft den Fensterriegel erfassend, als sollte er sie ansteche erhalten.

"Wißt Ihr", rief sie mit halb ersticktem, unterbrochenem Laut der Reisenden
zu, "wißt Ihr nichts von Penteki Oedön, dem Bergbeamten."

"Sagt nicht, daß er todt sei", flüsterte die Matrone der jungen Frau zu.
"Wenn er erschlagen ist, wird ihr Herz brechen."

"Ach, armes Kind", antwortete die Reisende leise, "dann stirb!"

"Er ist todt!" rief die Mutter in der Bestürzung etwas zu laut. Ihr Kind
that einen Schrei und sank zurück, die Szekleriu stürzte in das Hans zurück und
vergaß trotz ihrer Angst nicht, die Flüchtigen zur Rast in ihrer Wohnung ein¬
zuladen.

Lange lag das Mädchen bewustlos. Der Schlag, der ihr Leben getroffen,
war zu plötzlich gekommen. Die sonst so starke Mutter hatte weder für
sich, noch für ihr Kind Trost; sie maß das Zimmer mit hastigen Schritten
und bemerkte es nicht, daß ihr heiße Thränen die Wangen Herabflossen. An¬
fangs verdrängte die augenblickliche Angst um die Tochter jedes andere Gefühl.
Mit athemlosem Lauschen behorchte sie Ilonas unruhige Athemzüge und beob¬
achtete mit Zittern und Hoffnung die geringste ihrer Bewegungen, den leisesten
Miencnzng, goß dann mit bebender Hand die stärkenden Tropfen in den
Löffel, mit ängstlicher Gewissenhaftigkeit jeden Tropfen zählend, und flößte sie,
halb zwingend, halb entgegenkommend, den Lippen der Schlummernden ein. Als
sie nun, wie minder Gebildete, oder wie heftig Bewegte pflegen, durch gewissen¬
hafte Befolgung der ärztlichen Verordnungen ihrem Herzen Beruhigung gegeben,
wachten wieder alle männlichen Gefühle in der Brust dieser starken Frau ans.
Ihr wcichgeweiutes Antlitz nahm wieder die starren Linien des Trotzes und Hasses
an, ihre Angen bohrten sich in die Dielen, als ob sie dort den Rächer suchten,
und ihre Gedanken ergossen sich in einem bittern lauten Selbstgespräche.

"Also, auch das muß ich Euch danken, daß Ihr nur das einzige, liebe Kind
an des Grabes Rand führt! Wo wird Eure Verfolgung stehen bleiben, wenn
Euer gewaltthätiger Arm tief hineinreicht in die Familien, und unerbittlich selbst
das Heiligste, die Mutterliebe angreift? Fluch Euch, tausendfacher Fluch, die
Ihr ohne Gerechtigkeit seid, wie ohne Mitleid, die Ihr ganze Völker, wie einzelne
schuldlose Familien Eurem Eigennutze erbarmungslos opfert. Was hat diese
Euch gethan, dieser Engel, der sogar für den Feind Worte der Liebe hat, daß
Ihr ihn dahinrafft, im Frühling des Lebens, was that ich Euch, die Mutter,
die uur noch Diese liebte und mein Vaterland? Ha, mein Vaterland! Da liegt
das Verbrechen. Weil ich Ungarin bin, und dies schöne Land nächst ihr über


„Zalathna ist heute ein Aschenhaufen, denn die Walachen sind dort gewesen,"
erwiederte die Frau mit bitterm Witze.

Die Matrone erbleichte. Ihr Ange schielte nach einem Fenster, ob dort die
Tochter sitze. Ihre Ahnung betrog sie nicht. Leichenblaß stand diese da, mit der
einen Hand krampfhaft den Fensterriegel erfassend, als sollte er sie ansteche erhalten.

„Wißt Ihr", rief sie mit halb ersticktem, unterbrochenem Laut der Reisenden
zu, „wißt Ihr nichts von Penteki Oedön, dem Bergbeamten."

„Sagt nicht, daß er todt sei", flüsterte die Matrone der jungen Frau zu.
„Wenn er erschlagen ist, wird ihr Herz brechen."

„Ach, armes Kind", antwortete die Reisende leise, „dann stirb!"

„Er ist todt!" rief die Mutter in der Bestürzung etwas zu laut. Ihr Kind
that einen Schrei und sank zurück, die Szekleriu stürzte in das Hans zurück und
vergaß trotz ihrer Angst nicht, die Flüchtigen zur Rast in ihrer Wohnung ein¬
zuladen.

Lange lag das Mädchen bewustlos. Der Schlag, der ihr Leben getroffen,
war zu plötzlich gekommen. Die sonst so starke Mutter hatte weder für
sich, noch für ihr Kind Trost; sie maß das Zimmer mit hastigen Schritten
und bemerkte es nicht, daß ihr heiße Thränen die Wangen Herabflossen. An¬
fangs verdrängte die augenblickliche Angst um die Tochter jedes andere Gefühl.
Mit athemlosem Lauschen behorchte sie Ilonas unruhige Athemzüge und beob¬
achtete mit Zittern und Hoffnung die geringste ihrer Bewegungen, den leisesten
Miencnzng, goß dann mit bebender Hand die stärkenden Tropfen in den
Löffel, mit ängstlicher Gewissenhaftigkeit jeden Tropfen zählend, und flößte sie,
halb zwingend, halb entgegenkommend, den Lippen der Schlummernden ein. Als
sie nun, wie minder Gebildete, oder wie heftig Bewegte pflegen, durch gewissen¬
hafte Befolgung der ärztlichen Verordnungen ihrem Herzen Beruhigung gegeben,
wachten wieder alle männlichen Gefühle in der Brust dieser starken Frau ans.
Ihr wcichgeweiutes Antlitz nahm wieder die starren Linien des Trotzes und Hasses
an, ihre Angen bohrten sich in die Dielen, als ob sie dort den Rächer suchten,
und ihre Gedanken ergossen sich in einem bittern lauten Selbstgespräche.

„Also, auch das muß ich Euch danken, daß Ihr nur das einzige, liebe Kind
an des Grabes Rand führt! Wo wird Eure Verfolgung stehen bleiben, wenn
Euer gewaltthätiger Arm tief hineinreicht in die Familien, und unerbittlich selbst
das Heiligste, die Mutterliebe angreift? Fluch Euch, tausendfacher Fluch, die
Ihr ohne Gerechtigkeit seid, wie ohne Mitleid, die Ihr ganze Völker, wie einzelne
schuldlose Familien Eurem Eigennutze erbarmungslos opfert. Was hat diese
Euch gethan, dieser Engel, der sogar für den Feind Worte der Liebe hat, daß
Ihr ihn dahinrafft, im Frühling des Lebens, was that ich Euch, die Mutter,
die uur noch Diese liebte und mein Vaterland? Ha, mein Vaterland! Da liegt
das Verbrechen. Weil ich Ungarin bin, und dies schöne Land nächst ihr über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/230>, abgerufen am 03.07.2024.